Norrdine Nouar nach Everest-Versuch: „Den Zirkus tue ich mir nicht mehr an“

Norrdine Nouar im Everest-Basislager
Norrdine Nouar zurück im Everest-Basislager

Norrdine Nouar hörte auf seinen Körper. Am Abend des 22. Mai brach der deutsche Bergsteiger, der den Mount Everest ohne Flaschensauerstoff und ohne Sherpa-Begleiter besteigen wollte, vom Südsattel auf rund 7900 Metern auf. Sein Ziel: der höchste Punkt der Erde auf 8849 Metern.

Doch schon auf einer Höhe von etwa 8100 Metern kehrte der 36-Jährige um. „Ich habe ziemlich schnell festgestellt, dass ich es vielleicht schaffe, den Gipfel zu erreichen, aber hundertprozentig nicht mehr zurückkommen würde“, schreibt mir Norrdine.

Infektion schwächte seinen Körper

Südseite des Mount Everest
Südseite des Mount Everest

Nach der Besteigung der 8091 Meter hohen Annapurna I im Westen Nepal – seinem zweiten Achttausender-Gipfelerfolg ohne Flaschensauerstoff nach dem Lhotse im Frühjahr 2023 – war Nouar zum Everest weitergereist. „Ich war gut akklimatisiert und mein Körper theoretisch stark genug“, so Norrdine. „Ich hatte mir jedoch in Lager 2 eine Infektion eingefangen, die ich auf knapp 6500 Metern nie völlig auskurieren konnte.“ Immerhin habe sich sein Körper jedoch so weit erholt, dass er einen Gipfelversuch für verantwortbar hielt, sagt Nouar.

Wochenlang hatte sich der Bergsteiger aus dem Allgäu in dem Hochlager aufgehalten und auf einen für ihn optimalen Gipfeltag gewartet. Am 22/23. Mai schien sich die Chance zu eröffnen. „Ich hätte einen perfekten Tag gehabt. Ohne Massen, ohne Wind und bei Vollmond. Die Bedingungen wären perfekt gewesen. Aber mein Körper war von der Infektion einfach zu schwach.“

Und genau deshalb sei er umgekehrt. „Es ist einfach, dort immer weiter zu gehen, aber als Bergsteiger sollte man seinen Körper gut einschätzen können und wissen, ob man den Weg zurück auch schafft“, findet Norrdine. „Ich garantiere dir, ich wäre jetzt ein weiterer gefrorener Körper da oben, wenn ich weitergegangen wäre. Es ist mir ein Rätsel, dass ‚Bergsteiger‘ diese einfache Lektion über ihren Körper und ihr Ego nicht beherrschen und zum Gipfel pushen und sterben.“

„Hässliche Art, Berge zu besteigen“

Welche Erkenntnis nimmt Nouar vom höchsten Berg der Erde mit nach Hause? „So ziemlich das Schwerste am Everest ist wohl, gesund zu bleiben“, antwortet er. „Fast niemand bleibt von irgendeiner Art Husten oder Infekt verschont. Das liegt auch an den Massen und der Art, wie die Expeditionen organisiert sind.“ Und von genau diesem Stil hat Norrdine nach eigenen Worten die Nase voll. „Mir wurde bereits an der Annapurna klar, dass ich diesem ’nepalesischen Expeditionsstil‘ nichts abgewinnen kann. Es ist eine unglaublich hässliche Art, Berge zu besteigen und hat meiner Meinung nach nichts mit Bergsteigen zu tun. Es wäre ein Leichtes für mich, so nun einen Achttausender nach dem anderen ‚einzusacken‘. Aber das werde ich nicht tun.“

Die nepalesische Seite des Cho Oyu (im Vordergrund das Dorf Gokyo)
Nächstes Ziel? Die nepalesische Seite des Cho Oyu (im Vordergrund das Dorf Gokyo)

Künftig wolle er seine Expeditionen selbst organisieren, im kleinen Team, mit „Alpinisten, die eine Herausforderung suchen und abseits der Wege gehen möchten“, sagt der deutsche Bergsteiger. Wenn er das Geld dafür zusammen bekomme, denke er zum Beispiel an eine neue Route auf der anspruchsvollen nepalesischen Südseite des 8188 Meter hohen Cho Oyu, sagt Nouar: „Nur drei Alpinisten, ein Koch, ein Küchenhelfer, mehr nicht. Das wäre eine tolle Expedition, auch wenn die Erfolgschancen gering wären.“

Und der Mount Everest? Frühestens in zwei Jahren werde er sich erneut am höchsten Berg der Erde versuchen, antwortet Norrdine Nouar, „dann höchstwahrscheinlich über die chinesische Seite. Den Zirkus auf der nepalesischen Seite kann ich mir nicht mehr antun.“ Auf der Everest-Nordseite könnte sich für ihn allerdings ein anderes Problem ergeben: Die chinesisch-tibetischen Behörden schreiben vor, dass alle Bergsteigerinnen und Bergsteiger ab einer Höhe von 7000 Metern, sprich dem Nordsattel, Flaschensauerstoff nutzen müssen.

7 Antworten auf „Norrdine Nouar nach Everest-Versuch: „Den Zirkus tue ich mir nicht mehr an““

  1. Was soll dieser Rundumschlag gegen den „nepalesischen Expeditionsstil“ am Everest.? Nouar hatte seine Chance, den Gipfel auf seine Art zu besteigen, aber er konnte sie nicht nutzen. Punkt. Jeder ist am Berg für sich selbst verantwortlich, auch für die eigene Gesundheit. Im Übrigen sollte man im Voraus wissen, was einen am Everest erwartet.

  2. Habe heute wieder gelesen „Stau am Everest“.
    Ich glaube mehr muss man nicht sagen. Die Menschheit schafft sich ab und einige merken es nichtmal…. 🙂

  3. Habe ich das richtig gelesen, dass er mehrere Wochen am Stück am Everest im Lager 2 auf 6500m war ohne Abstieg ins BC? Selbst wenn man keinen Infekt hat, ist es doch so dass man in so einer höhe nicht mehr vollständig regenerieren kann?

  4. Kritik am Massentourismus/ Everest zu üben würde ich nicht als Rundumschlag bezeichnen. Leider ist es eine Tatsache dass da jeder rauf darf der bezahlt. Alpinismus sieht anders aus. Viele gute Bergsteiger haben, aus Vernunftgründen , abgebrochen und auf bessere Voraussetzungen gewartet um den Gipfel sauber zu erreichen. Vielleicht beim nächsten Mal. Der Berg läuft nicht weg.

    1. Dass Nouar den Gipfel nicht erreicht hat, liegt nicht am angeblichen Massentourismus am Everest. Niemand hat ihn im Aufstieg behindert, sondern er hatte schlicht und einfach nicht die Form, den Berg ohne zusätzlichen Sauerstoff zu besteigen. Unter diesen Umständen umzukehren, war eine vernünftige Entscheidung. Wie richtiger Alpinismus aussieht, muss jede(r) für sich selbst entscheiden.

      1. Er hat auch nicht behauptet, dass er wegen des Massentourismus abgebrochen hat und ich auch nicht. Aber alles ist gut. Jeder darf eine eigene Meinung haben 😉

Kommentare sind geschlossen.

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