Stellt euch auf Blankeis im Western Cwm und in der Lhotseflanke ein – und auf breite Gletscherspalten! Das könnte man den Bergsteigerinnen und Bergsteigern zurufen, die in diesem Frühjahr versuchen wollen, den Mount Everest zu besteigen.
„Der Schneemangel, über den ich auch schon im letzten Winter berichtet habe, wird dazu führen, dass Gletscherspalten weniger gefüllt oder offener sind und dass es mehr Blankeis-Hänge gibt“, schreibt mir Mauri Pelto. „Dies kann sich durch Stürme im Spätwinter oder Frühjahr verändern, aber das ist nicht zu erwarten.“ Bereits in der Everest-Frühjahrssaison 2024 hatte der Wissenschaftler auf viel Blankeis und Firnhänge im Western Cwm und in der Lhotseflanke und damit auf eine erhöhte Steinschlaggefahr hingewiesen. In einem ähnlichen Zustand präsentiert sich der Khumbu-Gletscher aktuell (s. Bild unten).

Schneegrenze steigt selbst im Winter
Seit 1989 arbeitet der Professor für Umweltwissenschaften am Nichols College in der Kleinstadt Dudley im US-Bundesstaat Massachussets. In seinem Blog „From a Glaciers Perspective“ beschreibt Pelto regelmäßig, wie sich der Klimawandel auf Gletscher weltweit auswirkt. Unter anderem wertet der Glaziologe dafür Satellitenaufnahmen der NASA aus, die er permanent vergleicht. So ermittelte er, dass in diesem Winter die Schneegrenze – also die Grenze zwischen schneebedecktem und schneefreiem Gelände – im Gebiet um den Mount Everest zwischen dem 11. Dezember 2024 und dem 28. Januar 2025, also innerhalb von rund anderthalb Monaten, um rund 150 Meter angestiegen ist: von etwa 5950 auf 6100 Meter.
Erstmals hatte Pelto 2020/21 im Everest-Gebiet das Phänomen der steigenden Schneegrenze im Winter festgestellt, damals um rund 100 Höhenmeter.
Davor hatte sich die Grenze kaum oder gar nicht bewegt, da die Schmelze in der kalten Jahreszeit stoppte. Seit 2021 jedoch waren selbst der Nangpa La (5806 Meter) und der Nup La (5844 Meter), zwei hohe Pässe am Achttausender Cho Oyu, im Januar und Februar meist ganz oder beinahe schneefrei. Der Grund: immer trockenere und wärmere Winter, häufig verbunden mit starkem Wind.

Verdampfender Schnee in hohen Lagen
Das führt dazu, dass der Schnee schmilzt – oder „sublimiert“, das heißt sich bei niedrigen Temperaturen (unterhalb von plus 3,5 Grad Celsius) direkt in Wasserdampf verflüchtigt. Sublimation wird durch trockene Luft, starke Sonneneinstrahlung und heftige Winde befördert. Eine 2023 veröffentlichte Studie ergab, dass am Everest im Winter oberhalb von 6000 Metern die Schneeauflage vor allem durch Sublimation verloren geht: um bis zu 2,5 Millimeter pro Tag, also einem Zentimeter alle vier Tage.

Über Gletscherschmelze als Folge des Klimawandels wird häufig berichtet, selten über Sublimation. Ich frage Mauri Pelto, welchen Einfluss diese Form des Schneeverlusts auf den Rückzug der Gletscher im Himalaya hat. „Wenn die Gletscher auch im Winter blankes Eis sind, kommt es in tieferen Lagen unterhalb von 5500 Metern aufgrund der Sonneneinstrahlung zu einer erheblichen Schmelze. Oberhalb von 5500 Metern dominiert die Sublimation“, antwortet der Wissenschaftler.
Die Sublimation allein führe zwar nicht zu großen Verlusten. Aber wenn der Schneeverlust anstelle des sonst im Winter üblichen Schneezuwachses eintrete, bedeute dies in der Summe „eine erhebliche Veränderung der Massenbilanz“ des Gletschers: „Bei der Sublimation geht es also weniger um den Rückzug als vielmehr um die Ausdünnung des Schnees und den damit verbundenen geringeren Durchfluss an Orten wie dem Khumbu-Eisfall.“ Der Klimawandel lässt am Everest also auf mehrere Weisen grüßen. Positiv ist keine. Eher furchteinflößend. Und die Auswirkungen für die Bergsteiger sind dabei wohl das kleinste Problem.