Der Grat zwischen Triumph und Tragödie kann an den Achttausendern sehr schmal sein. Zunächst ging die Schlagzeile um die Welt, dass der Südkoreaner Kim Hong-bin den 8051 Meter hohen Broad Peak im Karakorum bestiegen und damit als erster behinderter Bergsteiger der Welt auf allen 14 Achttausendern gestanden habe – mit Flaschensauerstoff. Sogar der südkoreanische Präsident Moon Jae-in gratulierte Kim via Twitterzur Komplettierung der Achttausender-Sammlung: „Du hast den Menschen, die des Coronavirus müde sind, mehr Stolz und Hoffnung gegeben.“
Wenige Stunden später kam die Nachricht, dass der 56-Jährige vermisst werde. Russische Bergsteiger, die ebenfalls am Berg waren, berichteten schließlich, Kim sei beim Abstieg weit oben am Berg in eine 15 Meter tiefe Spalte gefallen und dabei ums Leben gekommen. In anderen Meldungen in den sozialen Netzwerken hatte es zuvor geheißen, Hong-bin sei auf die chinesische Seite des Broad Peaks abgestürzt.
Behinderung durch Bergsteigen überwunden
Dem Bergsteiger aus Südkorea fehlten seit 1991 alle zehn Finger. Es passierte am 6190 Meter hohen Denali in Alaska, dem höchsten Berg Nordamerikas. Dort zog sich Hong-bin so schwere Erfrierungen zu, dass alle Finger amputiert werden mussten. Die Behinderung bremste Kim nicht in seinem Tatendrang, ganz im Gegenteil. „Wenn der Unfall am Denali nicht passiert wäre, wäre ich ein ganz normaler Bergsteiger geblieben“, sagte Hong-bin einmal. „Die Not ließ mich das scheinbar Unmögliche versuchen. Ich habe die Behinderung, die mir ein Berg beibrachte, dadurch überwunden, dass ich Berge bestieg.“
Auch auf den Seven Summits
Seine ersten beiden Achttausender-Erfolge feierte der „Mann ohne Finger“ 2006, als er den Gasherbrum II und die Shishapangma bestieg. 2007 stand Kim auf dem „Dach der Welt“ , dem Gipfel des Mount Everest, 2008 auf dem Makalu. Knapp ein Jahr später, Anfang 2009, komplettierte er mit dem Mount Vinson in der Antarktis seine Sammlung der „Seven Summits“, der höchsten Berge aller Kontinente.
Und er bestieg weiter Achttausender: Dhaulagiri (2009), Cho Oyu (2011), K 2 (2012), Kangchendzönga (2013), Manaslu (2014), Lhotse und Nanga Parbat (beide 2017), Annapurna (2018) , den Gasherbrum I (2019). Nur der Broad Peak fehlte ihm noch.
Auch bei den Paralympics gestartet
Der 1,76 Meter große Südkoreaner, der in der Stadt Gwanju im Süden des Landes lebte, war nicht nur Höhenbergsteiger, sondern auch paralympischer Sportler. So startete er 2002 für Südkorea bei den Paralympischen Spielen in Salt Lake City und belegte in Slalom und Super G jeweils den neunten Platz. Noch im Februar 2019 gewann er bei den koreanischen alpinen Ski-Meisterschaften der Behindertensportler Gold. Und auch als Radfahrer, Inlineskater und Sprinter in der Leichtathletik bestritt Kim erfolgreich Wettkämpfe.
Seine Träume aber lebte Hong-Bin vor allem in den Bergen. „Ich habe mein ganzes Leben in den Bergen verbracht“, sagte Kim Hong-bin einmal in einem Interview. „Träume sind mehr als das Leben. Im Leben kannst du mittellos sein, aber deine Träume darfst du niemals aufgeben.“ Die Erfüllung seines ganz großen Traums, auf allen 14 Achttausendern gestanden zu haben, überlebte Hong-bin nur um wenige Stunden.