Es könnte eine weitere Rekordsaison am Mount Everest werden. Bis zum vergangenen Dienstag stellte alleine das Tourismusministerium in Kathmandu 374 Permits für die Südseite des höchsten Bergs der Erde aus. Auf der Nordseite haben die chinesisch-tibetischen Behörden die Zahl der Besteigungs-genehmigungen in diesem Frühjahr auf 300 begrenzt. Im vergangenen Jahr hatten laut der Bergsteigerchronik „Himalayan Database“ 802 Bergsteiger den Gipfel auf 8850 Meter Höhe erreicht, nur einer ohne Flaschensauerstoff: der 32 Jahre alte Sonam Finju Sherpa.
Auch in dieser Saison werden nur einige wenige Bergsteiger versuchen, den Everest „oben ohne“ zu besteigen. Einer von ihnen ist David Göttler, der heute in Kathmandu eintraf. „Heutzutage meinen viele, dass es einfach ist, weil nicht differenziert wird zwischen Sauerstoff-Aspiranten und den wenigen ohne“, schreibt mir der 40 Jahre alte Deutsche. „Aber es ‚ohne Taucherausrüstung‘ nach ganz oben zu schaffen, ist nach wie vor nicht einfach. Es muss alles passen. Und somit würde es auch mir unglaublich viel bedeuten, da ganz oben anzuschlagen.“
Zwei Beinahe-Versuche am Everest
David hat bisher fünf Achttausender bestiegen, allesamt ohne Flaschensauerstoff: Gasherbrum II (2006) Broad Peak (2007), Dhaulagiri (2008), Lhotse (2009) und Makalu (2013). Zweimal wollte sich Göttler bereits ohne Atemmaske am Everest versuchen, 2014 von Süden aus, 2015 mit seinem deutschen Freund Daniel Bartsch und dem Kanadier Raphael Slawinski über eine neue Route auf der tibetischen Nordseite. Doch beide Saisons endeten, bevor sie richtig begonnen hatten: 2014 wegen des Lawinenunglücks im Khumbu-Eisbruch mit 16 Toten, 2015 wegen des verheerenden Erdbebens in Nepal.
Vorakklimatisierung im Khumbu-Gebiet
Anfang März hielt sich David zur Vorakkli-matisation im Khumbu-Gebiet auf, unter anderem im gut 4700 Meter hoch gelegenen Dorf Chukhung nahe dem Everest. Anschließend trainierte er möglichst hoch im Mont-Blanc-Massiv rund um Chamonix. Dort verbringen Göttler und seine Lebensgefährtin Monica Piris regelmäßig den Winter, den Sommer in Monicas Heimat Nordspanien, zwischen Bilbao und Santander, „da, wo Spanien noch richtig grün ist“, so David. Von Kathmandu will er nun erneut nach Chukhung aufbrechen und von dort aus dann zum Everest.
Mit Geduld und richtiger Taktik
Da Göttler ohne Flaschensauerstoff aufsteigen will, ist es besonders wichtig, zügig voranzukommen und sich nicht zu lange in der Todeszone oberhalb des Südsattels aufzuhalten. Aber wie soll das gehen, wenn möglicherweise mehrere hundert Gipfelaspiranten aus den kommerziellen Expeditionen die Normalroute verstopfen? „Ich hoffe, mit Geduld (nicht gleich beim ersten guten Wetterfenster starten) und Taktik (die richtige Uhrzeit wählen) der Warterei an den Engstellen entkommen zu können“, antwortet David.
„Besser vorbereitet als jemals zuvor“
Göttler ist lange genug an den höchsten Bergen der Welt unterwegs, um zu wissen, dass sein Projekt kein Selbstläufer wird. „Am Tag X muss alles passen, vom Wetter her, der persönlichen Tagesform, der Ausrüstung, den anderen Leuten am Berg“, sagt David. „Ich weiß, dass ich mich besser als jemals zuvor auf einen Achttausender vorbereitet habe. Das gibt mir Zuversicht. Nun hoffe ich, dass auch alles gut kommt, was nicht in meiner Macht steht.“