Everybody’s Darling zu werden, gehört sicher nicht zu den Lebenszielen von Lukas Furtenbach. Der 41 Jahre Österreicher nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er seine Standpunkte vertritt. Das macht er offensiv und nennt auch öffentlich Ross und Reiter, wenn er jemanden kritisiert. Dass man sich damit nicht nur Freunde macht, liegt auf der Hand. Furtenbach polarisiert.
Vor fünf Jahren gründete Lukas sein Unternehmen „Furtenbach Adventures“. 2018 bot der Veranstalter erstmals eine „Everest Flash Expedition“ an. Das Konzept: Everest in vier Wochen – durch gezielte Vorbereitung mit einem speziell entwickelten Hypoxietraining und -system, mehr Flaschensauerstoff als allgemein üblich, mehr Sherpas. „Ich verwende und experimentiere mit Hypoxie seit fast 20 Jahren“, sagt Lukas.
2006 bestieg er den Cho Oyu, 2007 den Broad Peak. Den Gipfel des Everest erreichte Furtenbach bisher zweimal: 2016 über die Südseite – und in diesem Jahr über die Nordseite. In der abgelaufenen Saison war er mit zwei Gruppen am Start, einer „herkömmlichen“ Everest-Expedition mit sieben Teilnehmern und einer Flash Expedition mit fünf Teilnehmern. Dazu die beiden Bergführer Rupert Hauer und Luis Stitzinger, 21 Sherpas und er selbst. Alle erreichten den Gipfel. Nach seiner Rückkehr hat Lukas meine Fragen beantwortet.
Lukas, seit Wochen wird über die Lage auf der Südseite des Mount Everest diskutiert, von der Nordseite redet kaum einer. Wie hast du die Saison dort erlebt?
Auf der Nordseite waren heuer so wenige Leute wie schon lange nicht mehr (142 Permits), allerdings konzentrierte sich alles auf nur zwei Gipfeltage. Am ersten der beiden Tage – 23. Mai, Gipfeltag für mich und unser erstes Team mit Bergführer Rupert Hauer – war mehr los, da musste man an den Steps (den drei Felsstufen auf dem Nordostgrat) ein wenig warten. Aber nicht schlimm und alles gut handelbar. Unser zweites Team am 24. Mai unter der Führung von Luis Stitzinger musste die Route nur mit ca. 30 anderen Bergsteigern teilen. Das Basecamp hat heuer fast ein wenig verlassen gewirkt. Alles in allem war es sehr angenehm.
Vor Jahren galten Expeditionen in Tibet für Expeditionsveranstalter noch als Vabanque-Spiel, weil die chinesisch-tibetischen Behörden unberechenbar erschienen. Wie gestaltet sich heute die Zusammenarbeit?
Die Zusammenarbeit mit der CTMA (China Tibet Mountaineering Association) ist sehr gut und funktioniert zuverlässig. Der Everest wurde im Frühjahr erst einmal während der olympischen Spiele 2008 in Peking gesperrt. Sonst war von den Sperren immer die Herbstsaison betroffen. China ist ernsthaft interessiert daran, den Everest sicherer zu machen. Es werden strenge Regeln und Anforderungen für Veranstalter aufgestellt, Veranstalter, die nicht sicher arbeiten, bekommen keine Permits mehr. Die Zahl der Permits wurde limitiert, und das soll auch künftig so bleiben.
Du bietest sowohl klassische knapp zweimonatige, als auch so genannte „Flash Expeditionen“ (vier Wochen) zum Everest an. Verlagert sich das Interesse der Kundschaft hin zu den kürzeren Expeditionen?
Ja, das ist ein ganz klarer Trend. Vor allem jetzt, nachdem wir zwei Jahre hintereinander zeigen konnten, dass die Flash Expeditionen funktionieren und wir immer alle Teilnehmer auf den Gipfel bringen – und ohne Blessuren wieder herunter. Inzwischen sind auch die Kritiker verstummt, Hypoxievorbereitung findet inzwischen breiten Anklang. Mit allen Nebeneffekten: Anbieter, die bis vor kurzem die Wirksamkeit geleugnet haben und selbst noch keinerlei Erfahrungen mit Hypoxie oder verkürzten Expeditionen haben, bieten plötzlich solche Expeditionen an.
Ich denke, wir werden bald die ersten Unfälle sehen. Ganz so banal ist das Thema nämlich nicht, und es reicht nicht, sich oder seine Kunden einfach in ein Standard-Hypoxiezelt zu legen und dann am Berg zu hoffen, dass alles gut geht. Wir verwenden eigene Hypoxiesysteme und ein eigenes Programm, das wir genau auf unsere Anforderungen hin entwickelt und über viele Jahre getestet haben. Vieles, das für verkürzte Expeditionen nötig ist, findet auch erst vor Ort statt und hat mit der Logistik am Berg zu tun. Hypoxie zu Hause ist nur eine Komponente der Flash Expeditionen. Wir verkürzen nächstes Jahr unsere Classic Expedition auf sechs Wochen und die Flash auf drei Wochen. Auch die Teilnehmer der Classic Expedition verwenden bei uns schon seit 2016 Hypoxiezelte.
Obwohl es in diesem Frühjahr keine Lawinenunglücke oder Wetterstürze gab, starben am Everest elf Menschen. Wie erklärst du dir diese vergleichsweise hohe Zahl?
Zwei sind abgestürzt, zu den zwei Toten auf der Nordseite gibt es keine näheren Infos, was passiert sein könnte (einer hing tot im Seil am Second Step, angeblich beim Abstieg; einer starb in Lager 1 im Zelt), die restlichen sieben scheinen an den Folgen von Höhenproblemen oder mangelnder Sauerstoffversorgung gestorben zu sein. Hier einen Verantwortlichen zu finden, ist immer schwierig.
Wenn sie wirklich zu unerfahren waren und ihren Körper, die Situation oder den richtigen Zeitpunkt zur Umkehr nicht richtig einschätzen konnten (vier von ihnen waren Inder, die mutmaßlich wenig bis keine Bergerfahrung hatten), muss man sich die Frage stellen, wer sie bis da oben mitgenommen hat und was seine dafür Motivation war. Und falls ihr Tod tatsächlich in Zusammenhang mit mangelnder Sauerstoffversorgung steht, muss man auch die Veranstalter in die Pflicht nehmen und eruieren, wie sie den Gipfeltag für ihre Teilnehmer geplant haben: Anzahl Sherpas pro Teilnehmer, Flaschen Sauerstoff pro Teilnehmer, Depots, Erfahrung der Sherpas, Bergführer, der Entscheidungen trifft, Sauerstoff-Flussrate, verwendetes Sauerstoffsystem, Reservesauerstoff, Notfallmedikamente mitgeführt, Umkehrzeit etc.
Das Bild der Menschenschlange auf dem Gipfelgrat auf der Südseite am 22. Mai ging um die Welt. Lassen sich solche Staus aus deiner Sicht vermeiden?
Diese Staus gibt es tatsächlich schon lange. Auch wir standen 2016 in einem solchen Stau. Deshalb sind wir auf die Nordseite gewechselt. Sie entstehen gar nicht erst, wenn es in einer guten Saison mehrere Gipfeltage gibt. Heuer gab es in Nepal wetterbedingt weniger Gipfeltage, und viele Teams setzten auf den 22. Mai, weil dieser Tag von den Wetterdiensten als erster richtiger Gipfeltag vorhergesagt wurde, nach den eher windstarken Gipfeltagen am 15. und 16. Mai.
Es wirkt von außen manchmal, als gehe es auf dem Everest-Markt wie einst im Wilden Westen zu. Trügt der Eindruck?
Es ist ein rauer Markt, und es wird nicht immer von allen fair gespielt. Der Kunde bekommt das aber in der Regel nicht mit, und unter den meisten Anbietern gibt es auch eine Art Gentlemen Agreement. Sehr vieles passiert im Hintergrund. Aber man könnte spannende Bücher über dieses Business schreiben…
Die Sommersaison im Karakorum steht vor der Tür. Glaubst du, dass sich die Diskussionen des Frühjahrs im Himalaya dort wiederholen werden?
An den Gasherbrums und am Broad Peak nicht, da ist derzeit zu wenig los. Am K 2 haben wir aber eine andere Situation. Da steigen die Permitzahlen seit drei bis vier Jahren signifikant. Und alleine schon wegen der kaum verfügbaren guten Lagerplätze in den Lagern 1 bis 3 verträgt der K 2-Normalweg über den Abruzzensporn nur eine begrenzte Anzahl von Teams. Ich denke, hier werden wir bald Probleme sehen. Leider funktioniert im Karakorum das System der Fixseilgebühren nicht so, wie wir es in China oder Nepal haben und wo es gut funktioniert. Ein oder zwei kommerzielle Teams versichern einen Berg, und das kostet sehr viel Geld. Manche Teams zahlen freiwillig eine Gebühr, viele weigern sich aber. Vor allem individuelle Bergsteiger, die mit lokalen Anbietern unterwegs sind und weder Material zur Versicherung mitbringen noch Arbeitsleistung dazu beitragen (können). Das ist ein Grund, warum wir gerade so wenige Gipfelerfolge am Gasherbrum I und Gasherbrum II sehen.