Peter Hillary: „Mein Vater hätte geseufzt“

Edmund Hillary (1953)

Selfies waren damals noch nicht in. Deshalb gibt es kein Bild von Sir Edmund Hillary auf dem Gipfel des Mount Everest. Es wäre zu kompliziert gewesen, Tenzing Norgay da oben auf 8850 Metern die Kamera zu erklären, sagte Hillary später. Und so lichtete der Erstbesteiger des Everest an jenem 29. Mai 1953 eben seinen nepalesischen Mitstreiter am Gipfel ab. Es blieb das einzige Gipfelbild.

„Sir Ed“, der im Januar 2008 starb, wäre an diesem Samstag 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass habe ich mit Peter Hillary gesprochen, dem ältesten seiner drei Kinder. Der 64-Jährige bestieg selbst zweimal den Mount Everest (1990 und 2003), 2008 komplettierte er seine Sammlung der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente.

Peter, dein Vater wäre an diesem Samstag (20. Juli) 100 Jahre alt geworden. Die ganze Welt kennt ihn als den Erstbesteiger des Mount Everest. Was für eine Art Vater war er?

Hillary 1955 mit seiner ersten Frau Louise (sie und Tochter Belinda starben 1975 bei einem Flugzeugabsturz in Nepal) und Peter

Ich hatte unglaubliches Glück, denn er war ein Vater, der uns in seine Aktivitäten mit einbezog. Vor den Schulferien haben wir als Kinder immer darüber gescherzt, dass wir nie wussten, wo wir am Ende landen würden. Es konnten die Wüsten Australiens sein oder der Aufbau einer Schule oder eines Krankenhauses in Nepal oder auch Klettern oder Skifahren auf der Südinsel Neuseelands. So hat er seine Familie wirklich in viele seiner Aktivitäten einbezogen. Das war ein Privileg, und wir haben alle davon profitiert.

Ich schätze, er war typisch für einen Vater seiner Generation. Er wurde 1919 geboren, sein eigener Vater kam noch aus dem 19. Jahrhundert. Mein Vater hat seinen Erziehungsstil über die Zeit ganz erheblich verändert. Ich denke, er hat sich wirklich durch die Zeiten bewegt.

Peter Hillary

Immer wieder musste er erzählen, wie er mit Tenzing Norgay den Gipfel des Everest erreichte. Hat er sich eigentlich bei seiner Familie darüber beschwert, dass die Menschen ihn auf die Rolle des Everest-Erstbesteigers reduziert haben?

Er wusste, dass es ein unglaubliches Privileg war, überhaupt an dieser Expedition teilzunehmen und dann auch noch die Chance zu erhalten, die Erstbesteigung zu machen.  Ihm war auch klar, dass ihm das die Türen geöffnet hat. Zum Beispiel half es ihm dabei, alle diese Schulen und Krankenhäuser in Nepal zu bauen und auch weitere Expeditionen in den Himalaya oder in die Antarktis zu organisieren. Er erkannte, dass es Teil seiner Rolle war. Ich habe viele andere Menschen kennengelernt, die dies eher als Eingriff in die Privatsphäre ansahen. Ich war zum Beispiel mit meinem Vater und Neil Armstrong, dem ersten Mann auf dem Mond, am Nordpol. Neil war ein eher in sich gekehrter Typ, der einfach nicht über darüber reden wollte.

Wenn man sich schlecht fühlt, mit anderen Menschen über etwas zu reden, fühlt sich auch die Person schlecht, die mit einem darüber sprechen will. Mein Vater dagegen wollte sich immer nur nett mit den Menschen unterhalten, er hat Bücher signiert, Fotos mit den Leuten gemacht und zugehört, wenn sie ihre eigenen Berggeschichten erzählt haben. Er ging sehr großzügig mit seiner Zeit um.

Wie war seine Beziehung zu Tenzing Norgay?

Hillary (l.) und Tenzing Norgay

Sie waren sehr gute Freunde. Tenzing und seine (dritte) Frau Dakku kamen mehrmals nach Neuseeland, um uns zu besuchen und gemeinsam mit uns in die Berge zu gehen. Ich traf Tenzing zum ersten Mal 1962, als wir ihn in Darjeeling besuchten. Wir hatten dort ein paar wunderbare Tage mit Tenzing und seinen kleinen Kindern sowie Mitgliedern des Himalayan Mountaineering Institute, wo Tenzing viele, viele Jahre arbeitete. Mein Vater und Tenzing hatten ein sehr gutes Verhältnis. Sie arbeiteten ja auch in ähnlichen Bereichen und versuchten beide, den Menschen im Himalaya etwas zurückzugeben. Das war sicherlich das Wichtigste, das mein Vater tat. Aber sie arbeiteten auch beide im Bergtourismus. So kreuzten sich ihre Wege ziemlich oft.

Mit seiner Stiftung „Himalayan Trust“ hat dein Vater viel für die Sherpas im Himalaya getan. Wie wichtig war ihm diese Wohltätigkeitsarbeit?

Mehrere Jahrzehnte lang erklärte er immer wieder, dass es sich dabei um sein Lebenswerk handele. Er liebte seine Expeditionen und war sehr zufrieden über die Erstbesteigung des Mount Everest. Doch letztendlich war die Arbeit mit den Menschen in den Bergen Nepals für ihn wirklich sein wichtigster Beitrag.

Ist es schwierig, diese Arbeit ohne ihn fortzusetzen?

Hillary-Stupa oberhalb von Khumjung

Wir machen weiter. Dad war fantastisch darin, mit Menschen auf der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Es gibt Stiftungen in Deutschland, Großbritannien, Australien, Neuseeland, Amerika und Kanada. Hinter ihnen steht eine Gruppe  leidenschaftlicher Menschen. Und die Wahrheit ist: Das Vermächtnis meines Vaters lebt bei uns allen weiter. Er ist ein wichtiger Teil, warum diese Organisationen funktionieren. Und er hilft ihnen weiterhin, allein schon durch die Tatsache, dass sein Name da ist und er zu Lebzeiten ein wichtiger Teil dieser Organisationen war. 

Was würde er wohl sagen, wenn er sähe, was heute am Everest vor sich geht?

Schon vor 15, 20 Jahren war er schrecklich verärgert über einige der Verhaltensweisen auf dem Berg. Es gab Berichte, dass einige Bergsteiger im Anstieg einen in Not geratenen  Kletterer, der ganz offensichtlich höhenkrank war, passiert hatten, ohne ihm zu helfen. Das fand mein Vater ganz schrecklich.

Auf der anderen Seite hat er die Menschen, insbesondere die jungen Menschen dazu ermutigt, nach draußen zu gehen, in die Berge, dort wunderbare Erfahrungen zu machen, sich selbst herauszufordern und tolle Abenteuer zu erleben. Und es ist in vielerlei Hinsicht eine wunderbare Sache, den Mount Everest oder andere Gipfel im Himalaya zu besuchen. Doch Nepal ist ein sehr armes Land. Der Abenteuertourismus in Europa – Skifahren, Wandern, Klettern, Rundflüge –  ist eine Multi-Milliarden-Dollar-Industrie. Ich finde es deshalb unangebracht, wenn einige Westler Nepal raten: „Schließt den Everest! Niemand sollte mehr dorthin gehen!“ Ich denke, wir sollten den Nepalesen dabei helfen, ihren Tourismus besser zu betreiben. Und sie  befassen sich ja durchaus schon mit den Umweltproblemen oder auch mit der Anzahl der Bergtouristen, die sie ins Land lassen.

Menschenschlange am Everest-Gipfelgrat (am 22. April)

Aber wie hätte er sich wohl gefühlt, wenn er im vergangenen Frühjahr das Bild der Menschenschlange auf dem Gipfelgrat des Everest gesehen hätte?

Das war ein beunruhigendes Bild, ohne Zweifel. Und ich bin sicher, er hätte es sich angesehen und einfach nur geseufzt: „Was um alles in der Welt ist hier los?“ Man hatte versucht, die große Anzahl von Gipfelkandidaten auf verschiedene Tage zu verteilen. Doch am Tag vor der Aufnahme des Fotos war das Wetter schlecht, und die Bergsteiger, die eigentlich aufsteigen wollten, konnten es nicht. So ergab sich eine doppelte Anzahl von Menschen, die sich an jenem Tag auf den Weg nach oben machten. Das hat sicherlich zu dem Stau beigetragen.

Es scheint, dass das Everest-Gen fest in deiner Familie verankert ist. Du selbst hast den Everest zweimal bestiegen, und auch deine Kinder streben es an.

Sir Edmund Hillary mit seinen Enkeln Lily, Alexander und George

Es ist möglich, dass mein jüngster Sohn und ich im nächsten Jahr auf eine Filmexpedition zum Mount Everest gehen werden. Wir sind gerade dabei, die Vorbereitungen abzuschließen. Es ist noch nicht ganz fix, aber ziemlich wahrscheinlich. Ob ich zum Gipfel aufsteige, weiß ich nicht. Aber mein Sohn Alexander ist sehr daran interessiert. Dann hätte die dritte Generation von Hillarys den Mount Everest bestiegen.

In den letzten Jahren war ich mit meinen beiden Söhnen und meiner jüngsten Tochter auf einigen wunderbaren Bergtouren in verschiedenen Teilen der Welt. Wir waren in Chamonix am Mont Blanc, wir waren letztes Jahr auf dem Elbrus im Kaukasus. Wir hatten viel Spaß und werden auch weiterhin als Familie sehr schöne Bergtouren machen.

Aber was wird in dir vorgehen, wenn dein Sohn auf den Everest steigt?

Meine Erinnerung an Sir Ed: ein von ihm signierter Geldschein mit seinem Konterfei

Solange er auf den Berg geht und ich denke, dass er körperlich und mental gut vorbereitet ist, ausreichend motiviert und mit den richten Leuten unterwegs, werde ich ihn ermutigen. Ich denke, er wird erfolgreich sein und eine Zeit erleben, die ihn verändert. Aber natürlich bin ich auch besorgt. Ich bin schließlich sein Vater. Aber ich denke, unter den richtigen Umständen gibt es allen Grund, sehr zuversichtlich zu sein, dass er Erfolg hat und dass es eine großartige Erfahrung für ihn sein wird.

Und das hätte sicher auch deinem Vater gefallen, oder?

Ich denke, er wäre ziemlich begeistert von dem Gedanken gewesen, dass sein Enkel auf dem Gipfel dieses Berges steht. Wir treten in seine Fußstapfen, und wir sind stolz darauf.

2 Antworten auf „Peter Hillary: „Mein Vater hätte geseufzt““

  1. Lieber Stefan,
    ich habe eine Bitte für künftige Interviews. Aufgrund einer Augenerkrankung habe ich ein sehr schlechtes Kontrastsehen. Kannst du bitte in Zukunft die Fragen in blau und die Antworten in schwarz verfassen? Die Fragen kriege ich auf Grund der Kürze ohne Probleme gelesen, aber durch die blauen Antworten muss ich leider jedes längere Interview abbrechen.

    1. Hallo James, klar, das kann ich machen. Würde unter Umständen auch eine andere Farbe als Blau helfen, z.B. Rot?

Kommentare sind geschlossen.

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