Es war das Projekt in diesem Sommer, auf das alle blickten, deren Herz für echten Alpinismus schlägt. Die Japaner Kazuya Hiraide und Kenro Nakajima, die zu den besten Bergsteigern der Welt gehören, hatten sich vorgenommen, im Karakorum in Pakistan die extrem anspruchsvolle Westwand des 8611 Metern hohen K2 zu durchsteigen – auf einer neuen Route, im Alpinstil, sprich ohne Flaschensauerstoff, ohne Hochträger, ohne feste Lager und ohne Fixseile. Nach Berichten aus Pakistan sind Hiraide und Nakajima aus einer Höhe von rund 7500 Metern abgestürzt. Sie waren vor vier Tagen zu ihrem Gipfelversuch aufgebrochen.
Reglose Körper entdeckt
Waliullah Falahi, ein hochrangiger Beamter des nordpakistanischen Distrikts Shigar, sagte der Zeitung „DAWN“, ein Rettungshubschrauber habe am Samstag die reglosen Körper der beiden in der Westwand entdeckt. Es sei nicht klar, ob die Bergsteiger noch lebten oder tot seien. Wegen der Steilheit des Geländes habe man sie nicht vom Hubschrauber aus bergen können, teilte Ishii Sports, ein Sponsor der Japaner, mit. Nun solle eine Rettungsaktion vom Boden aus gestartet werden. Die Chancen, Hiraide und Nakajima lebend zu bergen, sind – objektiv betrachtet – äußerst gering und schwinden mit jeder Minute.
Bislang war die extrem steile und anspruchsvolle Westwand nur 2007 von einer großen russischen Expedition gemeistert worden. Elf Bergsteiger hatten den Gipfel erreicht, nachdem sie sich – ohne Flaschensauerstoff – mehr als zwei Monate lang durch die Wand gekämpft hatten: mit sieben Hochlagern und Fixseilen fast auf der gesamten Route, die sich wie eine gerade Linie nach oben zog.
Zweimal gemeinsam mit Piolet d’Or ausgezeichnet
Der 45 Jahre alte Hiraide und der 39 Jahre alte Nakajima sind für ihre extremen Touren im sauberen Kletterstil bekannt. Das Top-Duo wurde in den vergangenen Jahren zweimal für Erfolge im Karakorum mit dem Piolet d’Or ausgezeichnet, dem „Oscar der Bergsteiger“: für ihre Erstbegehung der Südwand des 7788 Meter hohen Rakaposhi 2019 und für ihre Erstbegehung der Nordostwand des 7611 Meter hohen Shispare 2017.

Hiraide hatte seinen ersten Piolet d’Or für die erste Durchsteigung der Südostwand des 7756 Meter hohen Kamet in Indien im Jahr 2008 erhalten, gemeinsam mit seiner Partnerin Kei Taniguchi. Sie war die erste Frau, die den prestigeträchtigen Preis gewann. Taniguchi starb Ende 2015 im Alter von 43 Jahren bei einem Absturz in Japan.
Dramatische Rettungsaktion an der Ama Dablam
In Deutschland wird sich vielleicht noch der eine oder andere im Zusammenhang mit Hiraide an eine dramatische Rettungsaktion im Herbst 2010 an der 6812 Meter hohen Ama Dablam im Khumbu-Gebiet in Nepal erinnern: Der Japaner und der deutsche Bergsteiger David Göttler waren nach der Durchsteigung der Nordwand über eine neue Route am Nordgrat in Bergnot geraten und hatten um eine Rettung per Hubschrauber gebeten. Nachdem Göttler bereits sicher ins Tal gebracht worden war, touchierte der Hubschrauber beim Versuch, Hiraide an Bord zu nehmen, den Grat und stürzte ab. Die beiden Piloten kamen uns Leben. Der Japaner wurde einen Tag später von einer anderen Hubschrauber-Crew gerettet.

Hiraide: „Das Unmögliche zum Möglichen machen“
Im Sommer 2023 hatten Hiraide und Nakajima in Pakistan erstmals die Nordwand des 7708 Meter hohen Tirich Mir durchklettert, des höchsten Bergs im Hindukusch – als Vorbereitung auf die K2-Westwand, die sie schon seit Jahren im Visier hatten. Nach ihrem Erfolg am Shispare 2017 waren sie zum K2-Basislager getrekkt, hatten die mächtige Wand studiert, sich damals aber noch nicht reif genug dafür gefühlt. Nun waren sie mit großem Selbstbewusstsein angereist, um sich erstmals an der Wand zu versuchen.
„Indem ich Erfahrungen sammle und kleine Schritte mache, kann ich das Unmögliche zum Möglichen machen“, sagte Kazuya Hiraide vor Beginn des Projekts dem Präsidenten des Alpine Club of Pakistan, Karrar Haidri. „Ich habe immer versucht, solche Berge zu besteigen, und selbst wenn ich 20 Jahre brauche, um das Unmögliche zu schaffen, macht es immer noch Spaß. Das ist es, worum es bei der Westwand geht.“
Update 30. April: Die Rettungsaktion für Hiraide und Nakajima ist ausgesetzt worden. Die Entscheidung sei in Absprache mit den Familien der Bergsteiger getroffen worden, teilte Sponsor Ishii Sports nach Angaben der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo mit. Die Retter hätten Schwierigkeiten gehabt, die Stelle zu erreichen, wo die beiden Abgestürzten lokalisiert worden seien, hieß es.
P.S. Derweil werden vom K2 zahlreiche Gipfelerfolge kommerzieller Teams über die Normalroute vermeldet. Allein das Team des Anbieters Imagine Nepal stand mit zehn nepalesischen Bergsteigern und acht Kunden am Gipfel auf 8611 Metern. Für Expeditionsleiter Mingma Gyalje Sherpa war es der fünfte Gipfelerfolg am zweithöchsten Berg der Erde.