Scheitern gehört zum ambitionierten Bergsteigen dazu – ebenso, dies ehrlich einzuräumen. So wie jetzt Billi Bierling am Dhaulagiri. „Ich habe in Lager 3 schlapp gemacht“, schreibt mir die 54 Jahre alte deutsche Bergsteigerin aus dem Basislager zu Füßen des 8167 Meter hohen Bergs im Westen Nepals.
Für den Weg von Lager 2 auf 6460 Metern bis Lager 3 auf rund 7200 Metern habe sie am vergangenen Sonntag zwölf Stunden gebraucht. Neuschnee und Lockerschneelawinen hatten für schwierige Verhältnisse gesorgt.
„Gipfel ist nur der halbe Weg“
„Es war sehr anstrengend, weil ich ohne Flaschensauerstoff unterwegs war und mein Zeug selbst im Rucksack getragen habe“, berichtet Billi. „Der Nordostgrat ist einfach gnadenlos steil.“ Vor fünf Monaten war ihr eine künstliche Hüfte eingesetzt worden.
Sie sei erst gegen 18 Uhr Ortszeit im letzten Hochlager eingetroffen, sagt Bierling. Drei Stunden nach den übrigen Team-Mitgliedern des Schweizer Veranstalters Kobler & Partner, zwei Stunden vor dem von Expeditionsleiter Andreas Neuschmid beschlossenen Aufbruchtermin Richtung Gipfel. „Zwei Stunden reichten nicht aus, um mich zu erholen“, so Billi. „Hätte ich den Gipfel versucht, hätte ich es vielleicht geschafft, nach oben zu kommen, wäre aber unter Umständen im Abstieg in Schwierigkeiten geraten. Das wollte ich niemandem zumuten. Mir war bewusst, dass der Gipfel nur der halbe Weg ist.“
Fünf Teammitglieder ohne Atemmaske oben
Expeditionsleiter Neuschmid, die Nepalesen Tashi Chhiring Sherpa, Lale Tamang, Karma Gyalzen Sherpa und Mingmar Sherpa, die beiden Deutschen Jürgen Diez und Stefan Sieveking sowie der Schweizer Jonas Salzmann erreichten am Montag um 12 Uhr Ortszeit den Gipfel. Für Jürgen war es nach Cho Oyu (2011), Manaslu (2015) und Broad Peak (2019) der vierte Achttausender, den er ohne Atemmaske bestieg. Auch Jonas, Karma, Tashi und Mingmar verzichteten laut Billi auf Flaschensauerstoff.
Stefan, inzwischen 75 Jahre alt, trug eine Atemmaske. 2016 hatte Sieveking (ebenfalls mit Flaschensauerstoff) den Mount Everest von der tibetischen Nordseite aus bestiegen. Mit damals 69 Jahren ist er bis heute der älteste der rund 100 Deutschen, die auf dem Dach der Welt standen. Stefan hat die Seven Summits bestiegen, die höchsten Berge aller Kontinente. Neben Everest und jetzt Dhaulagiri erreichte er die Achttausender-Gipfel Cho Oyu (2009, ohne Atemmaske), Manaslu (2014, mit Atemmaske) und Broad Peak (2019, mit Atemmaske).
„Eine Nummer zu groß“
Billi Bierling dagegen blieb am Dhaulagiri ihr siebter Achttausender vorerst versagt. 2009 hatte Billi den Mount Everest, 2010 den Manaslu, 2011 den Lhotse und 2014 den Makalu bestiegen, jeweils mit Atemmaske. 2011 hatte sie den Manaslu erneut bestiegen, diesmal ohne zusätzlichen Sauerstoff. Auch bei ihren Erfolgen 2014 am Cho Oyu und 2019 am Broad Peak hatte Billi auf eine Atemmaske verzichtet.
Vom Dhaulagiri kehrt die Bergsteigerin und Journalistin, die seit dem Tod der legendären Chronistin Elizabeth Hawley im Jahr 2018 die Himalayan Database leitet, ohne jeden Groll zurück. „Der Berg ist eine Nummer zu groß für mich“, räumt Billi ein. „Aber ich bin sehr dankbar, dass ich unter den schwierigen Bedingungen so weit gekommen bin.“ Von so viel Ehrlichkeit und Demut könnten sich manche Höhenbergsteiger eine Scheibe abschneiden.
Was für ein wohltuender Kontrast zum Ankündigungs- und ShowAlpinismus unserer Zeit! – Ich stimme dir zu, Stefan: das ist ein „Chapeau!“ wert!
Oooh wie ich das kenne ! Ziehe den Hut vor dieser Leistung sich 12 Std zu quälen !
Ich erinnere mich, lieber Marc. 😉
Schön, wenn es doch noch Ehrlichkeit am Berg gibt. Respekt Billi!