Jost Kobusch wurde am Mount Everest von den Auswirkungen des heutigen starken Erdbebens in Tibet im Zelt auf rund 5700 Meter Höhe überrascht. „Ich dachte erst, neben mir sei ein Serac (Eisturm) abgegangen“, erzählt mir der 32 Jahre alte deutsche Bergsteiger am Telefon. „Dann merkte ich, dass alles wackelte.“
Kobusch hatte etwa auf halber Höhe auf dem Weg zum Lho La übernachtet. Der Pass verbindet das Everest-Tal auf der nepalesische Südseite mit Tibet. Dort beginnt der Westgrat, über den Jost den Mount Everest im Winter besteigen will. Nachdem er am 27. Dezember auf seiner geplanten Route eine Höhe von rund 7500 Metern erreicht hatte, sei er diesmal „ganz ohne Erwartung“ aufgestiegen, so Kobusch. „Ich wollte einfach nur fühlen, was geht. Ich hatte alles mit, um gegebenenfalls höher zu steigen.“
Zelt nicht mehr zu gebrauchen
„Mein Zelt stand relativ sicher auf einer Felsplatte, wie auf einem kleinen Balkon, rechts und links von Eistürmen flankiert“, berichtet Kobusch weiter. „Schließlich hörte ich, wie auch Steine herunterfielen. Und ich spürte die Druckwellen, als einige Seracs zusammenbrachen.“ Eine dieser Wellen habe das Sichtfenster seines Zelts förmlich herausgedrückt, das Zelt sei nun unbrauchbar. Als die Erdstöße nachließen, wartete Jost eine Weile, bevor er sich auf den Abstieg machte. „Ich habe mir bewusst Zeit gelassen, damit sich alles am Berg wieder sortieren konnte.“
Viele besorgte Anrufe
Einige Stunden nach dem Beben erreichte Kobusch wohlbehalten sein „Basislager“, die „Pyramide“. Die italienische Forschungsstation liegt nahe der Siedlung Lobuche auf rund 5000 Metern Höhe. Dort musste er erst einmal eine Reihe Telefonate führen. „Alle waren in Aufruhr. Gefühlt wollte jeder Beamte in Nepal wissen, ob ich wohlauf sei“, sagt Jost.
Zum zweiten Mal Lawine am Everest überlebt
Ich frage ihn, ob er trotz des mulmigen Gefühls infolge des Bebens erwäge, in diesem Winter noch einmal auf seiner geplanten Route aufzusteigen. Kobusch klingt skeptisch. „Ich warte jetzt erstmal die nächsten Tage ab. Wer weiß, was noch kommt? Es wird weiter tektonische Aktivität geben, womöglich einige Nachbeben“, sagt Jost. „Und schon der Aufstieg zum Lho La ist ja stark lawinengefährdet.“
Für Kobusch war es bereits das zweite Erdbeben-Erlebnis am Everest. Im April 2015 hatte das verheerende Erdbeben in Nepal eine Lawine ausgelöst, die vom gegenüberliegenden Siebentausender Pumori abgegangen war und das Everest-Basislager zerstört hatte. 22 Menschen waren dabei ums Leben gekommen. Josts Video von der Lawine, aufgenommen im Basislager, war damals um die Welt gegangen. Das Beben hatte in Nepal rund 9000 Menschen das Leben gekostet.