„Kein Berg, auch keine Erstbesteigung ist es wert, dafür zu sterben oder sich dafür auch nur einen Finger abzufrieren. Mit ein bisschen Abstand wird das jeder auch erkennen“, sagte mir Luis Stitzinger, bevor wir 2014 zum bis dahin noch unbestiegenen Siebentausender Kokodak Dome im Westen Chinas aufbrachen. Neun Jahre später ist Luis tot – gestorben, nachdem der 54-Jährige ohne Flaschensauerstoff den 8586 Meter hohen Achttausender Kangchenzönga im Osten Nepals bestiegen hat. Wie berichtet, fand ihn gestern ein Sherpa-Suchtrupp auf rund 8400 Metern, leblos im Schnee liegend. Ich musste an seine Worte von damals denken und frage mich: War es das wert?
„Natürlich nicht“, würde Luis vielleicht antworten. „Aber ich war mir bewusst, dass ich einen Risikosport betreibe und möglicherweise eines Tages nicht mehr aus den Bergen zurückkehren würde. Und ich starb bei dem, was mein Leben und meine Leidenschaft war. Und dort, wo ich am glücklichsten war: in den Bergen.“ Der Kangchendzönga, schreibt seine Ehefrau Alix von Melle heute in einem bewegenden letzten (öffentlichen) Gruß an Luis, sei sein „ganz großer Lebenstraum“ gewesen, „den du dir noch so gerne erfüllen wolltest. Deine Augen haben vor Begeisterung geglänzt, wenn du von ihm gesprochen hast.“ Ich fühle mit Alix – und erinnere mich an Luis.
Offen, humorvoll, umsichtig
Ich bin froh und dankbar, dass ich ihm nicht nur begegnen, sondern auch mit ihm in die hohen Berge gehen durfte. Nach Erkenntnissen der Psychologie entscheidet sich ja sehr schnell, ob die Chemie zwischen zwei Menschen stimmt. Unbewusst stellt man sich die beiden Fragen: Kann ich dieser Person vertrauen? Kann ich sie respektieren? Bei mir lautete die Antwort offenbar zweimal uneingeschränkt ja. Denn ich fand Luis von Beginn an sympathisch. Und daran änderte sich auch auf Expedition nichts. Im Gegenteil.
Ich mochte Luis‘ offene Art, seinen Humor, seine Hilfsbereitschaft, seine Demut vor der Natur, seine Bodenständigkeit. Er verstellte sich nicht, er war authentisch. Und als Expeditionsleiter einfach großartig: physisch extrem stark, mit einem gesunden Maß an Zielstrebigkeit, ohne dabei seine Umsicht zu verlieren. „Ich will nicht schuld sein, dass jemand in sein Unglück läuft“, sagte mir Luis.
„Ich habe mich irre gefreut“
Hinterher standen alle 16 Teammitglieder des deutschen Anbieters Amical Alpin – inklusive Luis sowie der beiden Nepalesen Singi Lama und Chhongba Sherpa, die uns unterstützten – auf dem Gipfel auf 7129 Metern und durften sich seitdem seither „Erstbesteigerin“ oder „Erstbesteiger“ nennen. Ich hätte das ohne Luis niemals geschafft. Ich verdanke ihm meinen höchsten Gipfelerfolg und ein unvergessliches, wunderschönes Bergerlebnis. Und ich erinnere mich, wie glücklich auch Luis hinterher war. „Ich habe mich irre gefreut, dass alle am Gipfel waren. Bei einer Erstbesteigung ist das natürlich doppelt schön. Es war eine Super-Teamleistung“, sagte Luis. „Unsere Expedition hat wie am Schnürchen geklappt.“
Noch zweimal auf dem Mount Everest
Auch hinterher hielt ich den Kontakt zu Luis – zumindest sporadisch. Jetzt frage ich mich: Warum habe ich mich nicht häufiger bei ihm gemeldet? Wahrscheinlich, weil ich mein Leben führte und Luis seines. Wenn wir aber nach einiger Zeit wieder miteinander sprachen, war es so, als hätten wir uns erst gestern getroffen. Das macht Freundschaft aus. Anlässlich seines 50. Geburtstags im Dezember 2018 fragte ich ihn, ob ihm angesichts des gelebten halben Jahrhunderts nicht ein wenig schwindelig sei. Luis antwortete mit einem Augenzwinkern: „50, das hört sich schon verdächtig nahe der Verrentung an. Aber so fühle ich mich eigentlich überhaupt nicht.“ Aufs Altenteil wolle er sich jedenfalls nicht setzen. „Ich habe schon noch einige Ziele. Ich habe mir auch keine Altersbegrenzung gesetzt.“
Hinterher bestieg Luis noch zweimal den Mount Everest, 2019 über die tibetischen Nordseite, 2022 über die nepalesische Südseite des Bergs. Bei beiden Expeditionen führte er Kunden des österreichischen Expeditionsanbieters Furtenbach Adventures auf den höchsten Punkt der Erde und nutzte deshalb Flaschensauerstoff. Es habe „absolute Priorität, alle Teilnehmer erfolgreich und sicher auf den Berg und wieder hinunter zu begleiten“, sagte mir Luis damals. Er unterschied sehr genau zwischen seiner Verantwortung als Bergführer und seinen eigenen Ambitionen als Bergsteiger.
Gute Reise, Luis!
Seinen Traum, auch den Everest – wie zuvor acht andere Achttausender – ohne Atemmaske zu besteigen, stellte er hintenan. Am Kangchendzönga war Luis nicht als Bergführer unterwegs, sondern als Bergsteiger in seinem eigenen persönlichen Kletter-Stil: ohne Flaschensauerstoff, die Ski im Gepäck. Und ich stelle mir vor, dass er vielleicht vor dem Aufstieg – ähnlich wie damals, 2014 am Kokodak Dome – auf den Wetterbericht geschaut und gesagt hat: „Wir sind fit und gut vorbereitet. Ich würde vorschlagen, den Gipfelvorstoß einzuläuten.“ Den Gipfel erreichte er allein, wenig später stieg er in den Himmel weiter. Gute Reise, lieber Luis. Und danke für alles!
P.S. Eine Bitte an alle, die meinen, sie müssten jetzt kommentieren, dass Bergsteigen unverantwortlich und Unglücke wie diese absehbar seien: Seid einfach mal ruhig! Ihr versteht uns Bergmenschen eh nicht.
Jedes auf-die-Leiter-steigen am Kirschbaum, jede Motorradfahrt ist gefährlich – er hat seinen Traum gelebt. RIP Luis
Sehr schöner Nachruf, toll geschrieben, aber ein sehr trauriger Anlass, viel Kraft für die Angehörigen 🍀🍀🍀🙏
Dem kann ich mich nur anschließen. So schrecklich es ist. Menschen wie Luis Stitzinger haben in ihrem kurzen Leben ein Vielfaches dessen erlebt, was unsereins in einem (hoffentlich) langen Leben „erlebt“. Es ist als ihr freier Wille zu akzeptieren, dass sie hierfür ganz bewusst für sich persönlich ein höheres Risiko als unser allgemeines Lebensrisiko eingehen.
Ein Traum: den Gipfel erreichen- beim Abstieg für immer bleiben….. Glück für die, die es heimgerufen hat in den ewigen Frieden. Das versteht nur ein echter Bergler, genauso wie das „Fieber“ daß einen zum Gipfel ruft-treibt.
Ein sehr bewegender Abschiedsgruß.
Mein Beileid, dass Du einen Menschen verloren hast, den Du offenbar sehr geschätzt hast.
Ehrlich gesagt finde ich es immer unangemessen, wenn nach dem Tod eines Menschen blöde Kommentare kommen, egal, auf welche Weise er aus dem Leben geschieden ist. Es sind fast immer Menschen da, denen die verstorbene Person sehr fehlt und die ohnehin genug mit ihrer Trauer zu tun haben. Deswegen ist es echt schade, dass man dazu überhaupt was schreiben muss, aber ich weiß, es gibt genug Leute, die so sind.
Dem schließe ich mich gerne an…
Großen Respekt ,diesem leidenschaftlichem und tollem Bergsteiger !
Ich wünsche den Hinterbliebenen ganz viel Kraft ,und alles Gute !
Berichte und Geschichten von Bergsteigern bereichern unseren langweiligen Alltag. Als Sessselpupser möchhte ich mich daher bei Luis Stitzinger posthum bedanken! Ich habe so sehr gehofft, dass allles gut ausgeht. Mein Beileid an die Hinterbliebenen.
Danke für Deine persönlichen Worte! Wir wissen um das Risiko und doch gehen wir in die Berge. Weil wir dort glücklich sind. Und wenn man umsichtig ist, kann man das Risiko in nem gewissen Maße auch kalkulieren. Aber eben nicht alles. Auch das macht das Bergsteigen aus. Ruhe in Frieden, lieber Luis! In Gedanken bleibst Du! Alix, allen Freunden und denen, die ihm nahe stehen ganz viel Kraft und Trost! Bis zum Wiedersehen!
Danke für einen wunderschönen und sehr treffenden Nachruf auf einen ganz besonderen Menschen – er war es, der meine Freude an den Berge der Welt geweckt hat und mit dem ich auch gelernt habe immer nach vorne zu schauen: „there is no use crying over spilt milk“ waren seine Worte nach einer ziemlicher misslungenen Expedition.
R.I.P. lieber Luis 😢
Danke für den schönen Nachruf über einen wunderbaren Menschen.
Lieber Stefan, mit Bangen und Hoffen habe ich deine Berichte über Luis am Kangchendzönga verfolgt; auch Richard und ich verdanken Luis den Gipfelsieg im Rahmen unserer Erstbesteigung des Kokodak Dome; seither verfolgen wir deinen Blog. Ohne das Wissen und die Umsicht von Luis wären wir – als wohl älteste Teilnehmende einer Erstbesteigung – nicht erfolgreich gewesen – Danke Luis für diese unvergesslich Zeit am Berg! Das Bild vom Kokodak Dome halte ich vom Schreibtisch aus im Blick; die Erinnerungen im Herzen.
Lieber Luis, du bist uns weit voraus gegangen, leb wohl – wir kommen nach! Unser Mitgefühl gilt deiner Gattin Alix sowie dir Stefan, stellvertretend für alle Hinterbliebenen – viel Kraft !
In freundschaftlicher Verbundenheit Edith
Ich bin normal kein Kommentareschreiber, aber jetzt muss ich.
Für mich war Luis ein ehrlicher und fairer Bergsteiger, der die Berge angenommen hat wie sie waren und sich mit seinen Zielen auseinandergesetzt hat. Ohne Tricksereien, wie heute von so vielen, so oft praktiziert. Er war ein top Alpinist mit Leidenschaft und diese Leidenschaft hat er auf geniale Weise auf sein Umfeld übertragen und so manchen auf seine Art mitgenommen. Ihm und seiner Art Berg zu steigen gilt mein höchster Respekt.
Luis ich werde immer gerne an Dich denken und noch oft von Dir erzählen. Für Deinen letzten Weg nur das Beste.
Danke für diesen sehr schönen und einfühlsamen Nachruf!
Danke Stefan, einfach nur vielen Dank
Lieber Luis,
danke das ich Dich kennenlernen durfte. Flieg mit dem Gleitschirm ein paar Runden um die Wolken und die Gipfel der Berge und ich schau Dir jedesmal dabei zu bis wir uns wiedersehen.
Lieber Stefan,
herzlichen Dank für deinen so treffenden, einfühlsamen Nachruf auf Luis!
Mehr noch als der Gipfelerfolg am Kokodak Dome war für mich die gesamte Expedition, deren Verlauf, die Eindrücke und Erlebnisse, vor allem aber die Begegnungen prägend.
Dies verdanken wir Luis, der mit seiner so geradlinigen, herzlichen, inspirierenden und kompetenten Art uns beflügelt und sicher begleitet hat – ein riesges Dankeschön an einen grossartigen Menschen und Bergsteiger!
Einen Gedanke der österrischen Dichterin Christena Busta möchte ich ihm mitgeben, alle die ein Herz für die Berge und den damit verbundenen Risken haben, werden es verstehen:
“ Wer weiss,
was alles im Leben passieren kann,
geht auch den Flüssen nach,
die im Karst verschwinden!“
Du hast deinen Gipfel erreicht, Luis!
Churchy
Lieber Stefan, vielen herzlichen dank für deine so berührenden und treffenden worte!
auch ich bin seit „unserem“ Kokodak ein großer fan deines blogs und von Luis! Ich verdanke ihm den wohl besten moment meines bergsteiger-lebens: als wir zu fünft am weg zum gipfel abwechselnd spurten und so auch ich schritte in den schnee setzen durfte, wo vor uns noch nie jemand gewesen war.
Ich behalte Luis als extrem kompetenten, vertrauenswürdigen und unglaublich starken und schnellen bergsteiger in dankbarer erinnerung. Und so ist er – leider viel zu früh – auch vor uns an seinem letzten ziel angekommen.
Ich kann nur sagen, wer einmal in den Bergen unterwegs ist, den begleiten sie immer.
Ich bin zwar nur eine winzige
Bergsteigerin, aber ich kann einen Menschen wie Luis verstehen.
Wünsche seiner Frau und seinen Angehörigen und Freunden viel Kraft für diesen schmerzlichen Verlust.
Lieber Luis, ich kannte dich zwar nicht, wünsche dir aber alles Gute auf deiner letzen Reise. R.I.P
Jeder der Berge liebt, versteht deine Worte. Ich hatte die Möglichkeit Luis im Rahmen einer Expeditionsbesprechung kennenzulernen und konnte mich danach auch telefonisch über die Expedition und meinen Lieblingsberg Denali unterhalten. Er hat sich viel Zeit genommen, war interessiert und einfach super nett. Ich bin sonst eher kein „Menschenfreund“, aber Luis war einfach ein integrer und positiver Mensch, was mich sehr beeindruckt hat. Ich hoffe er konnte mit einem Lächeln gehen…
Die Geister des KANTSCH werden über ihn wachen, auf seinem langen Weg.
Mein aufrichtiges Mitgefühl den Hinterbliebenen.
…mach es gut auf deiner Reise..Luis !! R.I.P
Er starb dort, wo sein Herz war. Er starb bei seiner liebsten Tätigkeit. Er starb nicht dahinsiechend mit einer Krankheit im Bett! Hoffentlich musste er nicht leiden. Was wissen wir von seinen Gedanken, seinen Sehnsüchten! Die Worte seiner Frau, die Worte seiner Freunde sind zu Herzen gehend.
Luis Ruhe in Frieden
Warum müssen immer die wirklich guten Menschen viel zu früh sterben das ist einfach nicht fair und äußerst traurig das finde ich Daniela Schwarzrock
Egal welchen Extremsport man liebt und betreibt und ein Nervenkitzel man mit seinem Körper durchlebt, aber sein Leben dafür zu verlieren, rechtfertigt nie solche Einsätze, denn dafür ist das Leben einfach zu kostbar und unwiderruflich. Der Mensch kommt nie wieder und man hat ihn verloren. Das Leben durch Krankheit zu verlieren ist schon schrecklich genug. Ich kannte „Luis“ nicht und es ist einfach schade um das verlorene Leben. Er haette noch so viel Jahre auf unserer schönen Erde erleben können.
Lieber Luis,
lang, lang ist`s her, wir haben uns im Juli 1989 bei der Hochtourenführer Ausbildung kennen gelernt und schöne Tage gemeinsam verbracht. Obwohl wir uns, leider, nicht mehr gesehen haben, habe ich natürlich deine „Bergtätigkeiten“ und unser gemeinsames Interesse mit Freude verfolgt. Ich war auch an manchen hohen Bergen (ohne die 8) unterwegs und weiß das es ohne das Glück nicht funktioniert.
Da ich zwanzig Jahre älter bin kann ich schon sagen, bis bald Luis und dann wäre es schön, wenn wir die Zeit zum „Ratschen“ hätten.
Bertram
Aus der ARD-Mediathek eine Bergauf-Bergab-Sendung mit Luis Stitzinger:
https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL2JyLmRlL3ZpZGVvLzA5OTJmMTE4LWVjZjUtNDJkYi05MDQ4LTBjMzk1ZWM5YzYzNA/
Danke fürs posten. Jetzt wirds einem noch schwerer ums Herz… Wäre er doch nur nicht allein gewesen…..
Mein Mann hatte vor über 30 Jahren einen schweren Kletterunfall, der unser ganzes Leben veränderte. Er war 11 Jahre ein Pflegefall. Er wußte um das Risiko beim Klettern und Skitouren gehen (ich auch).
Ich hätte ihm trotzdem nie die Freude an diesem Hobby nehmen wollen.
Um Luis Stitzinger trauere ich, und wünsche seiner Partnerin viel Kraft in dieser schweren Zeit