Der Aufstieg zum Mount Everest begann für Heidi Sand nicht im Basislager, sondern weiter unten. Viel weiter unten. Ganz unten. Im Sommer 2010 erhielt die damals 43 Jahre alte deutsche Bergsteigerin, Bildhauerin und Mutter dreier Kinder die niederschmetternde Diagnose: Darmkrebs in fortgeschrittenem Zustand. Keine 24 Stunden später lag sie auf dem Operationstisch. Zehn Tage nach der Operation begann sie mit der Chemotherapie.
Achtzehn Monate nach der Diagnose – am 26. Mai 2012, heute vor genau acht Jahren – stand Heidi Sand auf dem Dach der Welt. Sie war die siebte deutsche Bergsteigerin, die den Gipfel auf 8850 Metern Höhe erreichte. Und die sechste, die auch wieder lebend herunterkam: Hannelore Schmatz, 1978 die erste deutsche Frau auf dem Everest, starb beim Abstieg auf 8300 Metern an Erschöpfung.
Heidi Sand war anderthalb Jahre vor ihrem Gipfelerfolg so erschöpft gewesen, dass sie dachte, es ginge nicht mehr weiter. „Ich stürzte nach der sechsten Chemo ab“, schreibt Heidi in ihrem Buch „Auf dem Gipfel gibt’s keinen Cappuccino“, das ich euch wärmstens empfehlen kann. Sie sei körperlich und mental am Ende gewesen und habe ein neues Ziel gebracht, so Heidi. „Auf dem Balkon (der Ferienwohnung) in Grindelwald fasste ich es in Worte: Um meinen persönlichen Everest zu bezwingen, setzte ich mir das Ziel, den wirklichen Everest zu besteigen.“
Bergsteigerin mit Marathonerfahrung
Sie hockte sich gedanklich in die Startblöcke – wobei ihr klar war, dass ihr kein Sprint, sondern ein Marathon mit ungewissem Ausgang bevorstand. Nicht nur in diesem Punkt hatte Heidi Erfahrung. Zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose war die Langstreckenläuferin für einen Ultramarathon wenige Wochen später angemeldet.
Und im Gegensatz zu vielen anderen Everest-Kandidaten war Heidi Sand von klein auf in die Berge gegangen. Im Sommer 2010 hatte sie noch auf dem Denali gestanden, dem höchsten Berg Nordamerikas (6190 Meter). Dort hatte die Bergsteigerin erstmals heftige Bauchschmerzen verspürt, sie aber noch nicht ernst genommen.
Mutmacherin
Heidi nimmt den Leser mit auf ihre Reise, auf der sie gegen den Krebs kämpfte und die sie letztendlich auf den höchsten Punkt der Erde führte. Offen und ehrlich beschreibt sie dabei ihre Gefühle und Erlebnisse sowohl mit der Krankheit als auch mit dem Everest. Demütig, fernab von jedem Heldenpathos. Sie habe Dankbarkeit empfunden, „dass der Berg es zuließ, dass ich ihn besteigen durfte“, schreibt Heidi in ihrem Buch, das Mut macht. Nicht nur Krebspatienten, nicht nur Bergsportlern. „Mein Krebs war gar nicht das Ende. Auf eine gewisse Weise war er für mich sogar so etwas wie ein Anfang.“
2013 bestieg Heidi Sand ohne Flaschensauerstoff den Cho Oyu (8188 Meter), 2014 mit Atemmaske den Makalu (8485 Meter, als erste deutsche Frau gemeinsam mit Billi Bierling). 2015 kletterte sie durch die Eigernordwand. Und ihre Reise ist noch nicht zu Ende.