In der anhaltenden Diskussion um den groß angelegten Versicherungsbetrug durch vermeintliche Hubschrauber-„Rettungsflüge“ in Nepal kommt meiner Meinung nach ein Aspekt zu kurz: So verwerflich die Machenschaften der in den Skandal verwickelten Trekkingagenturen, Guides und Krankenhäuser auch sind und bestraft werden müssen, so spielt doch auch die Einstellung vieler Trekkingtouristen und Bergsteiger eine Rolle, die sich per Helikopter ausfliegen lassen. Die Frage muss erlaubt sein: Wie bereitwillig ist eigentlich der eine oder andere vermeintliche Patient an Bord gegangen?
Selbstverständlich geworden
Als ich 2016 nach 14 Jahren Unterbrechung wieder einmal im Khumbu-Gebiet unterwegs war, staunte ich über den Fluglärm in der einst so ruhigen Region rund um den Mount Everest. Bei gutem Wetter flog ein Hubschrauber nach dem anderen durchs Tal. Mein Eindruck: Der Heli ist inzwischen als Transportmittel für Mensch und Material an den höchsten Bergen der Welt selbstverständlich geworden.
Bevor ich 2002 – mitten im Bürgerkrieg zwischen nepalesischen Regierungstruppen und Maoisten – Richtung Everest-Basislager wanderte, bereitete ich mich mit einem gezielten Konditionstraining auf das Trekking vor. Ich machte mich im Vorfeld auch über die Risiken der Höhenkrankheit schlau und entwarf für mich selbst eine Notfallstrategie: Sollte es mich erwischen, dann nichts wie runter! Eine Hubschrauber-Rettung war für mich keine Option, außer im allergrößten Notfall. Vereinzelte Rettungsflüge gab es auch damals schon, aber verlassen konnte man sich darauf nicht. Mir war klar: Nicht mein Guide, nicht die Besitzer der Lodges, auch nicht die Reiseversicherung sind für mich verantwortlich, sondern ich selbst.
Verantwortlich sind immer die anderen
Und heute? Bei vielen Trekkingtouristen und auch Bergsteigern scheint die Versicherungsmentalität das Bewusstsein dafür verdrängt zu haben, eigenverantwortlich unterwegs zu sein. Viele denken: „Es wird schon gutgehen. Und wenn es doch kritisch wird, bringt mich schon mein Expeditionsleiter, Bergführer oder Sherpa in Sicherheit. Und mit dem Hubschrauber bin ich ja schnell zurück in der Zivilisation.“ A
Keine Diskussionen mehr über Stil
Als sich Reinhold Messner 1986 vor der Besteigung des Lhotse, seines letzten der 14 Achttausender, vom Makalu-Basislager zum Basislager unterhalb des Khumbu-Eisbruchs fliegen ließ, wurde noch heftig darüber diskutiert, ob das guter Stil sei; auch noch, als die Südkoreanerin Oh Eun Sun zwischen 2008 und 2010 Hubschrauberflüge ins Basislager zur Taktik erhob, um möglichst schnell viele Gipfel abzuhaken und sich die Krone der ersten Frau auf allen 14 Achttausendern zu schnappen. Heute dagegen verliert kaum noch jemand ein Wort darüber, wenn Profis oder auch Kunden kommerzieller Expeditionen mit dem Heli im Basislager einschweben und sich nachher auf dieselbe Weise vom Acker machen, um nur möglichst schnell wieder zu Hause zu sein.
Je kürzer, desto besser
Denn Abenteuer dürfen heutzutage nicht mehr lange dauern. Veranstalter haben zunehmend Schwierigkeiten, Kunden für Achttausender-Expeditionen zu finden, die – wie früher – mindestens sechs Wochen dauern. Je kürzer die Trips sind, umso eher werden sie gebucht. Nicht umsonst liegen so genannte „Rapid“- oder „Flash“-Expeditionen (Achttausender in vier Wochen oder weniger) voll im Trend.
Verhalten hinterfragen
Und was hat das alles mit dem Versicherungsbetrug in Nepal zu tun? Der Markt für Hubschrauberflüge in Nepal boomt, weil es eine große Nachfrage gibt. Und die hängt eben auch mit der veränderten Einstellung der Besucher des Himalaya-Staats zusammen. Anstatt also nur auf die schwarzen Schafe in der Trekkingbranche Nepals zu schimpfen, kann es nicht schaden, auch das Verhalten der Bergsteiger und Trekkingtouristen aus aller Welt zu hinterfragen.
Der Artikel stellt die richtige Frage nach der Verantwortung des Einzelnen für die offenkundigen Betrügerei mit angeblichen Rettungsflügen im Solu Khumbu. Die Einstellung gegenüber den Bergen (und der Natur im allgemeinen) scheint sich in den letzten Jahren fundamental geändert zu haben. Stellvertretend dafür stehen die steigenden tödlichen Unfälle bei spektakulären Selfies. Die Natur wird immer mehr nur noch als Kulisse für das eigene Ego wahrgenommen, nicht mehr als ein „ganzheitliches“ Erlebnis. Schade!