Stephen Venables über den Everest: „Domäne einer geschickt betriebenen Tourismusindustrie“

In der Everest-Ostwand
In der Everest-Ostwand

Es ist halb so lange her wie die Erstbesteigung des Mount Everest, die sich in diesem Jahr zum 70. Mal jährt. Heute vor genau 35 Jahren, am 12. Mai 1988, erreichte Stephen Venables den höchsten Punkt der Erde auf 8849 Metern: als erster Brite ohne Flaschensauerstoff. Zuvor war ihm gemeinsam mit dem Kanadier Paul Teare und den beiden US-Amerikanern Robert Anderson und Ed Webster die zweite Begehung der 3000 Meter hohen, stark vergletscherten und damit extrem lawinengefährdeten Everest-Ostwand gelungen. Alle vier waren ohne Atemmaske geklettert. 1983 hatten die US-Bergsteiger Carlos Buhler, Kim Momb und Louis Reichard die Kangshung-Wand erstmals gemeistert – mit Flaschensauerstoff.

„Am absoluten Limit“

Extreme Lawinengefahr

Venables, Teare, Anderson und Webster erschlossen eine neue äußerst anspruchsvolle Route, über einen Pfeiler, den sie  „Neverest-Buttress“ tauften. Die Route endete auf der nepalesischen Everest-Normalroute am Südsattel. Teare verzichtete anschließend auf einen Gipfelversuch, weil er Symptome eines Höhenhirnödems zeigte. Webster kehrte kurz vor dem, Anderson am 8690 Meter hohen Südgipfel um.

Lediglich Venables erreichte den Gipfel. Beim Abstieg verließen auch ihn die Kräfte, er halluzinierte. „Ich war an meinem absoluten physiologischen Limit“, sagte Stephen später in einem Interview. „Der ganze Tag war ein einziges Überschreiten von Grenzen.“ Er überlebte unterhalb des Südgipfels eine Biwaknacht im Freien. Doch die Odyssee war damit noch nicht vorüber. Dreieinhalb Tage dauerte der Abstieg des Trios durch die Kangshung-Wand, bei hüfttiefem Schnee, Whiteout, ohne Lebensmittel. „Für uns alle vier war es das Abenteuer unseres Lebens“, bilanziert Ed Webster später – Ed starb im vergangenen November.

Seit langem hat sich keine Expedition mehr an der Kangshung-Wand versucht. Warum? Das habe ich Stephen Venables anlässlich des 35-Jahr-Jubiläums seines Gipfelerfolgs gefragt. Der inzwischen 69 Jahre alte Brite, ein Pionier des Everest-Bergsteigens, hat geantwortet.

Stephen, die Kangshung-Flanke des Mount Everest ist seit vielen Jahren menschenleer. Abgesehen von den bürokratischen Problemen mit den chinesisch-tibetischen Behörden – warum, glaubst du, versucht sich niemand mehr an der Ostseite des Mount Everest?

Stephen Venables
Stephen Venables

Es erstaunt mich. Aber eigentlich erstaunt es mich auch nicht. Denn der Everest scheint die Domäne einer sehr raffiniert betriebenen Tourismusindustrie geworden zu sein, die wenig mit dem normalen Bergsteigen zu tun hat. Wirklich engagierte Bergsteiger scheinen vertrieben worden zu sein. Ambitionierte Bergsteiger könnten jedoch auf der Ostseite Ruhe und Frieden finden, warum gehen sie also nicht dorthin? Vielleicht halten sie es für zu gefährlich? (Und sie hätten recht!) Vielleicht liegt es am fehlenden Geld? Heutzutage scheint es sehr schwierig zu sein, Sponsoren für echtes Entdecker-Bergsteigen zu finden, im Gegensatz zu Effekthascherei.

Wäre dein Gipfelerfolg von damals 35 Jahre später ohne Flaschensauerstoff überhaupt noch möglich – wenn du aus der Kangshung-Wand auf die Normalroute einbiegen und dich in die Schlange der Gipfelaspiranten einreihen müsstest?

Das ist interessant. Ich habe oft darüber nachgedacht. Jede Route durch die Ostwand endet entweder auf dem Nordost- oder dem Südostgrat, und wenn man nicht gerade bei schlechtem Wetter – oder außerhalb der Saison – auf den Gipfel will, wird man in einen Stau geraten.  Und wie wir alle wissen, sind lange Verzögerungen nicht gut für Menschen, die unter der Hypoxie leiden. Wenn dein Timing perfekt wäre, könntest du vielleicht am späten Abend auf den Gipfelgrat gelangen und die Nacht durchklettern? Aber dann würdest du beim Abstieg in die Warteschlangen geraten.

Es scheint, dass die einzige Möglichkeit, ungehindert zum Gipfel zu gelangen, heutzutage darin besteht, eine direkte Route durch die Nordwand zu klettern – zum Beispiel die „White Limbo“ [Route der Australier Timothy Macartney-Snape und Gregory Mortimer von 1984, ohne Atemmaske] oder das Hornbein-Couloir – oder über die direkte Westgrat-Route. Das wäre doch mal was! Die direkte Westgrat-Route, im Alpinstil, ohne Flaschensauerstoff! (Tim Macartney-Snape versuchte dies 1990, entschied sich dann aber für die sicherere Route über den Südsattel – auf der es damals noch recht ruhig war.)

P.S. Macartney-Snape war übrigens 1990 der Erste, der eine Everest-Expedition auf Meereshöhe begann: Der Australier wanderte vom Golf von Bengalen aus zum höchsten Berg der Erde und bestieg ihn – wie 1984 ohne Atemmaske.

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