Er ist wieder da. Der Südkoreaner Sung Taek Hong hat erneut sein Basislager am Fuße der gewaltigen Lhotse-Südwand aufgeschlagen. Zum bereits sechsten Mal ist der 52-Jährige nach Nepal gereist, um sich an der 3300 Meter hohen, extrem anspruchsvollen Achttausender-Wand zu versuchen. Diesmal hat Hong ein internationales Team um sich geschart. Wie schon bei seinem letzten Versuch im Herbst 2017, gehört mit Jorge Egocheaga ein äußerst erfahrener Höhenbergsteiger dazu: Der 50 Jahre alte Spanier hat bereits auf allen 14 Achttausendern gestanden. Lediglich am Everest nutzte er Flaschensauerstoff.
Ebenfalls mit dabei ist Uta Ibrahimi aus dem Kosovo. Die 35-Jährige hat in den vergangenen beiden Jahren vier Achttausender bestiegen: 2017 Mount Everest und Manaslu, 2018 Lhotse und Cho Oyu. Die Chinesin Jing He (laut Himalayan Database wurde sie 1988 geboren und bestieg 2016 den Cho Oyu, 2017 den Manaslu und 2018 den Makalu), der 37 Jahre Kolumbianer Gabriel Morant (bisher noch ein unbeschriebenes Blatt an den höchsten Bergen der Welt) sowie die Südkoreaner Nak Jong Sung, Jin Kwon Woo, Jae Chul Kim und Sung Woo Jo vervollständigen das Team.
Auf Kukuczkas Spuren
„Es wird kein leichtes Unterfangen, sondern raues, hartes Klettern“, hatte Hong vor dem Aufbruch in Kathmandu gesagt. Sung Taek hat sich eine Variante der Route Jerzy Kukuczkas vorgenommen. Der legendäre polnische Bergsteiger war 1989 beim Versuch, die Lhotse-Südwand zu durchsteigen, aus einer Höhe von 8200 Metern in den Tod gestürzt.
Die Wand war 1990 erstmals gemeistert worden. Im Frühjahr 1990 verkündete der Slowene Tomo Cesen, er sei durch die Südwand geklettert, und das im Alleingang. Dokumentieren konnte der Bergsteiger diesen Erfolg nicht. Erste Zweifel an den Angaben Cesens äußerten der Ukrainer Sergej Bershov und der Russe Vladimir Karatayev, die im selben Jahr auf einer anderen Route durch die Wand stiegen. Ende 2006 schaffen Mitglieder einer japanischen Expedition die Lhotse-Südwand erstmals im Winter. Sie mussten 41 Meter unterhalb des Gipfels umdrehen, hatten jedoch den Gipfelgrat erreicht. Damit galt die Wand als durchstiegen.
Erstmals im Frühling
Sung Taek Hong und der Lhotse – das ist eine lange Geschichte. Bereits im Herbst 1999 gehörte Hong zu einer koreanischen Expedition, die in der Südwand auf der Route von Bershov und Karatayev bis auf eine Höhe von 7700 Meter vordrang. 2008 kam Hong nicht weiter als bis zum Basislager unterhalb der Wand: Aus persönlichen Gründen musste er sofort nach seiner Ankunft wieder nach Korea zurückkehren. Im Herbst 2013 versuchte er, den mit 8516 Metern vierthöchsten Berg der Erde im Alleingang über die Normalroute durch die Westflanke zu besteigen. Auf 7900 Metern kehrte er wegen zu starken Winds um.
Im Herbst 2014 erreichte Sung Taek, diesmal erneut in der Südwand, eine Höhe von 7900 Metern, ehe er die Expedition abbrechen musste, weil ihm die Zeit ausging. Ein Jahr später war er wieder dort, stürmisches Wetter stoppte Hongs Team auf 8200 Metern. Und auch im Herbst 2017 sorgten widrige Wetterverhältnisse dafür, dass der Koreaner und seine Gefährten auf einer Höhe von 8250 Metern umkehren mussten. „Bisher bin ich ausschließlich im Herbst unter schlechten Bedingungen geklettert“, sagt Hong. „Im Frühjahr ist der Sonnenschein warm und reichlich. Das ist die richtige Zeit.“
Die Sammlung der „drei Pole“ hatte der Südkoreaner bereits vor 14 Jahren vervollständigt. 2005 erreichte er den Nordpol, 1994 und 1997 den Südpol sowie im Herbst 1995 den „dritten Pol“, den Mount Everest, von der tibetischen Nordseite aus. Doch seine „Lebensaufgabe“, wie Sung Taek Hong die Lhotse-Südwand bezeichnet, ist immer noch nicht erfüllt. Vielleicht wird sein Durchhaltevermögen ja diesmal belohnt.