Die Corona-Krise lässt die Schere zwischen dem, was sein könnte und tatsächlich ist, weit auseinandergehen. Theoretisch wäre die Bergsteigersaison im Karakorum jetzt in vollem Gange. Anfang des Jahres hatten noch 25 Expeditions-Teams Permits für die fünf Achttausender Pakistans und andere Berge im Norden des Landes beantragt. Gekommen ist niemand.
„Pakistan ist komplett offen, auch die Flughäfen, aber es gibt überhaupt keinen Tourismus“, schreibt mir Mirza Ali Baig, Chef des Veranstalters Karakorum Expeditions. „Der Sommer-Abenteuertourismus steht vor dem Aus. Es gibt keine Möglichkeit zum Bergsteigen, auch Trekking findet nicht statt. Nicht einmal eine einzige lokale Gruppe.“
2020 droht für die Expeditions- und Trekkingveranstalter in Nepal ein schwarzes Jahr zu werden. Erst brach ihnen wegen des Corona-Lockdowns die komplette Frühjahrssaison weg, jetzt droht dasselbe für den Herbst. Noch vor wenigen Tagen hatten erste Veranstalter wie Imagine Nepal Achttausender-Expeditionen für Anfang September ausgeschrieben. So wollte das Unternehmen von Mingma Gyalje Sherpa Bergsteiger auf die Gipfel des Manaslu und des Dhaulagiri führen. „Wir gingen davon aus, die Expeditionen durchziehen zu können, die Buchungslage war ganz gut“, antwortet Mingma auf meine Anfrage, ob es ausreichend Interessenten für die Expeditionen gebe.
Immerhin, noch glimmt ein kleiner Funke Hoffnung auf eine wenigstens bescheidene Herbstsaison im Himalaya. Das nepalesische Tourismusministerium plant nach eigenen Angaben, vom 1. August an wieder ausländische und inländische Flüge zuzulassen – unter Sicherheitsauflagen. Noch sind wegen des Corona-Lockdowns alle Flüge nach und in Nepal bis mindestens 5. Juli untersagt. Seit Anfang der Woche bearbeitet die Regierung auch wieder Visaanträge – allerdings geht es erst einmal darum, Visa von Ausländern, die in Nepal leben, zu verlängern.
Plötzlich spricht alle Welt über Dexamethason – ein Medikament, das Höhenbergsteiger und Trekkingurlauber, die im Himalaya oder Karakorum unterwegs sind, seit langem kennen. Eine britische Studie hat nach Angaben der beteiligten Wissenschaftler ergeben, dass die Todesrate bei künstlich beatmeten COVID-19-Patienten um etwa ein Drittel sank, wenn ihnen die Ärzte Dexamethason verabreicht hatten. Bei einem milden Krankenheitsverlauf zeigte das Steroid allerdings keine Wirkung. Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock sprach von „brillanten Neuigkeiten“, Tedros Adhanom Ghebreyesus, Präsident der Weltgesundheitsorganisation WHO von einem „lebensrettenden wissenschaftlichen Durchbruch“. Deutsche Wissenschafter warnen vor voreiliger Euphorie. So müssten auch die Nebenwirkungen des Medikaments berücksichtigt werden. Außerdem sei es offenkundig nur bei schweren Verläufen hilfreich und ersetze keinen Impfstoff, der weiterhin nötig sei.
Die Kurven sprechen eine eindeutige Sprache. Laut der John-Hopkins-Universität in den USA, die alle offiziell gemeldeten Coronavirus-Fälle weltweit registriert, ist der Höhepunkt der Pandemie in Nepal noch nicht erreicht. Seit Anfang Mai steigt die Kurve kontinuierlich an – rund 5000 Infektionen wurden bisher registriert, 16 COVID-19-Todesfälle. Die Dunkelziffer dürfte sehr hoch sein, angesichts der vergleichsweise niedrigen Zahl an Coronavirus-Tests. Gestern beendete die Polizei in Kathmandu mit Wasserwerfern eine Kundgebung von rund 1000 Menschen vor dem Haus von Ministerpräsident Khadga Prasad Oli. Die Demonstranten hatten unter anderem mehr Corona-Tests als bisher gefordert. Der strenge Lockdown in Nepal ist seit dem 24. März in Kraft und gilt vorerst bis diesen Sonntag. Oli hat leichte Lockerungen angekündigt.
Erfolgreicher Bergsteiger-Funktionär und -Unternehmer
„Wir öffnen den Tourismus, weil diese drei bis vier Monate wichtig für die Menschen sind, die vom Tourismus leben. Andernfalls wird an diesen Orten die Arbeitslosigkeit steigen“, kündigte Pakistans Ministerpräsident Imran Khan Anfang der Woche überraschend an. Der frühere Cricket-Superstar des Landes, der seit August 2018 Regierungschef ist, nannte dabei ausdrücklich die nördlichen Provinzen Gilgit-Baltistan und Khyber Pakhtunkhwa. Dort liegen die höchsten Berge Pakistans, inklusive der fünf Achttausender K2, Broad Peak, Gasherbrum I, Gasherbrum II und Nanga Parbat.
Die Provinzregierungen, so Khan, würden gemeinsam Regelungen treffen, unter denen die Tourismusindustrie wieder geöffnet werden könne. Das klang fast, als könnte die Sommer-Bergsteigersaison im Karakorum wider Erwarten doch noch gerettet werden – trotz der Coronavirus-Pandemie. Doch in den angesprochenen Regionen regt sich Widerstand.
Everest-Legende Apa Sherpa macht sich in der Corona-Krise Sorgen um die Menschen in seinem Heimatdorf Thame. „Wenn auch die Herbstsaison ausfällt und ihnen die wenigen Ersparnisse, die sie haben, ausgehen, bin ich nicht sicher, was passieren wird“, schreibt mir der 60-Jährige, der bis zu seinem Karriereende 2011 insgesamt 21-mal den Gipfel des Mount Everest erreichte. „Die einzige Einkommensquelle für die meisten Menschen in der Region ist der Tourismus. Wenn also keine Touristen kommen, könnte es schlecht ausgehen. Ich hoffe, das ist nicht der Fall.“
Apa lebt mit seiner Familie in Salt Lake City in den USA. Mit seiner Stiftung unterstützt er die Menschen im Everest-Gebiet, auch in Thame, wo er noch kürzlich Spendengelder verteilen ließ, um die Grundversorgung sicherzustellen. Aus dem Dorf kommen traditionell viele Climbing Sherpas, die ihr Geld am höchsten Berg der Erde verdienen, unter anderen auch der aktuelle Everest-Rekordhalter Kami Rita Sherpa, der bisher 24-mal auf dem Gipfel stand. „Noch ist die Lage in Thame gut“, sagt Apa Sherpa. Die Betonung liegt auf noch, denn die Corona-Krise dauert an.
Lebensmittelhilfe für die Ärmsten hat begonnen
Auch Mingma Norbu Sherpa, Geschäftsführer des Himalayan Trust in Nepal, sieht mit einigen Sorgen dem Herbst entgegen. Die Hilfsorganisation wurde vor 60 Jahren von Everest-Erstbesteiger Sir Edmund Hillary gegründet und hat im Khumbu-Gebiet zahlreiche Schulen, Krankenhäuser und andere Infrastrukturprojekte finanziert (s. Video unten). Der deutsche Ableger des Himalayan Trust, die Sir Edmund Hillary Stiftung Deutschland, feiert 2020 übrigens seinen 30. Geburtstag.
Mingma Norbu, wie ist aktuell die Stimmung unter den Menschen in der Khumbu-Region?
Der nepalesische Bergsteigerverband NMA schlägt Alarm. „Die Krise verschärft sich und wird noch schlimmer werden“, sagte NMA-Präsident Santa Bir Lama der in Kathmandu erscheinenden Zeitung „The Himalayan Times„: „Es sieht so aus, als gäbe es in der kommenden Herbst- oder Wintersaison keine Trekking- und Bergsteigeraktivitäten. Tausende von Menschen, die von touristischen Aktivitäten und Produkten abhängig sind, werden nicht in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.“ Mehr als 3500 Reise- und 2600 Trekkingagenturen hätten wegen des landesweiten Lockdowns ihre Arbeit eingestellt.
Normalerweise wären jetzt die Basislager an den Achttausendern in Nepal und Tibet bezogen, die Akklimatisierungphase liefe. Und bei jenen Teams, die sich im Sommer auf den Weg zu den Achttausendern in Pakistan machen wollten, würden die letzten Vorbereitungen getroffen. Doch was ist schon normal in diesen Zeiten der Corona-Krise? An den höchsten Bergen Nepals läuft gar nichts. Am Wochenende verlängerte die nepalesische Regierung den Lockdown wegen der Coronavirus-Pandemie bis mindestens 7. Mai. In Tibet hat lediglich eine chinesische Expedition mit 21 Teilnehmern die Genehmigung erhalten, den Mount Everest zu besteigen. Dem Vernehmen nach sind die tibetischen Bergsteiger, die die Route präparieren, im vorgeschobenen Basislager. Wie hoch sie inzwischen am Berg vorgedrungen sind, wurde bisher nicht kommuniziert.
Große Ungewissheit
Und ob in diesem Sommer an den Bergriesen in Pakistan wirklich Expeditionen ihre Zelte aufstellen werden, ist weiter ungewiss. „Es herrscht große Ungewissheit, aber auch ein bisschen Hoffnung“, schreibt mir Mirza Ali, Chef des pakistanischen Veranstalters Karakorum Expeditions. Die Einschränkungen, die verhängt wurden, um die Infektionen einzuschränken, seien im Norden Pakistans etwas gelockert worden. Doch selbst im Falle, dass die pakistanische Regierung Expeditionen zu K2, Nanga Parbat und Co. zulassen sollten – werden die ausländischen Kunden auch wirklich kommen? Veranstalter im deutschsprachigen Raum halten sich zwar noch alle Optionen offen, eine gewisse Skepsis ist jedoch unverkennbar.
Die Menschen in Jalandhar trauten ihren Augen nicht. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten konnten die Einwohner der Stadt im nordindischen Bundesstaat Punjab die mehr als 100 Kilometer entfernten, bis knapp 6000 Meter hohen Berge der Dhauladhar-Kette im Himalaya sehen. Knapp zwei Wochen zuvor hatte die indische Regierung eine der weltweit strengsten Ausgangssperren wegen der Corona-Pandemie angeordnet. Das öffentliche und wirtschaftliche Leben in Indien steht seit dem 24. März weitgehend still. Und damit hat sich auch die Qualität der Luft verbessert.
In der Hauptstadt Neu Delhi ist die Feinstaubbelastung in den vergangenen drei Wochen um etwa die Hälfte gesunken. Die sonst allgegenwärtige Dunstglocke ist verschwunden, wie in vielen anderen indischen Städten auch. Und so konnten die Menschen in Jalandhar eben plötzlich den Himalaya sehen.
Gute Sicht auch in Kathmandu
Auch im Kathmandu-Tal dürften sich derzeit viele Menschen verwundert die Augen gerieben haben. Dort führt der landesweite „Lockdown“ wegen der Corona-Pandemie ebenfalls zu ungewohnt klarem, blauem Himmel und freier Sicht auf die Berge des Himalaya, die man sonst in der Regel erst genießen kann, wenn man das Tal verlassen hat, in dem die nepalesische Hauptstadt liegt.
Auch in Nepal steht das Leben wegen der Corona-Pandemie weiter still. Die Regierung verlängerte den seit zwei Wochen andauernden „Lockdown“ in dem Himalaya-Staat bis mindestens 15. April. Nach wie vor verlassen Flugzeuge mit „gestrandeten“ Touristen Nepal. So steht für Mittwoch der vierte und vorerst letzte Rückholflug für deutsche Staatsbürger auf dem Programm. Die deutsche Botschaft in Kathmandu appellierte an die noch im Land weilenden deutschen Touristen und Personen mit Gesundheitsrisiko, diese Gelegenheit zu nutzen. Im Falle einer Erkrankung oder eines Notfalls sei „nur extrem begrenzte Hilfe vom nepalesischen Gesundheitssystem“ zu erwarten, schrieb die Botschaft auf Facebook.
Bisher (Stand 7. April, 16 Uhr MESZ) wurden in Nepal nur neun Infektionen mit dem Coronavirus registriert. Das sollte allerdings sollte nicht dazu verleiten, die Gefahr zu unterschätzen. Bis zum gestrigen Montag wurden schließlich in dem Land auch nur insgesamt knapp 1700 Menschen auf das Virus getestet.
Keine Alternative zum Lockdown
„Meiner Meinung nach ist der Lockdown die richtige Entscheidung, denn hier im Khumbu gibt es kein geeignetes Krankenhaus, sollte sich jemand anstecken“, schreibt mir Ang Dorjee Sherpa. „Die Gesundheit jedes Menschen ist ein hohes Gut.“ Der 51-Jährige führt in Namche Bazaar, dem Hauptort des Everest-Gebiets die „AD Friendship Lodge“: „Jeder hier lebt vom Tourismus. Viele Familien sind besorgt, weil sie keine Einkünfte mehr haben, und angespannt, wenn ihre Kinder zur Ausbildung in der Stadt weilen.“
Was mancher Kritiker des kommerziellen Bergsteigens am Mount Everest in der Vergangenheit gefordert hat, bewirkt nun die Corona-Krise: Nur ein einziges Team darf sich in diesem Frühjahr am höchsten Berg der Erde versuchen. Die chinesisch-tibetischen Behörden hatten den Everest wegen der Corona-Pandemie für ausländische Expeditionen geschlossen, für einheimische gilt das Verbot jedoch nicht. Und so gibt es wohl in diesem Frühjahr einen chinesischen Versuch über die tibetische Nordseite des Bergs.
Dem Vernehmen nach gehören dem Team des Veranstalters Yarlo Shampo Expeditions 26 Mitglieder an, darunter sechs Frauen. Wie aus Tibet zu hören ist, sollten sie heute das vorgeschobene Basislager auf gut 6400 Metern erreichen, unterhalb des Nordsattels. Es habe mehr geschneit als in den vergangenen Jahren, heißt es.
Es klang wie jetzt oder nie. „An alle Australier in Nepal, das ist der letzte Aufruf für alle, die nach Australien zurückkehren wollen“, schrieb der australische Botschafter Pete Budd in dem Himalaya-Staat gestern auf Twitter. „Wenn du das Land verlassen willst, musst du dich sofort entscheiden, innerhalb der nächsten Stunden. Es wird keinen anderen Flug nach Australien geben.“ Heute hob die Maschine vom Flughafen Kathmandu Richtung Down Under ab.
Mal überfällt er seine Opfer, mal schleicht er sich an – der Tod hat viele Gesichter. Im Januar sprang ihm der italienische Bergsteiger Simone Moro gerade noch von der Schippe. Am Achttausender Gasherbrum I in Pakistan stürzte der 52-Jährige 20 Meter tief in eine Gletscherspalte. Seine Partnerin Tamara Lunger aus Südtirol konnte den Sturz mit dem Seil bremsen. Nach zwei Stunden kroch Simone wieder über den Spaltenrand. Beide zogen sich leichte Verletzungen zu, beendeten ihre Winterexpedition und kehrten nach Italien zurück.
Was Moro in seiner Heimatstadt Bergamo in diesem März erwarten würde, konnte er da noch nicht ahnen. Bergamo steht aktuell weltweit stellvertretend für die tödliche Gefahr durch das Coronavirus: In der Provinz um die norditalienische Stadt sterben derzeit täglich zwischen 100 und 120 Menschen an dem Covid-19-Virus. Simone hält sich in Südtirol auf, wo er meine Fragen beantwortet hat.
Simone, die wichtigste Frage in diesen Tagen des Coronavirus zuerst: Wie geht es dir?
Auch Nepal schottet sich wegen der Corona-Krise ab. Im ganzen Land wurde für zunächst eine Woche die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Vor die Tür darf seit heute nur noch, wer unbedingt zur Arbeit, einkaufen oder einen Arzt aufsuchen muss. Die Grenzen nach Indien und China bleiben geschlossen, nur Warentransporte dürfen passieren. Der Luftraum über Nepal ist für internationale und Inlandsflüge gesperrt. Eine Ausnahme gilt für Flugzeuge der Sicherheitskräfte.
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