Eigentlich versteht es sich von selbst. Einen Oscar-gekrönten Film zu empfehlen, ist in etwa so, als würde man einem Besucher des Yosemite-Nationalparks nahelegen, sich den El Capitan anzusehen. Aber den nun folgenden Filmtipp habe ich verfasst, bevor
„Free Solo“ in der vergangenen Nacht in Los Angeles als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. Ehrlich!
Alle haben Angst um Alex. Seine Freundin Sanni, sein Freund und Trainingspartner Tommy Caldwell, die Kamera-Crew. „Alex hat den besten Tag seines Lebens, ich nicht“, sagt Kameramann Mickey Schäfer und dreht seinem Arbeitsgerät den Rücken zu. „Ich kann nicht mehr.“ Mit einem Superteleobjektiv filmt er den Aufstieg des US-Kletterers Alex Honnold am legendären Granitriesen El Capitan über die Route „Free Rider“. Alexander Huber eröffnete sie 1995, drei Jahre später kletterten er und sein Bruder Thomas die Route Rotpunkt, also frei und in einem Zug.
Meilenstein im Felsklettern
Honnold setzt noch eins drauf. Alex ist free solo unterwegs, also im Alleingang, dazu komplett ohne Sicherung. Kein Haken, kein Seil, nichts. 1000 Meter, 38 Seillängen im oberen zehnten Grad, im extrem steilen, teilweise auch überhängenden, oft fast grifflosen Fels. Niemals zuvor hat ein Kletterer eine Route am „El Cap“ free solo gemeistert. Honnold gelingt das Kunststück am 3. Juni 2017. Nach knapp vier Stunden betritt er das Gipfelplateau. Ein Meilenstein im Felsklettern. „Ich bin so froh“, sagt Alex, als er unmittelbar danach mit Sanni telefoniert. „Ich fühle mich emotional ziemlich berührt.“ So wirkt er allerdings nicht. Eher abgeklärt – dafür, dass er gerade vier Stunden lang dem Tod ins Auge gesehen hat.
„Wenn du nicht gewinnst, stirbst du“
Der Dokumentarfilm begleitet Alex und sein Umfeld bei seinem bis dato spektakulärsten Kletterprojekt, von der Planungsphase über das Training bis zur Umsetzung. Am Free Solo scheiden sich die Geister, selbst unter Bergenthusiasten. Einerseits handelt es sich um die reinste Form des Kletterns, die fairste nur mögliche Auseinandersetzung zwischen Fels und Mensch. Andererseits ist es auch die gefährlichste. Honnold vergleicht es im Film mit einem Versuch, bei Olympischen Spielen Gold zu holen: „Wenn du nicht gewinnst, stirbst du.“ Oder so: „Wenn ich aus 50 Metern abstürzen würde, würde mein Körper explodieren.“ Schon in den ersten Minuten des Films habe ich mich gefragt, wie jemand gestrickt sein muss, um ein solches Wagnis einzugehen.
Streben nach Perfektion
„Man braucht einen mentalen Panzer“, sagt Alex‘ Freund Tommy Caldwell. Honnold hat sich diesen Panzer zugelegt. Vielleicht wurde er ihm aber auch umgelegt. In seiner Familie habe man sich nie umarmt, erzählt Alex. Niemand habe das Wort Liebe in den Mund genommen. Stattdessen sei es nur um Leistung gegangen. „Fast zählt nicht“, habe das Motto seiner Mutter gelautet. Das Streben nach Perfektion treibe ihn an, sagt Alex. Auch wenn diese Perfektion nur einen Moment lang andauere.
Manchmal möchte man ihn als Zuschauer durchschütteln: „Wach auf, Alex! Genieße einfach mal das Leben, ohne es zu riskieren!“ Seine Freundin Sanni versucht, ihn in diese Richtung zu bewegen. Aber hat sie eine realistische Chance? Vor Publikum sagt Alex Sätze wie: „Ich würde das Klettern immer einer Lady vorziehen.“ Oder er macht Sanni klar, dass die „Maximierung von Lebenszeit“ definitiv nicht zu seinen Prioritäten gehöre.
Angstschweiß auf der Stirn
„Free Solo“ ist ein überaus spannender Film. Nicht nur wegen der atemberaubenden Kletterszenen, die von Jimmy Chin und seinem Kamera-Team, allesamt Profikletterer, glänzend in Szene gesetzt sind, und die einem schon beim Zusehen die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Sondern auch wegen der menschlichen Geschichte hinter Honnolds waghalsigem Projekt. Man will einfach hinter Alex‘ mentalen Panzer sehen. Ein wenig Einblick gewährt er tatsächlich.
„Free Solo“ solltet ihr auf keinen Fall verpassen! Und damit euch die Kletterszenen auch so richtig unter die Haut gehen, empfehle ich euch, den Film unbedingt auf einer großen Kinoleinwand anzusehen.
P.S.: Kinostart von „Free solo“ in Deutschland ist am 21. März.
P.P.S.: Ich traf Alex im Oktober 2017 beim International Mountain Summit in Brixen in Südtirol. Solltet ihr mein Interview mit ihm damals verpasst haben, einfach hier klicken.