„Ich kann nicht verstehen, warum die Männer so viel Aufhebens um den Everest machen – es ist nur ein Berg“, sagte Junko Tabei einmal. Heute vor 50 Jahren, am 16. Mai 1975 um 12.30 Uhr Ortszeit, erreichte die Japanerin als erste Frau den höchsten Punkt der Erde auf 8849 Metern. Begleitet wurde sie von Ang Tshering Sherpa (1949-2012), beide nutzten Flaschensauerstoff. Es war rund zwei Jahrzehnte, bevor das kommerzielle Bergsteigen am Mount Everest, wie wir es heute kennen, Fahrt aufnahm.
„Ich wollte keinen einzigen Schritt mehr tun. Nie mehr“, sagte Junko später über den Moment, als sie mit Ang Tshering den Gipfel erreichte. 50 Minuten blieben sie oben, dann machten sie sich auf den Abstieg. Daheim in Japan wurde Tabei später als Heldin gefeiert, womit sie wenig anfangen konnte: „Ich habe doch nur das getan, was ich wollte.“
Kletter-Ladies
Eine Lehrerin weckte Junkos Liebe zu den Bergen. Sie nahm die damals Zehnjährige mit auf den 1916 Meter hohen Vulkan Nasu-dake. Als Tabei mit Anfang 20 einer Bergsteigergruppe beitreten wollte, spürte sie sehr deutlich die Vorbehalte der ausschließlich männlichen Mitglieder. Niemand wollte mit der zierlichen, nur 1,52 Meter großen Junko klettern. 1969 hatte sie es satt und gründete den „Ladies Climbing Club Japan“ (LCC). Ihr Ziel: „Lasst uns selbst auf eine Übersee-Expedition gehen!“
Ein Jahr später war es so weit. Im Mai 1970 bestieg Tabei – mit ihrer Landsfrau Hiroko Hirakawa und den Nepalesen Pasang Nima Sherpa und Girmi Tenzing Sherpa – die 7555 Meter hohe Annapurna III. Es war erst der zweite Gipfelerfolg an diesem Berg im Westen Nepals nach der Erstbesteigung im Jahr 1961.
„Ich möchte wieder nach Nepal kommen und einen höheren Gipfel besteigen, einen Achttausender – vielleicht sogar den Everest“, schrieb Junko anschließend in ihrem Bericht für Elizabeth Hawley, Gründerin der Bergsteiger-Chronik Himalayan Database. Zu jener Zeit vergab die Regierung Nepals nur für eine Everest-Expedition pro Saison eine Besteigungsgenehmigung. Der LCC bewarb sich für das Frühjahr 1975 und erhielt den Zuschlag.
Aus Lawine gerettet
Als Junko Tabei 1975 nach Nepal reiste, war sie bereits Mutter einer dreijährigen Tochter (später bekam sie noch einen Sohn). Die japanische Gruppe bestand aus 15 Frauen. Gesponsert wurde die Expedition von einem japanischen Fernsehsender und einer Zeitung. Die Vereinten Nationen hatten 1975 zum „Internationalen Jahr der Frau“ ausgerufen, da passte die Frauenexpedition gut ins Bild. Beinahe hätte sie in einer Katastrophe geendet.

Am 4. Mai wurde das Hochlager der Japanerinnen auf 6300 Metern oberhalb des Khumbu-Eisbruchs von einer Lawine getroffen. „Jetzt ist es aus, jetzt musst du sterben“, erinnerte sich Tabei später daran, was sie in diesem Augenblick gedacht hatte. Sie bekam kaum Luft zum Atmen und verlor für einige Minuten das Bewusstsein. Den Sherpas gelang es schließlich, alle Teammitglieder aus den Schneemassen zu befreien.
An Krebs gestorben
Zwölf Tage später stand die damals 35 Jahre alte Junko Tabei auf dem höchsten Gipfel der Welt. 1992 wurde sie auch die erste Frau, die auf den Seven Summits war, den höchsten Bergen aller Kontinente. 1996 bestieg die Japanerin – ohne Flaschensauerstoff – mit dem 8188 Meter hohen Cho Oyu ihren zweiten Achttausender. 2016 starb diese Pionierin des Frauen-Bergsteigens im Alter von 77 Jahren an Krebs.
Vor dem Start der aktuell laufenden Frühjahrssaison am Mount Everest hatten 870 Frauen den höchsten aller Berge bestiegen. Junko Tabei war die Erste.