Mitten in der Nacht im Massenlager einer Alpenhütte. Ich liege wach, um mich herum schnarchende, nach Schweiß und Bier müffelnde Zeitgenossen, die mir von Zeit zu Zeit im Schlaf ihre Ellbogen in den Rücken rammen. Bisher habe ich mich in dieser Situation schon mal gefragt: Was mache ich hier eigentlich? Jetzt weiß ich es: Ich praktiziere Weltkulturerbe. Denn seit gestern gehört der Alpinismus zum „Immateriellen Weltkulturerbe“ der UN-Organisation für Bildung Wissenschaft und Kultur (UNESCO) – genauso übrigens wie das Harfespielen in Irland oder der Almabtrieb in den Alpen und im Mittelmeeraum.
Die Kunst, Gipfel und Wände zu erklettern
Den Antrag, den Alpinismus in die nun 458 Posten umfassende Liste aufzunehmen, hatten Frankreich, Italien und die Schweiz gestellt. „Alpinismus ist die Kunst, im Hochgebirge, zu jeder Jahreszeit, in felsigem oder eisigem Gelände Gipfel und Wände zu erklettern“, heißt es in der Entscheidung der UNESCO. „Er umfasst physische, technische und intellektuelle Fähigkeiten, wobei geeignete Techniken, Ausrüstung und hochspezifische Geräte zum Einsatz kommen, wie Pickel und Steigeisen.“ Die UNESCO verweist auf die lange Tradition des Bergsteigens und Kletterns, die dafür nötigen Fertigkeiten – und auch die Werte: „Die Ausübung weckt ethische Prinzipien, die auf der Verpflichtung des Einzelnen beruhen, etwa keine bleibenden Spuren zu hinterlassen, und die Pflicht, anderen Beistand zu leisten.“
Alles gut?
Als ich das las, dachte ich mir: „Schön wär’s.“ Leider sieht es in den Bergen der Welt häufig anders aus: An vielen Bergen sind Leute unterwegs, die eigentlich nicht über die nötige Erfahrung und die Fertigkeiten verfügen. Müll wird achtlos hinterlassen, Hilfe für andere, die in Bergnot geraten sind, ist längst nicht mehr die Regel. Vielleicht hätte man den Alpinismus eher auf eine andere UNESCO-Liste packen sollen: die „des dringend erhaltungsbedüftigen immateriellen Kulturerbes“, die auf Kulturformen hinweist, die „durch globale wie auch lokale Entwicklungen bedroht sind und effektiver Erhaltungsmaßnahmen bedürfen“.
Die 152 Alpenhütten werden in dem Antrag, dem die UNESCO folgte, übrigens als „Knotenpunkte der klassischen alpinistischen Praxis“ bezeichnet. Ausdrücklich wird auch der Umtrunk am Hüttenabend erwähnt. Ein Hinweis auf die schnarchenden, übel riechenden, um sich keilenden Bettgenossen im Massenlager fehlt. Schade eigentlich.