Der klassische Alpinismus lebt! Das zeigt sich für mich darin, dass ich in dieser Herbstsaison in Nepal kaum noch damit nachkomme, über alle außergewöhnlichen Anstiege zu berichten.
Wie diesen: Nach Angaben von Anna Piunova vom russischen Bergsteiger-Portal mountain.ru erreichten Andrey Vasilyev, Sergey Kondrashkin, Natalia Belyankina, Kirill Eyserman und Vitaly Shipilov am gestrigen Mittwoch gegen 13 Uhr Ortszeit den Gipfel des 8163 Meter hohen Manaslu im Westen Nepals.
Das russische Team habe eine „neue Route im Alpinstil durch die riesige, bisher unerschlossene Südwestwand“ eröffnet, schreibt Anna auf Facebook. Andrey habe ihr vom höchsten Punkt eine kurze Nachricht geschickt: „Wir haben den Gipfel erreicht und sind gerade zum Zelt zurückgekehrt. Es ist brutal. Der Wind tobt dort oben.“
Gefährlicher Abstieg
Das Team befindet sich im Abstieg. „Alle sind gesund. Wir sind sehr müde. Aber beim Abstieg kommt gewöhnlich die Kraft wieder zurück“, schrieb Expeditionsleiter Vasilyev heute an mountain.ru. „Wir steigen zu Fuß über das Plateau auf 7100 Meter ab, dann über die österreichische Route, etwa 700 Meter unbekanntes Terrain. Auf dem Weg nach unten gibt es einige gefährliche Stellen.“

1972 hatte eine Tiroler Expedition unter Leitung von Wolfgang Nairz am Manaslu eine neue Route durch die Südwand eröffnet. Reinhold Messner hatte damals als einziges Teammitglied den Gipfel erreicht. Bei eine Wettersturz mit extrem schlechter Sicht waren Franz Jäger und Andreas Schick verschwunden, drei Jahre später hatten spanische Bergsteiger die Leichen der beiden entdeckt.
Biwak im Sitzen
Das fünfköpfige russische Team hatte am 12. Oktober, also vor elf Tagen das Basislager verlassen, hatte einen Eisbruch durchquert und war am 18. Oktober auf rund 6300 Metern in die Südwestwand eingestiegen. Einen Tag später berichtete Andrey über eine Biwaknacht in der Wand – im Sitzen in einem Schneeloch, dass sie gegraben hätten, um sich vor dem Wind zu schützen.

Auf 7700 Metern stiegen die vier Bergsteiger und eine Bergsteigerin aus der Südwestwand und bogen am Gipfelgrat auf die Manaslu-Normalroute ein, die von den kommerziellen Expeditionen genutzt wird.
Erste neue Route am Manaslu seit 2006
In diesem Herbst hatten die kommerziellen Veranstalter am Manaslu mehr als 600 Gipfelerfolge – fast alle mit Flaschensauerstoff und Sherpa-Unterstützung – gemeldet. Die bis gestern letzte Erstbegehung am achthöchsten Berg der Erde datierte von 2006.
Damals waren Denis Urubko und Sergei Samoilov auf einer neuen Route durch die Nordostwand des Manaslu geklettert – wie jetzt das russische Team in der Südwestwand ebenfalls im Alpinstil, also ohne Atemmaske, ohne Sherpas, ohne Fixseile und ohne feste Hochlager. Echter Alpinismus.

Update 31. Oktober: Das russische Team ist sicher zurückgekehrt – gezeichnet von den Strapazen der Expedition (s. Bild oben).

