„Für mich ist Zeit der Schlüssel zum Erfolg“, sagt Jost Kobusch. Und so startet der 27 Jahre alte deutsche Bergsteiger bereits am kommenden Sonntag Richtung Nepal – volle drei Monate vor dem eigentlichen Beginn seiner Expedition. Jost plant, den Everest im Winter zu besteigen, von der Südseite aus, über den Lho La (einen 6000 Meter hohen Pass nach Tibet) auf den Westgrat, durch das Hornbein-Couloir zum Gipfel – ohne Flaschensauerstoff, im Alleingang. Zuvor will er sich in aller Ruhe akklimatisieren und einen Sechs- sowie einen Siebentausender besteigen, als Vorbereitung auf den höchsten aller Berge.
Der einzige Bergsteiger, der bisher im Winter ohne Atemmaske auf dem 8850 Meter hohen Gipfel stand, war der legendäre Ang Rita Sherpa, am 22. Dezember 1987, exakt zu Beginn des kalendarischen Winters. Einige Puristen wenden ein, dass Ang Rita zwar im meteorologischen Winter (der am 1. Dezember beginnt) aufgestiegen sei, aber im kalendarischen Herbst – und dass es deshalb, streng genommen, keine Everest-Winterbesteigung gewesen sei.
Jost Kobusch will seine Expedition mit Beginn des kalendarischen Winters starten und vor Ende des meteorologischen Winters (29. Februar) abschließen. „Anfang Dezember fühlt sich für mich ebenso wenig nach Winter an wie der März“, sagt Jost.
2015 wurde Kobusch auf einen Schlag international bekannt, als er ein Video von der Lawine (s.u.) drehte, die – ausgelöst durch das verheerende Erdbeben in Nepal – vom Pumori abging, das Basislager zu Füßen des Mount Everest traf und 19 Menschen das Leben kostete. Damals wollte Kobusch eigentlich auf den Lhotse. 2016 bestieg er ohne Flaschensauerstoff die Annapurna, seinen ersten Achttausender. 2017 gelang ihm, ebenfalls ohne Atemmaske, die Erstbesteigung des 7321 Meter hohen Nangpai Gosum II im Osten Nepals.
Jost, du hast noch keinen Achttausender im Winter versucht. Warum dann gleich den Everest?
Weil das Ziel eben der Everest ist und es kein besseres Training gibt, als das eigentliche Ziel zu versuchen.
Du willst über den Westgrat, dann durch das Hornbein-Couloir zum Gipfel. Warum hast du dir diese anspruchsvolle, selten begangene Route ausgesucht?
Es hängt damit zusammen, dass ich als Solobergsteiger kaum durch den Khumbu-Eisbruch gehen kann. Fließgeschwindigkeit bis 1,8 Meter pro Tag, riesige Eistürme, Gletscherspalten. Ich müsste Sherpas beschäftigen, die Leitern durch den Eisfall legen. Angenommen, Alex Txikon taucht dort auf und etabliert eine Route durch den Eisbruch – das könnte ja sein, ich habe Gerüchte darüber gehört. Dann würde ich trotzdem nicht über seine Leitern steigen wollen. Das passt für mich nicht zu einem Solo. Ich bin da Purist, das würde an mir nagen. Deshalb ist die Idee, über den Lho La den Westgrat anzugehen. Diese Route ist zwar technisch sehr anspruchsvoll, bietet aber einen ziemlich direkten Zugang mit relativ geringen objektiven Gefahren im Vergleich zum Khumbu-Eisfall.
Aber du wärst später im Hornbein-Couloir mitten in der Nordwand. Das ist nicht gerade Wandergelände.
Absolut, und es ist auch schattig dort im Vergleich zur Normalroute, wo es sonnig ist. Aber es gibt auch Vorteile. Ich erhoffe mir, dass der Wind den Westgrat relativ blank bläst und ich damit – im Gegensatz zum Tal des Schweigens – keinerlei Probleme mit Tiefschnee haben werde und mich schnell bewegen kann. Tiefschnee wäre für mich als Solobergsteiger ein K.o.-Kriterium. Und in einer Höhe, wo der Wind kritisch wird, habe ich dann durch das Hornbein-Couloir einen gewissen Schutz. Aber natürlich ist das nur eine Hypothese. Am Ende ist es ein Berg, und die Verhältnisse sind dynamisch, im Winter sowieso.
Tom Hornbein und Willi Unsoeld überschritten 1963 den Gipfel und stiegen über die Normalroute auf der Südseite ab. Ist das auch dein Plan?
Nein. Sollte Alex Txikon wirklich da sein und die Route existieren, könnte man es vielleicht als Notfalloption sehen. Aber ich plane die Expedition minimalistisch und will eigentlich über die Aufstiegsroute auch wieder absteigen.
Wie minimalistisch wirst du unterwegs sein? Planst du einen Aufstieg im Alpinstil oder eine Lagerkette?
Ich werde keine Lager im klassischen Expeditionsstil anlegen, allenfalls kleine Materialdepots, wo ich etwas Gas und Essen zurücklasse. Mein Zelt habe ich immer dabei. Ich würde vor einem möglichen Gipfelvorstoß gerne eine Nacht auf 8000 Metern verbringen, anschließend einige Ruhetage auf 4400 Metern verbringen und dann einen Push versuchen.
Aber seien wir mal realistisch. Falls ich überhaupt 8000 Meter erreiche, wäre das schon ein Mega-Erfolg. Es ist ein gigantisches Projekt. Es geht erst einmal darum herauszufinden, was unter diesen Bedingungen überhaupt möglich ist. Vielleicht komme ich wieder und ich sage dir dann: Nein, vergiss die Route, so lässt es sich nicht lösen.
Ich möchte viel Erfahrung sammeln, unter den Bedingungen, unter denen ich dann eines Tages den Everest im Winter besteigen will. Das wird vielleicht auch oft falsch verstanden. Es heißt einfach: Jost wird den Gipfel machen. Aber so ist es nicht gedacht. Es ist für mich eine große Lektion.
Du nimmst die Expedition also eher als ein Austesten?
Absolut. Natürlich willst du als Bergsteiger immer den Gipfel erreichen, und du brichst auf, weil es du es für möglich hältst. Aber die Chancen sind halt, realistisch betrachtet, sehr, sehr gering. Das weiß ich. Und ich gehe sehr viel demütiger an das Projekt heran, als es medial häufig wirken mag. Es ist absolut keine Schande, wenn ich umdrehe. Mein persönliches Ziel wäre es, eine Höhe von etwa 7200 Metern zu erreichen. Alles darüber wäre Bonus, der Gipfel sowieso. Ich sehe es eher wie ein Boulder-Problem, bei dem ich die Details zusammensetze. Es ist natürlich ein teures Training. (lacht) Aber ich denke, so kann es letztlich erfolgreich sein.
Du willst ohne Atemmaske aufsteigen. Es gab bisher nur eine Winterbesteigung des Everest ohne Flaschensauerstoff, durch den legendären Ang Rita Sherpa 1987. Zuletzt scheiterte der Spanier Alex Txikon zweimal bei Versuchen ohne Atemmaske. Was macht dich optimistisch, dass du es schaffen kannst?
Ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass ich schon bei diesem Versuch am Gipfel stehen kann. Was mich optimistisch macht, ist, dass ich eine ungewöhnliche Herangehensweise habe. Ich mache es halt unkonventionell, wenn ich dort hingehe und es als ein Training betrachte. Ich bin bereit, mehrmals zurückzukehren und an den Details zu feilen. Ich gehe gerne strategisch vor. Das erhöht die Erfolgschancen.
Was sagst du, wenn dir jemand vorwirft, du seist ein Hasardeur, das Risiko sei nicht zu verantworten?
Ich gehe bei einer Everest-Winterbesteigung natürlich ein prinzipiell hohes Risiko ein. Es ist ein Aufbruch ins Unbekannte. Und eine Exploration bedeutet ja immer Risiken. Das musst du akzeptieren. Ich versuche, das relative Risiko möglichst niedrig zu halten.
Wie viel Risiko würdest du denn eingehen?
Ich bin eigentlich jemand, der gar kein Risiko eingehen möchte. Ich bin kein Glücksspieler, eher der Poker-Typ. Ich schaue in meine Karten und riskiere erst etwas, wenn alles passend steht. Ich spiele kein Russisch Roulette.
Du warst zuletzt oft solo unterwegs, etwa 2017 bei deiner Erstbesteigung des 7000er Nangpai Gosum II. Jetzt startest du wieder ohne Team. Bist du ein Eigenbrötler?
Ich bin kein einsamer Wolf. Ich gehe unheimlich gerne mit Leuten klettern, etwa in den Dolomiten. Aber wenn ich solo gehe, bin ich in einem anderen Modus. Das ist für mich wie Meditation, ein deep flow. Ich bin einfach da, und es gibt nichts, was ich tun muss. Es fließt alles. Ich fühle mich dann sehr verbunden mit meiner Umgebung. Ich treffe alle Entscheidungen selbst.
Ich sehe es auch als Reifeprozess. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass ich von jedem Solo als komplett neuer Mensch zurückkehre, aber doch mit neuen Erkenntnissen oder einer neuen Perspektive. Das suche ich auch.
Du brauchst also keinen Kopfhörer, um dir nicht selbst auf die Nerven zu gehen?
Tatsächlich habe ich gerne Musik dabei. Aber die unterstreicht dieses Gefühl. Wenn du aus dem Zelt schaust und richtig gute Musik hörst, sind das wirklich coole Momente, in denen die Zeit unwirklich wird. Sie fließt ungewöhnlich, weder schnell, noch langsam. Das Gefühl für Raum und Zeit verschwimmt in diesen Momenten, in denen du alleine bist und nicht redest.
Wie reagiert dein Umfeld auf dein Everest-Solo-Projekt?
Im Internet sind die Reaktionen ziemlich extrem. Es gibt Hater, die sagen, es sei ein Selbstmordkommando. Ich sei ein Egomane. Andere wiederum finden es absolut geil und überhöhen damit das Ganze. Die Leute, die mich wirklich kennen, machen sich schon Sorgen, finden das Projekt andererseits aber auch megacool. Es ist ja auch gewagt. Wenn du etwas machst, was alle machen, wirst du auch nicht kritisiert.
Im vergangenen Frühjahr war der Everest wieder mal wegen der vielen Menschen am Berg weltweit in den Schlagzeilen. Fühltest du dich dadurch bestärkt, den Everest nicht im Frühjahr, sondern im Winter zu versuchen?
Ich stand ja selbst schon einmal im Stau, 2015 im Khumbu-Eisfall, unter einem Eisturm, der von der Sonne beschienen wurde. Dann geht das Funkgerät an – wie das Radio auf der Autobahn – und prophezeit dir einen stundenlangen Stau an der nächsten Leiter. Das hat mich sehr abgetörnt.
Auf der anderen Seite fand ich den Everest immer faszinierend. Und es hat mich traurig gemacht, dass man in diesem Rummel keinen Alpinismus mehr ausleben konnte. Deshalb versuche ich den Everest im Winter.
Außerdem verfahre ich nach dem Grundsatz: Suche dir ein Ziel, das so schwer ist, dass es möglichst lange hält! Wenn du es schaffst, dann tötest du das Ziel und musst dir ein neues suchen. Wenn du dir also ein Ziel aussuchst, dass du direkt erreichst, ist es zu leicht gewählt.
Dass das Vorhaben von Hr. Kobusch polarisiert, verwundert kaum. In einem kürzlichen Bericht einer dt. Wochenzeitschrift, habe ich ebenfalls eine süffisante Ungläubigkeit wahrgenommen. Hr. Kobusch ist in der Bergsteiger-Szene mehr oder weniger unbekannt und tut m.E. auch nix dafür, in der Community anzukommen. Die nicht geglückte Bergreise zum Pik Lenin, im Oktober, die wurde seinerzeit als Winterexpedition verkauft und ziert seine Wikipedia-Seite. Das ist aus Sicht erfahrener Bergsteiger wohl eher etwas ungewöhnlich. Überhaupt fehlem ihm relevante Erfahrungen. Chapeau vor seiner Besteigung Nangpai Gosum II. Aber ob Glück oder Können, das lässt sich daraus nicht ableiten. Alle anderen Besteigungen, die sich in Grenzen halten und in diesem Bereich als Standard zu werten sind, lassen nicht darauf schließen, dass er sich bewusst ist, was die nun anstehende Expedition bedeuten. Das Ziel von 7200 Meter ist ehrenhaft, aber da fängt das Couloir doch noch nicht einmal an. Immerhin sieht er es als Training…aber was würden die meisten Leute sagen, wenn ich das Autofahren mit einem 1300 PS-Bugatti trainiere?