Es sind Aufstiege wie dieser, die den Glauben an echten Alpinismus wachhalten. Der 33 Jahre alte Brite Tom Livingstone und der 42-jährige Slowene Ales Cesen meisterten Anfang August im Karakorum in Pakistan erstmals den Westgrat am 7952 Meter hohen Gasherbrum III. Sie stiegen im Alpinstil auf, also ohne Flaschensauerstoff, ohne Fixseile, ohne feste Hochlager, ohne Hochträger.
Im Abstieg querten sie zum Achttausender Gasherbrum II und nutzten die Fixseile auf der Normalroute der kommerziellen Teams – „was unseren Stil änderte, aber Sinn machte“, so Livingstone auf Instagram. Es war die deutlich sicherere Variante für die Rückkehr ins Basislager.
Vor zwei Jahren gescheitert
2022 hatten sich Livingstone und Cesen schon einmal am Gasherbrum III versucht, waren aber in der Nordflanke des Bergs auf rund 7800 Metern, 150 Meter unter dem höchsten Punkt, „in eine Sackgasse geraten und mussten aufgrund der Kälte, des Wetters, der Müdigkeit und des Mangels an vernünftigen Optionen aufgeben“, wie Livingstone damals berichtete. Wegen starker Winde hatten sie damals ihren Plan, über den Westgrat aufzusteigen, aufgeben müssen. Diese Route war erst einmal versucht worden: 1985 gelanten die Schotten Desmond Rubens und Geoffrey Cohen bis auf rund 7700 Meter, kehrten dann aber um, weil das Wetter schlecht war und ihnen die Zeit davonlief.
Biwak im Sitzen auf 7800 Metern
Diesmal passte alles für Livingstone und Cesen. „Als wir zum Westgrat des G3 aufbrachen (…) stießen wir eine Tür auf zu dem, was wir für möglich hielten“, berichtet Tom. „Wir warfen Erwartungen, Bedenken und Ideen über Bord und bewegten uns einfach nach oben, mit einem neugierigen Geist und einem stillen, stark abbauenden Körper. Kopf- und Magenschmerzen bremsten uns aus. Der Alpinismus ist eine so schöne Falle für das, was man will und was man braucht.“
Am 4. August erreichten die beiden den Gipfel des Gasherbrum III, „um ein Haar unter 8000 Metern“, so Livingstone. „Ich mag es sehr, dass dieser Gipfel knapp unter der 8000er-Marke und damit außerhalb des Rampenlichts liegt, gleich um die Ecke des (7932 Meter hohen) Gasherbrum IV. Die Route gehörte zu den schwierigsten, die ich je geklettert bin, ein Höhepunkt eines Jahrzehnts. Und auch unser drittes Biwak, sitzend und ohne Zelt auf 7800 Metern, wird mir in Erinnerung bleiben. Am siebten Tag nach ihrem Aufbruch kehrten Livingstone und Cesen ins Basislager zurück.
Polnischer Expedition gelang 1975 die Erstbesteigung
Der Gasherbrum III gilt wegen seiner geringen Schartenhöhe zum benachbarten höheren Gasherbrum II nicht als eigenständiger Berg, aber als technisch anspruchsvoll. Die Zahl der Versuche, ihn zu besteigen, lassen sich an einer Hand abzählen. 1975 wurde der Gasherbrum III von einem vierköpfigen polnischen Team über die Ostwand erstbestiegen, mit dabei die legendäre Wanda Rutkiewicz (sie starb 1992 am Kangchendzönga, dem in Nepal gelegenen dritthöchsten Berg der Erde). 2004 wiederholten die Basken Alberto Iñurrategui und Jon Beloki die Route. Dann kamen 1985 die erwähnten Schotten – und jetzt zweimal Livingstone und Cesen.
Die beiden hatten bereits 2018 im Karakorum für Furore gesorgt, als ihnen gemeinsam mit dem Slowenen Luka Strazar die erst zweite Besteigung des 7145 Meter hohen, extrem schweren Latok I gelungen war – die erste von der Nordseite aus. Dafür waren sie mit dem Piolet d’Or ausgezeichnet worden, dem „Oscar der Bergsteiger“. Für Cesen war es bereits der zweite Goldene Eispickel. Den ersten hatte er – gemeinsam mit seinen slowenischen Landsleuten Marko Prezelj und Luka Lindic – für die erste Begehung der Nordwand des 6615 Meter hohen Hagshu im Norden Indiens im Jahr 2014 erhalten.