„Erfolgreich gescheitert“ – so beschrieb ich vor mehr als einem Jahrzehnt mein Scheitern am Siebentausender Putha Hiunchuli im Westen Nepals, wo ich 150 Meter unterhalb des Gipfels – völlig entkräftet – umdrehte. Ich wusste in diesem Augenblick und auch hinterher, dass es die für mich einzig mögliche und auch richtige Entscheidung war. Ich haderte nicht damit. Das tat eher mein Umfeld.
Ähnlich wird es jetzt vielleicht David Göttler ergehen. Der deutsche Topbergsteiger hatte sich vorgenommen, gemeinsam mit dem Franzosen Benjamin Védrines im Alpinstil – also ohne Flaschensauerstoff, ohne feste Hochlager, ohne Hochträger und ohne Fixseile – den Achttausender Nanga Parbat zu besteigen. Durch die Rupalwand, über die sogenannte „Schell-Route“ (benannt nach dem Österreicher Hanns Schell, der 1976 dort aufstieg). Auf 7500 Metern, schon auf der Diamirseite des Nanga Parbat, drehten Göttler und Védrines um.
Am Gipfeltag schlecht drauf
„Es lag weder am schlechten Wetter noch an den schlechten Bedingungen. Wir drehten um, weil ich einen schlechten Tag hatte. Das war’s“, schreibt David auf Instagram. „Ich habe mich nicht so gefühlt, wie ich mich an einem solchen Gipfeltag hätte fühlen müssen.“ Benjamin Védrines wäre stark genug gewesen, um beide zum höchsten Punkt auf 8125 Metern zu führen, glaubt der 44-Jährige. „Aber was dann? Der Abstieg erfolgt nicht direkt nach unten, sondern es geht zunächst über einen Traverse rauf und runter. Natürlich gab es keine Fixseile, da wir mit nur 60 Meter Seil zwischen uns aufgestiegen waren. Es gab keine breite Spur und keine anderen Kletterer auf der Route: nur Ben und ich. Das ist das Schöne daran, eine Route wie diese in einem solchen Stil zu klettern. Die Schönheit und die Grausamkeit des Ganzen. Wenn man einen schlechten Tag hat, kommt man nicht bis zum Gipfel.“
„Aufopferung des Egos“
Benjamin fiel der Entschluss umzukehren sicher noch schwerer. Der 31-Jährige fühlte sich in Topform, reif für den Gipfel – und musste sich nun entscheiden, ob er alleine weitersteigen oder mit David zusammen den Weg nach unten antreten sollte. „Eine Phase der Hilflosigkeit ergreift mich. Warum heute? Ich fühle mich zum Gipfel hingezogen, aber gefesselt, blockiert. Mein Herz nach oben, der Verstand nach unten“, beschreibt der Franzose auf Instagram sein Dilemma. „Wir sind zu zweit, angeseilt, im leichten Stil. Solidarisch und voneinander abhängig, für ein gemeinsames Schicksal. Es sind diese Momente, in denen die Verbindung des Seils manchmal so grausam wie bedeutungsvoll ist. Dieser Sinn, der zu Mitgefühl aufruft, zum Teilen des Schmerzes, zur Aufopferung des Egos für eine verschworene Einheit, in guten wie in schlechten Zeiten.“
Benjamin räumt ein, dass es ihm schwer gefallen sei, sein Ego hintenanzustellen. Am Ende aber tat er es und entschied sich für den gemeinsamen Abstieg. „Wir sind zu zweit losgezogen, wir kehren zu zweit zurück. Auch das macht das Abenteuer aus, auch das macht den Alpinstil aus“, beschreibt Védrines seine Beweggründe.
Demut und Umsicht
Auch wenn am Ende nicht als Krönung der Gipfelerfolg stand, haben David und Benjamin in meinen Augen Großes geleistet. Sie sind zum einen am Nanga Parbat ihrem sauberen Stil treu geblieben. Und sie haben als Alpinisten jene demütige und umsichtige Haltung an den Tag gelegt, die in Zeiten des kommerziellen Achttausender-Bergsteigens so selten geworden ist. David Göttler hat erkannt, dass eine wichtige Komponente fehlte, um eigenverantwortlich (!) sicher zum Gipfel und wieder zurück zu gelangen. Und Benjamin Védrines hat die Freundschaft über den eigenen Erfolg gestellt. Hut ab vor beiden!
Scheitern gehört dazu
Für Göttler war es der dritte gescheiterte Versuch auf der Schell-Route. Im Winter 2014 hatte er auf 7200 Metern wegen schlechten Wetters umkehren müssen. Im Winter 2022 war bereits auf 6200 Metern Endstation, wieder spielte das Wetter nicht mit.
Ich würde wetten, dass David zum Nanga Parbat zurückkehren wird. Wenn es darum geht, den Alpinismus weiterzubringen, indem man Grenzen auslotet und sie gegebenenfalls überschreitet, ist Scheitern eher die Regel – und der Erfolg die Ausnahme. Gefragt ist auch Hartnäckigkeit. Denn wie sagte schon der geniale US-Amerikaner Thomas Alva Edison (1847-1931), der nach unzähligen missglückten Versuchen am Ende die Glühbirne erfand: „Ich bin nicht gescheitert – ich habe 10.000 Wege entdeckt, die nicht funktioniert haben.“