Normalerweise wären jetzt die Basislager an den Achttausendern in Nepal und Tibet bezogen, die Akklimatisierungphase liefe. Und bei jenen Teams, die sich im Sommer auf den Weg zu den Achttausendern in Pakistan machen wollten, würden die letzten Vorbereitungen getroffen. Doch was ist schon normal in diesen Zeiten der Corona-Krise? An den höchsten Bergen Nepals läuft gar nichts. Am Wochenende verlängerte die nepalesische Regierung den Lockdown wegen der Coronavirus-Pandemie bis mindestens 7. Mai. In Tibet hat lediglich eine chinesische Expedition mit 21 Teilnehmern die Genehmigung erhalten, den Mount Everest zu besteigen. Dem Vernehmen nach sind die tibetischen Bergsteiger, die die Route präparieren, im vorgeschobenen Basislager. Wie hoch sie inzwischen am Berg vorgedrungen sind, wurde bisher nicht kommuniziert.
Große Ungewissheit
Und ob in diesem Sommer an den Bergriesen in Pakistan wirklich Expeditionen ihre Zelte aufstellen werden, ist weiter ungewiss. „Es herrscht große Ungewissheit, aber auch ein bisschen Hoffnung“, schreibt mir Mirza Ali, Chef des pakistanischen Veranstalters Karakorum Expeditions. Die Einschränkungen, die verhängt wurden, um die Infektionen einzuschränken, seien im Norden Pakistans etwas gelockert worden. Doch selbst im Falle, dass die pakistanische Regierung Expeditionen zu K2, Nanga Parbat und Co. zulassen sollten – werden die ausländischen Kunden auch wirklich kommen? Veranstalter im deutschsprachigen Raum halten sich zwar noch alle Optionen offen, eine gewisse Skepsis ist jedoch unverkennbar.
Kunden verschieben Pläne auf 2021
„Zurzeit ist alles Kaffeesatz-Leserei und es für ehrliche Aussagen noch zu früh“, schreibt mir Dominik Müller, Chef des deutschen Expeditionsveranstalters Amical alpin. Viele Kunden hätten allerdings ihre Pläne auf 2021 verschoben. Das bestätigt auch Kari Kobler für sein Schweizer Unternehmen Kobler & Partner: „Wir sind in der glücklichen Lage, dass es fast keine Stornierungen gab. 90 Prozent der Gäste haben ihre Reisen jedoch auf 2021 verschoben.“ Auch der österreichische Anbieter Furtenbach Adventures macht da keine Ausnahme. „Wir haben viele Kunden, die auf nächstes Jahr verschieben. Einige wollen noch abwarten, ob im Karakorum im Sommer etwas geht“, schreibt mir Lukas Furtenbach. „Wir sind zwar bereit, falls man eine Expedition vernünftig und sicher durchführen kann, ich persönlich glaube aber nicht daran.“
Moralisch vertretbar?
Es gebe zu viele ungeklärte Faktoren, die dagegen sprächen, so Furtenbach. Etwa ob überhaupt eine Ausreise aus den Herkunftsländern und eine Einreise nach Pakistan möglich seien, ob der Materialtransport aus Europa und Nepal nach Pakistan gewährleistet werden könne, oder auch wie es mit der Bewegungsfreiheit und den Quarantänevorschriften aussehe. „Und letztendlich auch das nicht unerhebliche Risiko einer COVID-19-Infektion im Basecamp oder am Berg, wo die Lunge ja ohnehin schon belastet ist. Und selbst wenn man hinreisen darf, wer will das dann wirklich? Wer möchte das Risiko eingehen? Ist es moralisch vertretbar? Ich glaube diese Fragen kommen dann auch schnell auf.“
Eine Zurückhaltung der Kunden zeichnet sich nach Furtenbachs Worten auch für die Herbstsaison in Nepal ab. „Die Nepalesen glauben zwar alle an eine normale Herbstsaison, aber ich denke, es wird nicht viele Leute geben, die kommen. Sofern es überhaupt möglich sein wird, im August und September nach Nepal zu reisen.“ Kari Kobler klingt in diesem Punkt etwas optimistischer: „Im Herbst sind wir sehr zuversichtlich, dass alles wie geplant vonstattengeht.“
80 Prozent Stornierungen in Nepal
Doch auch in Nepal werden skeptische Stimmen laut. Dawa Steven Sherpa, Chef des großen nepalesischen Anbieters „Asian Trekking“, bestätigt mir, dass viele seiner Kunden für den Herbst abgesagt hätten und lieber im nächsten Jahr kommen wollten. Auch Dawas Vater Ang Tshering Sherpa, warnte unlängst davor, übertriebene Hoffnungen auf den Herbst zu setzen. „Tourismusunternehmer berichten, dass 80 Prozent aller Buchungen für die kommende Herbstsaison storniert wurden“, schrieb der frühere Präsident des nepalesischen Bergsteigerverbands NMA auf Facebook. „Dies hat viele Tourismusunternehmer und -angestellte in Nepal in einen Zustand der Unsicherheit und Ungewissheit versetzt. Dieser wurde noch dadurch verschlimmert, dass es die Regierung bisher versäumt hat, substanzielle Hilfspakete zur Rettung von Unternehmen und Arbeitsplätzen in dieser Branche anzukündigen.“
Im vergangenen Jahr habe der Bergtourismus noch 75,6 Milliarden nepalesische Rupien (rund 570 Millionen Euro) in die Kassen gespült. „Da es sich bei der Pandemie um ein globales Phänomen handelt, das sich weltweit auf die Wirtschaft auswirkt, wird es mehr als nur ein paar Jahre dauern, bis sich der Tourismus in Nepal vollständig erholt“, erwartet Ang Tshering Sherpa. Auch Expeditionsveranstalter Lukas Furtenbach rechnet mit länger anhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie: „Ich glaube, dass selbst 2021 eher verhalten wird und weniger Leute auf Expeditionen sein werden. 2022 wird es dann eine Rückkehr zur Normalität geben.“