Xenon-Einsatz bei Everest-Kurztrip: „Geschulter Arzt mit entsprechendem Equipment ist zwingend nötig“

Mount Everest
Mount Everest

Und plötzlich diskutiert die Bergsteiger-Szene über ein Edelgas, von dem wir alle wahrscheinlich in der Schulzeit im Chemie-Unterricht schon einmal gehört haben. Doch die meisten von uns haben es dann auch wieder vergessen. Xenon gehört zu den seltensten auf der Erde vorkommenden Elementen. Es ist zwar in der Luft, die wir atmen, aber der Anteil von Xenon ist nur winzig klein: 87 Milliardstel oder 0,0000087 Prozent (ich hoffe, ich habe mich nicht mit den Nullen vertan).

Will man Xenon gewinnen, muss dieser Fast-Nichts-Anteil in einem aufwendigen Verfahren aus der Luft extrahiert werden. Das macht das Gas teuer. Aber es ist auch begehrt. Xenon wird für Leuchtmittel (etwa für Autolampen) eingesetzt, als Lasergas in der Halbleiterindustrie, als Antriebsmittel für Satelliten, in der Medizin als Hightech-Narkosemittel – und wohl bald auch im kommerziellen Achttausender-Bergsteigen.

Körper produziert sprunghaft mehr EPO

Wie berichtet, sollen in der kommenden Frühjahrssaison britischen Kunden des österreichischen Expeditionsanbieters Furtenbach Adventures in nur einer Woche nach Nepal fliegen, den Mount Everest besteigen und wieder heimkehren. Vor dem Trip haben sie sich per Hypoxie-Training vorakklimatisiert. Zusätzlich werden sie in Kathmandu unter medizinischer Aufsicht ein Xenon-Sauerstoff-Gemisch inhalieren. Der Xenon-Anteil soll dabei deutlich niedriger sein als bei Narkosen. Danach, so der Plan, werden die Bergsteiger mit dem Hubschrauber zum Everest-Basislager geflogen, von wo sie sich – mit Flaschensauerstoff und Sherpa-Unterstützung -direkt auf den Weg Richtung Gipfel machen.

Der Effekt des Xenon-Einsatzes: Die Nieren produzieren sprunghaft mehr EPO, was in der Folge für deutlich mehr rote Blutkörperchen sorgt. Gewissermaßen eine Schnell-Akklimatisierung per Inhalation. „Es gibt kein gesundheitliches Risiko“, sagte mir Lukas Furtenbach, der die Methode mehrfach an sich selbst getestet hat.

Mount Everest
Mount Everest (vor Sonnenaufgang, gesehen vom Gokyo Ri)

Dr. Ulf Gieseler, Internist und Kardiologe aus Heidelberg, daneben auch Bergsteiger und Expeditionsarzt, hält diese Aussage für „wagemutig“. So könne ein schneller Anstieg der roten Blutkörperchen dazu führen, dass das Blut eindicke, „da der Hämatokrit (Anteil der Blutzellen in Relation zum gesamten Blutvolumen) unkontrolliert ansteigen kann und so Thrombosen und Lungenembolien vorprogrammiert sind“, schreibt Gieseler in einem Kommentar zu meinem ersten Bericht zum Thema.

Ich hatte bereits zuvor Dr. Michael Fries angeschrieben. Der Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin am St. Vincenz-Krankenhaus in Limburg an der Lahn hatte Furtenbach vor einigen Jahren den Xenon-Tipp gegeben und ihn beraten. Hier sind seine Antworten auf meine drei Fragen:

Ich halte den Einsatz für grundsätzlich sehr bedenkenlos. Xenon wird seit Jahrzehnten medizinisch eingesetzt. Zum einen als Anästhetikum bei Operationen; aber auch im Rahmen von Behandlungen von kritisch Kranken. Nicht zuletzt auch bei bestimmten radiologischen Untersuchungen. Aufgrund der Seltenheit des Gases, was hohe Kosten bedeutet, muss man auf spezielle Geräte zur Applikation zurückgreifen.

Mir ist bei keiner dieser medizinischen Anwendungen eine schwerwiegende, vor allem langfristige Komplikation bekannt geworden. Selten kommt es zu Übelkeit und Erbrechen im Rahmen des akuten Einsatzes (sprich kurz nach der Applikation). Deshalb ist Xenon auch als Anästhetikum von den Behörden zugelassen. Das Misch-Verhältnis wird durch das eingesetzte Gerät überwacht; ebenso die Anwendung durch einen Facharzt gewährleistet. Beide Komponenten sind allerdings essentiell.

Zunächst, ich finde den Begriff „Xenon-Dusche“ auch ein wenig tendenziös. Für alle Substanzen, die AMS (Acute Mountain Sickness) verhindern sollen, liegen keine Studien aus Höhen über 5000 Metern vor. Insofern halte ich vor dem Hintergrund des sehr hohen Sicherheitsprofils von Xenon einen Einsatz für grundsätzlich gerechtfertigt. Zusätzlich möchte ich ergänzen, dass die Gabe von Xenon nur ein Bestandteil der Vorbereitung auf große Höhen ist. Der Artikel der FT (die Financial Times hatte als erstes Medium darüber berichtet) suggeriert, dass das Unterfangen nur durch den Einsatz von Xenon möglich ist. Das ist so nicht korrekt.

Absolut. Nur ein in der Anwendung geschulter Arzt mit dem entsprechenden Equipment wird in der Lage sein, eine adäquate und ausreichende Gabe durchzuführen. Wie oben beschrieben. Dann ist der Einsatz in meinen Augen bedenkenlos.

Eine Antwort auf „Xenon-Einsatz bei Everest-Kurztrip: „Geschulter Arzt mit entsprechendem Equipment ist zwingend nötig““

  1. In Ergänzung meines Kommentares zum vorigen Beitrag, möchte ich hier hinzufügen, dass der Einsatz von Xenon innerhalb einer Klinik und Überwachung mit allen dort zur Verfügung stehenden Möglichkeiten sicher funktioniert, besagt ja nun aber nicht zwangsläufig, dass das auch am Everest gut geht.
    Bekannt ist, dass Erythropoetin in der Höhe oberhalb von 1500-2000 m für 2-4 Tage ansteigt. Folge ist ein langsamer Anstieg der roten Blutkörperchen. Da sich die Bergsteiger zu Hause vorakklimatisieren, steigt das Erythropoetin eh schon vorher an. Wir wissen aber, dass gerade am Anfang in der Höhe dadurch und bei zu wenig Flüssigkeitszufuhr, der Hämatokrit ansteigt.
    Durch Xenoninhalation steigen die roten Blutkörperchen schnell an.
    Meine Frage dazu, wer kontrolliert denn im BC und den Hochlagern den Hämatokrit? Es wurde ja die Aussage getroffen, ein Arzt ist absolut erforderlich! Geht der also mit in Richtung Gipfel und kontrolliert diese Werte? Wie lange dauert die Wirkung von Erythropoetin nach Xenongabe an?
    Ich finde es schon mehr als bedenklich, sich auf solche Experimente ohne irgendwelche Erfahrung einzulassen!
    So könnte man ja ein solches Experiment in einer hypobaren Hypoxiekammer mit schnellem Anstieg auf 7 und 8000 m mal testen. Wurde das jemals gemacht?
    Und der Vergleich vom Einsatz von Medikamenten auf 5000 m bei einer AMS und dem Einsatz von Xenon, ist Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
    Ich bin gespannt, wie dieser Versuch ausgeht. Natürlich war es oft in der Medizin so, dass man etwas für unmöglich hielt und heute selbstverständlich ist. Erinnere nur an Messner/Habeler ohne Sauerstoff auf den Everest, hat damals die gesamte Wissenschaft für unmöglich gehalten – und es funktionierte doch.

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