Reinhold Messner ist 80 – Auseinandersetzung als Lebenselixier

Reinhold Messner (2013)
Reinhold Messner

Extrovertiert, selbstbewusst, meinungsstark, manchmal polternd, häufig polarisierend. So ist Reinhold Messner. „Ich bin eine lebende Provokation“, sagte mir die Bergsteiger-Legende einmal in einem Interview. Kein Wunder, dass er sein neuestes Buch, das pünktlich zu seinem heutigen 80. Geburtstag erschien, „Gegenwind“ getauft hat.

„Widerstände zu überwinden ist uns Menschen in die Gene geschrieben“, schreibt Messner darin. „In der unberührten Natur galt und gilt es ständig, das Überleben zu sichern. Die dabei entwickelten Instinkte zwingen uns, auf Gefahren zu reagieren, unter allen Umständen, auch dort, wo Menschen – mit bösen Absichten – anderen Übles wollen. Meine Erfahrung dazu sagt mir, dass menschengemachter Widerstand zerstörerischer sein kann als natürlicher.“

Feier nur mit Ehefrau

Die Zivilisation, so Messner, sei „inzwischen Verschwörungstheorien, Hass und professioneller Desinformation ausgeliefert. Mein Problem ist, dass ich mich im Cyberspace verliere.“ Dabei lässt der Jubilar selbst die Öffentlichkeit in den sozialen Netzwerken und den klassischen Medien an seinem Privatleben teilhaben. Regelmäßig lässt er dort wissen, wie glücklich er mit seiner dritten Ehefrau sei, der 44 Jahre alten Diane Messner. Auf der anderen Seite machte er jüngst aber auch den Erbstreit mit seinen Kindern öffentlich – was viele befremdlich fanden. Seinen heutigen Ehrentag wollte Messner auf einer Berghütte verbringen, nur mit seiner Diane.

Streit mit dem Vater, Mutter schlichtete

St. Peter im Villnösstal
In Villnösstal in Südtirol verbrachte Messner seine Kindheit und sammelte seine ersten Bergerfahrungen

Schon als Kind lernte Reinhold Messner zu streiten. Er wuchs mit acht Geschwistern im Südtiroler Villnöß-Tal nahe Brixen auf. Sein Vater war Dorfschullehrer und erzog seine Kinder mit harter Hand, vermittelte ihnen aber auch seine Liebe zu den Bergen. Als Reinhold fünf Jahre alt war, nahm ihn sein Vater mit auf einen Dreitausender. Später lehnte sich Reinhold Messner gegen den autoritären Vater auf. Häufig gab es Streit, den die Mutter dann schlichtete. Messner studierte Vermessungskunde und arbeitete vorübergehend – wie sein Vater – als Lehrer. Dann aber widmete er sich voll und ganz seiner Leidenschaft, dem Bergsteigen.

Tragödie am Nanga Parbat

Grat zwischen Diamir- und Rupalwand am Nanga Parbat
Grat zwischen Diamir- und Rupalwand am Nanga Parbat

In den 1960er-Jahren gehörte Messner zu den besten Felskletterern der Alpen, was ihm schließlich auch das Tor zu den höchsten Bergen der Welt öffnete. Gleich sein erster Versuch im Rahmen einer deutschen Expedition 1970 zum 8125 Meter hohen Nanga Parbat in Pakistan endete nach dem Triumph in einer Tragödie. Mit seinem jüngeren Bruder Günther durchstieg Reinhold Messner erstmals die 4500 Meter hohe Rupalwand, eine der höchsten Fels- und Eiswände der Welt. Beim Abstieg über die andere Seite des Bergs kam Günther Messner ums Leben. Die genauen Umstände des Dramas sorgten über Jahrzehnte für einen erbitterten Streit zwischen Messner und anderen Teilnehmern der Nanga-Parbat-Expedition. Reinhold Messner überlebte mit schweren Erfrierungen, sieben Zehen mussten amputiert werden.

Everest ohne Flaschensauerstoff und im Alleingang

Das hinderte ihn jedoch nicht daran, weiter auf Expeditionen zu gehen. Bis 1986 bestieg Messner auch die anderen 13 Achttausender – allesamt ohne Atemmaske, meist auf neuen Routen, in puristischem Stil, im kleinen Team oder sogar solo. Er war der erste Mensch, der auf den 14 höchsten Bergen der Welt stand. Nicht nur damit schrieb Messner Bergsteiger-Geschichte, die Liste der Meilensteine ist lang. Für die meisten Schlagzeilen weltweit sorgte 1978 die erste Besteigung des Mount Everest ohne Flaschensauerstoff, die Messner gemeinsam mit dem Österreicher Peter Habeler gelang. „Im Grunde wollte ich damals nur ein Exempel statuieren, einen Versuch machen. Ich wusste nicht, wie weit ich komme“, räumte Messner später ein. „Bei jeder Pause haben wir uns angeschaut: Sind wir noch bei Trost? Ist es noch verantwortbar oder nicht?“

Sonnenaufgang am Mount Everest
Sonnenaufgang am Mount Everest (im Herbst 2019)

Im Sommer desselben Jahr gelang ihm am Nanga Parbat die erste Solo-Besteigung eines Achttausenders vom Basislager bis zum Gipfel. Im Sommer 1980 ließ Messner einen Alleingang am Everest folgen: Mitten im Monsun stieg der Südtiroler im Alleingang über die tibetische Nordseite zum Gipfel auf 8849 Metern, wieder ohne Flaschensauerstoff, auf einer teilweise neuen Route. Für ihn selbst das „I-Tüpfelchen meiner Karriere“, wie er mir einmal sagte. Es blieb bis heute die einzige echte Solobesteigung des höchsten Bergs der Erde. 1984 glückte Messner – mit Hans Kammerlander – am Gasherbrum I und II im Alpinstil die erste Achttausender-Doppelüberschreitung.  

Sich ständig neu erfunden

Nachdem er seine Achttausender-Sammlung komplettiert hatte, machte sich der „Grenzgänger“, wie sich Messner selbst gerne bezeichnet, zu neuen Abenteuern auf. So suchte er im Himalaya nach dem sagenumwobenen Yeti (1988), durchquerte die Antarktis (1989/1990 mit dem Deutschen Arved Fuchs), Grönland (1993 mit seinem jüngeren Bruder Hubert) und die Wüste Gobi (2004 allein).

Reinhold Messner vor seinem Bergmuseum auf Schloss Sigmundskron bei Bozen (2009)
Reinhold Messner vor seinem Bergmuseum auf Schloss Sigmundskron bei Bozen (2009)

Auch nach dem Ende seines Extremabenteuer-Daseins erfand sich Messner ständig neu und blieb doch irgendwie der Alte. Offensiv, streitbar, im Licht der Öffentlichkeit – ob als Politiker für die Grünen im Europaparlament, als Gründer seiner sechs Bergmuseen in Südtirol, als Vortragsredner, Buchautor oder Dokumentarfilmer. Er wusste und weiß sich eben auch zu vermarkten. Und ist, nebenbei bemerkt, auch ein begnadeter Erzähler. Seine Abenteuer haben, auch wenn sie nun schon Jahrzehnte zurückliegen, nichts von ihrem Wert und ihrer Faszination verloren. Messner hat zu seiner Glanzzeit Alpinismus-Geschichte geschrieben. Das kann ihm keiner nehmen. Deshalb frage ich mich oft, warum er nicht ein bisschen gelassener ist.

„Gegenwind lässt Flügel wachsen“

Dass Reinhold Messner nun mit 80 Jahren plötzlich ruhig und übermäßig harmoniebedürftig wird, ist jedoch kaum zu erwarten. Denn so ganz ohne Disput wäre für ihn das Leben wahrscheinlich langweilig. Er habe „viel Gegenwind ausgehalten, bin oft – wieder und wieder – gescheitert, ließ mich aber nicht beirren“, schreibt Messner in seinem neuen Buch. „Die Kritiker kamen und verschwanden wieder, andere stellten mir ein Leben lang nach, und so manche wollen immer noch nicht einsehen, dass es auch ihr Verdienst ist, wenn ich überlebt habe. Gegenwind lässt Flügel wachsen.“ Auseinandersetzung als Lebenselixier. Herzlichen Glückwunsch, Reinhold Messner!

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