Ein roter Punkt. Ist das alles, was von Kurt Albert geblieben ist? Vor zehn Jahren starb der Pionier des Sportkletterns – bei einem Sturz auf einem Klettersteig in seiner Heimat, im Frankenjura. Er wurde nur 56 Jahre alt. Kurt gilt als „Vater des Rotpunkt-Kletterns“. Immer, wenn er eine Route im Frankenjura in einem Zug frei kletternd gemeistert hatte, malte er am Einstieg einen roten Punkt auf den Fels. Heute weiß weltweit jeder Sportkletterer, was es bedeutet, wenn eine Wand Rotpunkt geklettert wurde. Doch Kurt Albert war so viel mehr als nur ein Felsbepinseler. Er war einer der besten Felskletterer seiner Zeit, Kurt war ein Clown, ein Philosoph, ein Mathematiker, ein Musiker, ein Lebenskünstler – kurz ein Original. Ein Typ, der in viele Schubladen zu passen schien, aber eigentlich in keine gehörte. „Mein Leben ist eine Kette gebrochener Vorsätze“, wie er es selbst einmal beschrieb.
Eine Zeit- und Weltreise
Tom Dauers Biographie über Kurt Albert ist viel mehr als nur eine Biographie über einen „Virtuosen der Alltagsuntauglichkeit“. Es ist eine Zeitreise durch die Geschichte des Sportkletterns, ein Wiederlesen mit legendären Kletterern wie Wolfgang Güllich, Jerry Moffat oder Bernd Arnold. Wir tauchen ein in das legendäre „Hotel Frankenjura“, eine Doppelhaushälfte, die zum Treffpunkt der internationalen Kletterszene wurde. Wir reisen ins Karakorum nach Pakistan, um mit Güllich und Albert die legendäre Route „Eternal Flame“ am Trango Tower zu eröffnen. Wir sitzen in Patagonien gemeinsam mit Kurt und seinen Teamgefährten wochenlang schlechtes Wetter aus, um dann doch noch Glanzlichter an den dortigen Granitwänden zu setzen. Wir paddeln mit Albert und Stefan Glowacz durch den Norden Kanadas, durch die Fjorde Grönlands und wühlen uns durch den Dschungel Venezuelas.
Rotpunkt gelesen
Dauer, eine Edelfeder unter den Alpinjournalisten, hat Kurt Albert mit seinem Buch ein kleines literarisches Denkmal gesetzt. Brillant geschrieben, packend von der ersten bis zur letzten Seite. Die Recherche war eine Fleißarbeit, da Kurt ein eher fauler Schreiber war und nicht allzu viele Texte hinterlassen hat. Seine Spuren finden sich an senkrechten oder überhängenden Felswänden auf der ganzen Welt – und in den Erinnerungen seiner engsten Freunde und Weggefährten. Dauer hat viele von ihnen besucht, sie über Kurt ausgefragt, ihnen auch Anekdoten entlockt, über die ich herzlich gelacht habe. „Kurt war ein Mensch, der sich nur scheibchenweise erschlossen hat“, sagt Bernd Arnold über seinen Freund und Kletterpartner Albert. Mir hat sich Kurt seitenweise erschlossen. Und ich habe dieses Buch Rotpunkt gelesen: Frei und in einem Zug.