Zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren wird der Piolet d’Or posthum an zwei Bergsteiger verliehen. Wie die Jury bekannt gab, gehören die beiden Japaner Kazuya Hiraide und Kenro Nakajima zu den diesjährigen Preisträgern. Sie werden für ihre Erstbegehung der Nordwand des Tirich Mir im Sommer 2023 mit dem „Oscar des Bergsteigens“ ausgezeichnet. Der 7708 Meter hohe Tirich Mir ist der höchste Berg im Hindukusch. Die Jury hob hervor, dass den Japanern fast keine Vorabinformationen über die abgelegene Nordwand zur Verfügung gestanden hätten. Es habe sich um eine „großartige Überschreitung eines sehr hohen Bergs“ gehandelt.
Tod in der Westwand des K2
Ein Jahr später, Ende Juli, waren Hiraide und Nakajima am 8611 Meter hohen K2, dem zweithöchsten Berg der Erde, in den Tod gestürzt. Sie hatten versucht, auf einer neuen Route durch die extrem anspruchsvolle Westwand des Bergs aufzusteigen – im Alpinstil, also ohne Flaschensauerstoff, ohne Hochträger, ohne feste Hochlager und ohne Fixseile.
Der 45 Jahre alte Hiraide und der 39 Jahre alte Nakajima galten als eine der leistungsstärksten Seilschaften der Welt. Das Top-Duo war bereits zuvor zweimal für Erfolge im Karakorum mit dem Piolet d’Or ausgezeichnet worden: für ihre Erstbegehung der Südwand des 7788 Meter hohen Rakaposhi 2019 und für ihre Erstbegehung der Nordostwand des 7611 Meter hohen Shispare 2017. Ihren dritten gemeinsamen Erfolg bei der prestigeträchtigen Ehrung erlebten sie nicht mehr.
2019 war der Piolet d’Or ebenfalls an Bergsteiger gegangen, die den prestigeträchtigen Preis nicht mehr selbst entgegennehmen konnten: an die österreichischen Topkletterer David Lama und Hansjörg Auer, jeweils für gelungene Soloprojekte 2018. Im folgenden Jahr waren die beiden und der US-Amerikaner Jess Roskelley bei einem Lawinenunglück am 3295 Meter hohen Howse Peak in den kanadischen Rocky Mountains ums Leben gekommen.
Piolets d‘Or für Routen am 7000er Jannu und am 6000er Flat Top
Weitere Piolets d’or gehen in diesem Jahr an die US-Amerikaner Jackson Marvell, Alan Rousseau und Matt Cornell für ihre in Teilen neue Route durch die extrem steile, anspruchsvolle und daher selten begangene Nordwand des 7710 Meter hohen Jannu im Osten Nepals. „Eine außergewöhnliche Besteigung, die das technische Klettern im Alpinstil in großer Höhe auf ein neues Niveau gebracht hat“, urteilte die Jury.
Ebenfalls einen „Goldenen Eispickel“ erhalten die drei Schweizer Hugo Beguin, Matthias Gribi und Nathan Monard, die im Herbst 2023 am 6100 Meter hohen Flat Top im indischen Himalaya eine neue Route durch die Nordwand und über den Nordpfeiler eröffnet hatten und dann über die Westwand des Bergs abgestiegen waren.
Verneigung vor Nives Meroi
Eine „besondere Erwähnung im weiblichen Alpinismus“ erhält Nives Meroi. Die heute 63 Jahre alte Italienerin war 2017 – nach der Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner 2011 – die zweite Frau, die ohne Flaschensauerstoff auf allen 14 Achttausendern stand. Alle diese Gipfelerfolge teilte sie mit ihrem Mann Romano Benet. Stets waren sie ohne Sherpas unterwegs. Auch nachdem sie ihre Achttausendersammlung komplettiert hatten, versuchten sie sich in ihrem Stil an hohen Bergen des Himalaya. So gelang ihnen im Herbst 2023 – mit dem Slowaken Peter Hamor und dem Slowenen Bojan Jan – die Erstbegehung der Westwand des 7318 Meter hohen Kabru South im Osten Nepals.
Auszeichung für Lebenswerk an Jordi Corominas
Der diesjährige Piolet d’Or für das Lebenswerk geht an eine spanische Bergsteiger-Legende: den inzwischen 66 Jahre alten Jordi Corominas. Der Bergführer aus dem Baskenland ist für seinen sauberen Kletterstil bekannt. Leicht und schnell – das war stets sein Motto. Corominas‘ bekanntester Coup war 2004 die erste und bisher einzige Wiederholung der sogenannten „Magic Line“ über den Süd-Südwestgrat des K2. Die Route war im Sommer 1986 von den Polen Przemslaw Piasecki und Wojciech Wroz sowie dem Slowaken Petr Bozic eröffnet worden.
Corominas stieg die letzten gut 300 Höhenmeter zum Gipfel allein auf, nachdem seine beiden Begleiter Oscar Cadiach und Manel de la Matta auf rund 8300 Metern umgekehrt waren. Manel starb in Lager 1 auf knapp 6300 Metern, er hatte zuvor über starke Bauchschmerzen geklagt.
Die Piolets d’Or werden in diesem Jahr am 10. Dezember in San Martino di Castrozza im Trentino in Italien vergeben.