Was hat Kilian Jornet am Mount Everest vor? Das fragten sich viele Beobachter des bunten Treibens am Mount Everest, seitdem der für seine Speed-Aufstiege bekannte Spanier am höchsten Berg der Erde aufgetaucht war. Im April war der 35-Jährige mal eben an einem Tag vom Namche Bazaar, dem Hauptort der Everest-Region, bis zum Basislager gelaufen, gleich am nächsten Morgen bis Lager 2 auf 6400 Meter aufgestiegen und anschließend wieder zurück nach Namche gerannt. Im Frühjahr 2017 hatte Kilian den Everest zweimal innerhalb einer Woche über die tibetische Nordseite bestiegen – ohne Atemmaske.
Nun hat Jornet das Geheimnis seines Everest-Plans in dieser Saison gelüftet. Schon wieder zurück in Kathmandu gab er bekannt, dass er sich, im Alleingang und wie immer ohne Flaschensauerstoff, an der Route über den Westgrat und durch das Hornbein-Couloir versucht habe. Am vergangenen Montag hatte sich der Tag zum 60. Mal gejährt, an dem die US-Amerikaner Tom Hornbein (er starb Anfang Mai mit 92 Jahren) und Willi Unsoeld (1926-1979) mit Flaschensauerstoff die sehr anspruchsvolle Everest-Route eröffnet und den Gipfel erreicht hatten. Hinterher waren sie über die heutige Normalroute auf der nepalesischen Südseite abgestiegen. Es war die erste Überschreitung eines Achttausenders. Die Route wurde nur siebenmal wiederholt. Kilian Jornet brach seinen Versuch ab.
50 Meter von Lawine mitgerissen
Schon der Aufstieg zur Westschulter habe sich wegen Blankeis schwierig gestaltet, schreibt Jornet: „Als ich den Grat erreichte, war es sehr windig, so dass ich mich drei Stunden lang unter einer Wechte aufhielt, um mich zu beruhigen. Währenddessen beobachtete ich die Schlangen der Kletterer auf der nepalesischen und der tibetischen Normalroute, die sich aufwärts schoben. Nachdem sich der Wind gelegt hatte, stieg ich weiter über den Grat auf und querte in gemischtem Gelände zum Fuße des Hornbein-Couloirs. Ich fühlte mich großartig und die Bedingungen waren perfekt.“
Nachdem er einige hundert Meter durch das Couloir gestiegen sei, habe sich eine Schneeansammlung gelöst. „Ich wurde etwa 50 Meter von der Lawine mitgerissen. Ich zweifelte, ob ich weiterklettern oder umkehren sollte und entschied mich für Letzteres.“ Der Abstieg habe sich „interessant“ gestaltet, so Kilian, weil es heftig zu schneien begann. Er habe nur zwei bis drei Meter weit sehen können, seine Spuren vom Aufstieg seien zugeschneit gewesen. Mit den auf seiner Uhr gespeicherten GPS-Daten habe er schließlich den Weg zurück gefunden.
„Ich habe den Gipfel, den ich anstrebte, nicht erreicht. Aber alles andere“, bilanziert Jornet und philosophiert über Ziele am Berg und den Weg dorthin: „Ich glaube fest daran, dass das Wie viel größer und wichtiger ist als das Was, und in diesem Sinne war der Aufstieg einfach perfekt. Wie ein großes Puzzle mit allen Teilen – außer einem, dem Gipfelteil.“ Gut gesagt.