Lhakpa Gyaltsen Sherpa: Leben und Überleben am Everest

Lhakpa Gyaltsen Sherpa vor seiner Lodge in Thame

Das Dorf Thame im Khumbu-Gebiet hat schon viele Sherpas hervorgebracht, die am Mount Everest zu Ruhm gelangten. So wuchs der Erstbesteiger Tenzing Norgay dort auf. Auch der legendäre Apa Sherpa, der zwischen 1990 und 2011 insgesamt 21-mal den Gipfel des Everest erreichte, wurde in Thame geboren. Ebenso Kami Rita Sherpa, mit 24 Besteigungen der aktuelle Rekordträger. Da wundert es eigentlich kaum, dass gleich die erste Herberge am Ortseingang den Namen „Third Pole Summiter Lodge“ trägt. Doch sie ist nicht nach einem der erwähnten berühmten Sherpas benannt. Der Name weist vielmehr darauf hin, dass auch der Inhaber der Lodge auf dem höchsten Punkt der Erde, dem „Dritten Pol“, gestanden hat. „Insgesamt habe ich seit 2010 zehnmal versucht, den Gipfel zu erreichen, achtmal war ich oben, davon zweimal über die tibetische Nordseite“, erzählt mir Lhakpa Gyaltsen Sherpa, als wir im November in seiner Lodge übernachten. Sechs Jahre lang war er Mönch, ehe ihn sein älterer Bruder überredete, in das Everest-Geschäft einzusteigen.

„Für das Geld, nicht Rekorde“

Blick auf Thame, links das Kloster

Das Bergsteigen am höchsten aller Berge ist in der Familie fast schon Tradition. Lhakpas Vater Ang Tshering verlor 1986 während einer südkoreanischen Winterexpedition seine Finger durch Erfrierungen. Zwei von drei Brüdern Lhakpas standen wie er auf dem Everest. „Ich mache es wirklich nur fürs Geld, nicht um irgendwelche Rekorde aufzustellen“, sagt Lhakpa, der neben dem Everest auch die Achttausender Shishapangma und Manaslu bestiegen hat, letzteren zweimal. „Ich trage schließlich Verantwortung für meine Familie.“ Der 36-Jährige ist verheiratet und hat eine neunjährige Tochter. Sie ist blind und lebt in einem Heim für Behinderte in Südindien. Lhakpa reist regelmäßig für zwei Monate im Jahr dorthin, um Zeit mit seiner Tochter zu verbringen. Auch dafür braucht er das Geld vom Everest.

Dreimal wirklich Angst gehabt

Im Khumbu-Eisbruch

Am höchsten Berg der Erde lasse sich eben mehr verdienen als mit seiner Lodge, sagt Lhakpa Gyaltsen. Das Gebäude ist noch ziemlich neu. Das verheerende Erdbeben am 25. April 2015 hatte Lhakpas alte Lodge zerstört. Der Sherpa musste einen Kredit aufnehmen, um sie wiederaufzubauen.

Dass er das Beben überlebt habe, sei ein Wunder, erzählt Lhakpa und zeigt auf ein Amulett an seinem Hals. Ein indischer Rinpoche, ein hochrangiger Mönch, hatte das Schmuckstück seiner Frau überreicht. Die hatte es einem Yak-Treiber mit auf den Weg Richtung Everest-Basislager gegeben. Als Lhakpa gerade aufgebrochen war, um dem Boten ein Stück entgegenzugehen, begann die Erde zu beben.

„Ich bin um mein Leben gerannt“, erinnert sich der Sherpa. Eine gigantische Lawine löste sich vom Siebentausender Pumori, verwüstete das Everest-Basislager und tötete 19 Menschen. Das sei eine von drei Situationen gewesen, in denen er am Everest wirklich Angst gehabt, erzählt Lhakpa Gyaltsen: 2014 überlebte er mit viel Glück die Eislawine im Khumbu-Eisfall, die 16 nepalesische Bergsteiger das Leben kostete. Und 2016 sah Lhakpa, wie ein befreundeter Sherpa vom Lhotse in den Tod stürzte: „Auch da hatte ich Angst.“

Sherpas müssen es ausbaden

Eine Option: Geldverdienen in Frankreich

Dass der Tod am Everest ein Wegbegleiter sein kann, erlebte er auch im vergangenen Frühjahr. Am 22. Mai – also am Tag des Staus am Gipfelgrat, der weltweit Schlagzeilen machte – starb eine Kundin Lhakpas unterhalb des so genannten „Balkons“ auf 8400 Metern. Die 54 Jahre alte Inderin war höhenkrank. „Ich habe ihr geraten abzusteigen, aber sie wollte nicht“, sagt der 36-Jährige. „Indische Kunden bereiten uns häufiger Schwierigkeiten als europäische oder amerikanische. Sie hören einfach nicht auf ihre Sherpas.“ Viele kämen ohne die nötige Erfahrung und angemessenes Training zum Everest. Und die Sherpas dürften es dann ausbaden.

Wie lange will sich Lhakpa Gyaltsen dem Risiko am Mount Everest noch aussetzen? „Eine Option für mich wäre, im Sommer Geld in Europa zu verdienen, zum Beispiel in Frankreich, wo ich viele Freunde habe“, antwortet der Sherpa aus Thame. „Dann müsste ich nicht mehr auf den Everest steigen.“

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