Es war ein emotionaler Moment für Stephan Siegrist. Als der Schweizer Topbergsteiger mit seinen Landmännern Lukas Hinterberger und Nicolas Hojac den Gipfel des 2600 Meter hohen Cerro Cachet im Norden Patagoniens erreichte, legte der inzwischen 47-Jährige eine kleine Puppe am höchsten Punkt des Bergs ab. Diese Geste galt seinem Freund und Kletterpartner Julian Zanker, der im Februar 2019 im Alter von nur 28 Jahren bei einem Sturz im oberen Bereich der Eiger-Nordwand ums Leben gekommen war. Zanker hatte eigentlich bei der Schweizer Patagonien-Expedition mit dabei sein sollen. Im Herbst 2017 hatte Siegrist mit Zanker und dem deutschen Spitzenkletterer Thomas Huber erstmals die zentrale Nordwestwand des 6150 Meter hohen Cerro Kishtwar im indischen Teil der Unruheprovinz Kaschmir durchstiegen.
Vom Gipfel aus das neue Ziel ausgemacht
Siegrist, Hinterberger und Hojac machten sich im vergangenen November auf den Weg nach Chile. Ihr Ziel war nicht die von Kletterern aus aller Welt stark frequentierte Region um den Cerro Torre und den Fitz Roy, sondern die rund 270 Kilometer entfernten Berge im nördlichen Teil des Patagonischen Inlandseises. Nachdem sie zwei Wochen lang das für die Region fast schon typische Schlechtwetter ausgesessen hatten, nutzten sie den ersten Sonnentag, um den 2799 Meter hohen Cerro Largo zu besteigen. Vom Gipfel aus sahen sie ihr neues Ziel, die noch nicht durchstiegene Nordostwand des Cerro Cachet. Der Berg war 1972 von einer neuseeländischen Expedition unter Leitung von Robert Gunn erstbestiegen worden, über eine einfachere Rampe vom Inlandseis aus.
Eisschlag in der Wand
Die rund 600 Meter hohe Gipfelwand hatte es in sich. „Eine senkrechte und wilde Eislinie markierte die logische Linie, doch nach einer gekletterten Seillänge mussten wir bereits nach links in den Felsen ausweichen. Die Sonne verursachte mehr Eisschlag als uns lieb war“, schreibt Lukas Hinterberger in seinem Expeditionsbericht. Nach zehn Stunden Kletterei, bei denen in einigen heiklen Passagen „ein solides Nervenkostüm“ erforderlich gewesen sei, hätten sie schließlich die Gipfelwechte überwunden und den höchsten Punkt erreicht. Beim Abstieg, so der 26-Jährige, sei es noch einmal gefährlich geworden, als sich „Rime-Eis (Raueis) in der Größe von Autos löste und wir eine Stunde lang regelrecht bombardiert wurden. Ein ziemlich unangenehmer Kontrollverlust, denn es gab in der Rampe keine Ausweichmöglichkeit – aber das Glück war auf unserer Seite.“
In Memoriam Zanker, Steck und Lama
Die drei Bergsteiger tauften die neue Route durch die Nordostwand des Cerro Cachet „Homenaje a los amigos perdidos”, Hommage an verlorene Freunde. Neben Julian Zanker widmete das Schweizer Trio seinen Erfolg auch ihrem Landsmann Ueli Steck und dem Österreicher David Lama. Steck war im April 2017 in Nepal am Fast-Achttausender Nuptse in den Tod gestürzt. Lama war im April 2019 mit Hansjörg Auer und Jess Roskelley in einer Lawine in Kanada ums Leben gekommen.