Manche Bilder sagen mehr als tausend Worte. Wie jene Aufnahme des nepalesischen Bergsteigers Nirmal Purja vom überfüllten Gipfelgrat des Mount Everest, die weltweit für Schlagzeilen sorgt, seitdem der 36-Jährige das Bild am vergangenen Mittwoch über die sozialen Medien veröffentlichte (s.u.). Mehr als 300 Menschen erreichten an jenem Tag den höchsten Punkt der Erde, unter ihnen Nirmal, der in diesem Frühjahr im Rahmen seines Projekts „Mission Possible“ (alle 14 Achttausender in sieben Monaten) innerhalb von vier Wochen sechs Achttausender bestieg – mit Flaschensauerstoff, über die Normalrouten.
Nirmals Bild dürfte selbst Bergsteiger-Laien die Augen dafür geöffnet haben, dass solche Staus in der Todeszone einfach lebensgefährlich sein müssen. Heute wurden zwei weitere Todesfälle am Everest bekannt: Am Freitag starb ein 56 Jahre alter Ire auf der tibetischen Nordseite des Bergs, am Samstag ein 44-jähriger Brite auf der nepalesischen Südseite, beide offenkundig schwer höhenkrank. Damit sind in dieser Saison am höchsten Berg der Erde bereits zehn Menschen gestorben.
Schlechteres Wetter, zu viele Leute
Der deutsche Profibergsteiger David Göttler hatte – wie berichtet – am Donnerstag versucht, von Süden aus den Gipfel des Everest ohne Flaschensauerstoff zu erreichen. Unterhalb des Südgipfels drehte der 40-Jährige um, zum einen weil das Wetter schlechter wurde, zum anderen weil ihm jede Menge Menschen von oben entgegen kamen und er Staus wie am Mittwoch fürchtete. David hat heute das Basislager verlassen. Zuvor beantwortete er noch meine Fragen.
David, du warst am Everest ohne Flaschensauerstoff auf 8650 Metern, das ist höher als der zweithöchste Berg der Erde, der K 2. Wie klingt das in deinen Ohren?
Das klingt ziemlich gut. Ich bin hier auch wirklich sehr zufrieden, mit dem, was ich gemacht habe und in welchem Stil. Ich hatte kein Backup, nirgends Not-Sauerstoff oder ähnliches. Ich habe alles selbst getragen, vom Zelt bis zum Kocher.
Dir fehlten noch 200 Höhenmeter zum Ziel. Wie war es für dich, so nahe am Ziel umzukehren?
Das Umdrehen war nicht schwer. Ich hatte mir davor genau überlegt, was passieren könnte. Und als die Kombination eintraf von schlechterem Wetter, viel Verkehr und ich nicht mehr taufrisch, wusste ich, dass das Risiko zu hoch wird. Ueli Steck hat mal gesagt: „Don’t epic!“ (frei übersetzt: Mach‘ nicht auf Heldengeschichte!). Das habe ich mir zu Herzen genommen. Ich wusste, wenn ich weitergehe, werde ich unglaublich stark davon abhängig sein, wie sich all die anderen Leute hier oben bewegen (oder auch nicht bewegen). Und diese Tatsache konnte ich nicht kontrollieren. Wenn du alleine bist, kannst du immer sagen: „Jetzt gehe ich runter oder weiter hoch.“ Und diese Freiheit ist da oben lebensentscheidend.
Deine Taktik, zeitversetzt zu starten, war schlüssig. Warum ist sie letztlich nicht aufgegangen?
Weil das Wetter im entscheidenden Moment schlechter geworden ist. Vielleicht hätte ich früher starten müssen an diesem Tag. Ich weiß es nicht.
Ist es nach deinen jetzigen Erfahrungen aus deiner Sicht überhaupt mit einem verantwortbaren Risiko möglich, in der Frühjahrssaison (mit Hunderten von Gipfelanwärtern) auf der nepalesischen Südseite ohne Atemmaske aufzusteigen?
Ja, ich denke, es ist möglich. Man muss einfach Glück haben und ein Jahr mit einem langen Wetterfenster erwischen. Auf eines muss man an dieser Stelle auch einmal hinweisen: Auch jeder Gipfelaspirant, der ohne Flaschensauerstoff aufsteigt, profitiert von der ganzen Infrastruktur.
Du hast viel Training, Zeit und Geld in dein Everest-Projekt gesteckt. Mit welchem Gefühl verlässt du den höchsten Berg der Erde?
Ich bin, wie gesagt, zufrieden mit dem, was ich hier gemacht habe. Ich bin meinem Stil treu geblieben. Klar hätte ich mich gefreut, wenn ich den Gipfel erreicht hätte. Ich fühle mich aber nicht als Opfer der Massen hier! Ich wusste ja, was mich erwartet. Warum regen sich Leute, die hierher gekommen sind, über die vielen Menschen auf? Auch sie sollten gewusst haben, worauf sie sich einlassen. Klar wünschte ich mir, dass es eine Lösung gäbe für das Problem, dass zu viele Leute hier sind. Aber plötzlich darüber überrascht zu tun, halte ich für Effekthascherei. Gerade als Profi. Wir sind es ja allen voran, die immer wieder erzählen und auch davon leben, wie toll diese Berge sind!