„Ich habe ein weniger mulmiges Gefühl, als wenn ich eine Sieben-Tage-Hüttentour in den Alpen buchen würde, bei der ich weiß, dass ich an jedem Tag wieder anderen Leuten begegne“, sagt mir Felix Berg, den ich telefonisch in der Kleinstadt Karimabad erreiche, im Hunzatal im Norden Pakistans. Der 39 Jahre alte deutsche Profibergsteiger leitet für den Veranstalter Summit Climb das erste ausländische Expeditionsteam, das sich seit Ausbruch der Corona-Pandemie auf den Weg nach Pakistan gemacht hat. Die Regierungen der Europäischen Union warnen weiterhin „vor nicht notwendigen, touristischen Reisen nach Pakistan“. Berg hält dies für überzogen und verweist darauf, dass Pakistan im Nicht-EU-Land Schweiz nicht mehr auf der Liste der Staaten mit erhöhtem Ansteckungsrisiko stehe.
Begleitet wird Felix von drei deutschen Kunden sowie dem erfahrenen pakistanischen Bergsteiger Mirza Ali Baig. Die vier Deutschen wurden vor der Abreise negativ auf das Coronavirus getestet. Ziel der Expedition seien“zwei etwa 6000 Meter hohe Berge auf der rechten Seite des Shimshal-Tals, die noch nicht bestiegen wurden und auch noch keinen Namen haben“, sagt Berg. Der 37 Jahre alte Mirza Ali hat wie seine Schwester Samina Baig bereits die Seven Summits bestiegen, die höchsten Berge aller Kontinente. Mirza, in Shimshal geboren und Chef des pakistanischen Anbieters Karakorum Expeditions, organisiert die Träger und wird vom Basislager aus auch mitklettern.
Pakistan seit 8. August wieder für Touristen geöffnet
Eigentlich wollte Felix Berg in diesem Sommer mit seinen Kunden zum Siebentausender Khan Tengri aufbrechen, doch die Corona-Lage in Kirgistan ließ es nicht zu. Berg suchte nach einer Alternative. „Der Hauptgrund, warum wir Pakistan ausgewählt haben, war, dass es überhaupt möglich ist, hierher zu reisen“, sagt Felix. „Außerdem sieht die Situation vor Ort nicht so schlimm aus. Es ist ein großes Land, und der Norden ist sehr wenig von der Pandemie betroffen.“
Bisher (Stand 14. August) wurden in Pakistan knapp 290.000 Corona-Infektionen gezählt, mehr als 6100 Menschen starben an COVID-19. Die Zahl der Neuinfektionen ging zuletzt jedoch stark zurück – im Gegensatz etwa zum Himalaya-Staat Nepal. Die Regierung Pakistans hatte vom 8. August an die Einreise von Touristen wieder zugelassen.
„Die Schutzmaßnahmen vor Ort sind gut“, findet Expeditionsleiter Berg. „Am Flughafen in Islamabad gab es sofort einen Temperatur-Scan. In Restaurants trägt die Bedienung grundsätzlich immer Mundschutz und hat das Haar bedeckt. Die meisten Menschen hier nehmen die Sache ein bisschen ernster als viele bei uns.“ Allerdings gebe es auch im Norden Pakistans einige, die die Corona-Pandemie auf die leichte Schulter nähmen und keinen Mundschutz trügen: „Diese Leute bezeichnen jeden normalen Husten als Corona und behaupten, das habe hier eh schon jeder gehabt.“
Leben „in der Blase“
Es habe sich schnell herumgesprochen, dass sie als erste ausländische Bergsteiger in diesem Sommer im Karakorum eingetroffen seien, berichtet Felix. Verlassen sei das Hunza-Tal jedoch nicht: „Vor zehn Jahren gab es hier kaum lokalen Tourismus. Doch inzwischen reisen auch reichere Leute aus Pakistan im Sommer in den etwas kühleren Norden reisen und verbringen dort ihren Urlaub. Deshalb ist es hier gar nicht so leer, wie man sich das vielleicht vorstellt.“
Bis Ende August haben Felix Berg und Co. Zeit, ihr Projekt im Shimshal-Tal erfolgreich abzuschließen. Große Sorgen, sich im Karakorum vielleicht doch mit dem Coronavirus anzustecken, macht sich der Expeditionsleiter aus Deutschland nicht. „Wir sind hier fünf Leute, leben in unserer ‚Bubble‘ (Blase), gehen an einen Berg, an dem niemand ist“, sagt Felix. „Klar bleibt ein gewisses Risiko. Aber ich glaube, dass es wesentlich geringer ist als das Risiko, dem sich viele Leute im Sommerurlaub in Europa aussetzen.“
Update 20. August: Felix Berg und seinem Team ist nach eigenen Angaben die Erstbesteigung eines 5770 Meter hohen, noch namenlosen Bergs im Shimshal-Tal gelungen.