Reinhold Messner und Peter Habeler bewiesen, dass es möglich ist. Heute vor 45 Jahren, am 8. Mai 1978, erreichten der Südtiroler und der Österreicher als erste Menschen ohne Flaschensauerstoff den Gipfel des Mount Everest auf 8849 Metern. Dies führte jedoch nicht dazu, dass der höchste Berg der Erde fortan überwiegend ohne Atemmaske angegangen worden wäre. Eher das Gegenteil ist der Fall: Der Trend geht zur Flasche.
In den 2020er-Jahren Anteil unter einem Prozent
Die immer weiter fortschreitende Kommerzialisierung des Everest-Bergsteigens ließ den Anteil der Besteigungen ohne Flaschensauerstoff sinken: Lag er nach den Daten der Bergsteiger-Chronik Himalayan Database in den ersten 50 Jahren seit der Erstbesteigung durch Edmund Hillary und Tenzing Norgay am 29. Mai 1953 noch bei knapp sechs Prozent (114 von 1913 Gipfelerfolgen), sank er in den fast zwei Jahrzehnten danach (2004 bis 2022) auf etwa ein Prozent (99/9287).
Noch drastischer enthüllt der Blick auf die Zahlen der jüngsten Jahrgänge den Trend. So lag der Anteil der Besteigungen ohne Atemmaske im Frühjahr 2022 bei 0,6 Prozent (4/672), 2021 bei 0 (0/461) und in den beiden letzten „normalen“ Jahren vor der Corona-Pandemie mit Anstiegen von Nepal und Tibet aus ebenfalls sehr niedrig: 2019 bei 0,35 Prozent (3/872), 2018 bei 0,12 Prozent (1/820). Messner und Habeler haben also am Everest Alpingeschichte geschrieben, nachhaltig auf das Geschehen dort wirkte ihre Pionierleistung aber nicht.
Auf Knien und Händen
Es habe im Vorfeld jede Menge Kritiker und Skeptiker gegeben, erzählte mir Reinhold Messner einmal in einem Radio-Interview. Das habe ihn zusätzlich angespornt. „Im Grunde wollte ich damals nur ein Exempel statuieren, einen Versuch machen. Ich wusste nicht, wie weit ich komme.“ Auch während des Aufstiegs am 8. Mai 1978 hätten Habeler und er durchaus noch Zweifel gehabt, ob sie aus dieser Nummer schadlos herauskommen würden, sagte Messner: „Bei jeder Pause haben wir uns angeschaut: Sind wir noch bei Trost? Ist es noch verantwortbar oder nicht?“ Bei minus 40 Grad Celsius und heftigem Sturm kämpften sie sich hinauf. „Wir haben in der Schlussphase wirklich mehr auf Knien und Händen als gehend den Gipfel erreicht, sonst wären wir vom Grat gefegt worden“, berichtete Messner.
Nichts wie runter!
Für Peter Habeler war es nach eigenen Worten „ein sehr emotionaler Moment“, als sie schließlich auf dem Dach der Welt standen. Richtig genießen konnte er ihn nicht. „Ich weiß noch, dass ich Angst hatte“, erzählte mir Habeler vor einigen Jahren. „Ich bin sehr unruhig geworden, weil ich runterwollte. Ich habe mir gedacht: Hoppla, wie komme ich denn jetzt über den Hillary Step wieder runter, ohne Sicherung? Der Schnee war dort in einem schlechten Zustand, das hatten wir beim Aufstieg gemerkt. Ich dachte, jetzt bricht da ein Tritt raus, und dann fliegst du oabi. Aber irgendwie ist es gegangen.“ Nach der Heimkehr sei er von dem gewaltigen Medienecho überrascht worden, erzählte Habeler: „Das war ein regelrechter Hype.“
Auch heute gibt es noch einen Everest-Medienhype, nur dass er selten mit Besteigungen ohne Flaschensauerstoff zu tun hat, sondern eher mit der Masse an Bergsteigern, die sich Jahr für Jahr am höchsten aller Berge versuchen. Für die Jubiläumssaison 70 Jahre nach der Erstbesteigung verkaufte die Regierung Nepals bislang (Stand 7. Mai) 467 Permits – so viele wie noch niemals zuvor. Die Zahl der Gipfelerfolge ohne Flaschensauerstoff dürften sich jedoch wieder an einer Hand bis zwei Händen abzählen lassen.