Die alpinistische Musik spielt derzeit nicht an den Achttausendern, sondern an niedrigeren Gipfeln. Das zeigen auch die drei bahnbrechenden Klettertouren, die in diesem Jahr mit Piolets d’Or ausgezeichnet werden. Die „Oscars des Bergsteigens“ werden am 15. November in Briancon in den französischen Alpen verliehen.
Jeweils einen Goldenen Eispickel erhalten drei Teams, die an Sechstausendern extrem anspruchsvolle Routen eröffnet haben. Bereits auf der Longlist, der Vorauswahl der 53 „bemerkenswerten Anstiege“ (significant ascents) des Jahres 2022, waren weder Touren an Achttausendern noch an Siebentausendern aufgetaucht, dafür aber 16 neue Routen an Sechstausendern. Den letzten Piolet d’Or für einen Achttausender-Aufstieg hatten 2018 die beiden Tschechen Marek Holecek und Zdenek Hak erhalten, nachdem sie erstmals durch die komplette Südwestwand des Gasherbrum I im Karakorum geklettert waren.
Gipfel überschritten
Die beiden Briten Paul Ramsden und Tim Miller werden in Briançon für ihre Erstbesteigung des 6563 Meter hohen Jugal Spire – auch bekannt als Dorje Lhakpa II – im Osten des nepalesischen Nationalparks Langtang ausgezeichnet. Sie kletterten im Alpinstil durch die steile, felsige Nordwand des Bergs, überschritten den Gipfel und stiegen über die Süd- und dann die Westseite des Bergs wieder ab.
Für Paul ist es bereits der fünfte Piolet d’Or seiner Karriere. Der 54-Jährige ist damit der am häufigsten mit dem renommierten Preis geehrte Bergsteiger. Bisher hatte sich Ramsden den „Titel“ mit dem diesjährigen Paul-Preuss-Preisträger Marko Prezelj aus Slowenien geteilt, der viermal ausgezeichnet worden war. „Stil ist alles, ohne einen sauberen Stil wird Klettern zu einer bedeutungslosen körperlichen Aktivität“, sagte mir Paul vor einigen Jahren. „Guter Stil bedeutet für mich, im reinen Alpinstil zu klettern, kleines Team, keine Bohrhaken, keine Fixseile, keine Unterstützung von außen.“
„Elegante Linie“
Ebenfalls eine Erstbesteigung gelang den Franzosen Christophe Ogier, Victor Saucede und Jerome Sullivan. Sie standen als Erste auf dem 6850 Meter hohen Pumari Chhish East, dem niedrigsten der drei Pumari-Chhish-Gipfel im Karakorum in Pakistan. Das Trio stieg durch die Südwand und den Westgrat zum höchsten Punkt, über eine „elegante Linie, eine Linie der Stärke, die voller Ungewissheit war, bei einem der großen ungelösten (alpinistinischen) Probleme Pakistans“, wie es in der Begründung der siebenköpfigen Jury heißt, zu der auch die deutsche Topkletterin Ines Papert gehörte.
Der dritte Piolet d’Or geht in diesem Jahr an die beiden Kanadier Alik Berg and Quentin Roberts, denen in den peruanischen Anden eine neue spektakuläre Route auf den 6094 Meter hohen Jirishanca gelang. Sie meisterten im Alpinstil erstmals den steilen Südsüdost-Pfeiler des Bergs, der wegen seiner schönen Form auch das „Matterhorn Perus“ genannt wird.
Segeltörn und Klettertour
Eine besondere Erwähnung der Jury erhielt eine Frauen-Expedition nach Grönland. Die acht Frauen aus Frankreich, Spanien, Argentinien, Österreich und der Schweiz segelten mit einer 15-Meter-Yacht von La Rochelle aus sechs Wochen lang bei teilweise schlechtem Wetter und durch Packeis an die grönländische Ostküste. Dort meisterten dann Capucine Cotteaux (Frankreich), Caro North (Schweiz), and Nadia Royo (Spanien) erstmals die extrem steile und schwierige Ostwand des 1527 Meter hohen Northern Sun Spire. Anschließend segelte das Team in vier Wochen zurück nach Frankreich.