Heli-Doping und mehr – warum mein Bergbauch grummelt

Bergsteiger im Gipfelbereich der Annapurna
Viel los im Gipfelbereich der Annapurna (16. April)

Bin ich ein notorischer Nörgler? Eigentlich klingt doch alles super. Eine Rekordzahl von Bergsteigern auf der Annapurna, einige Premieren: die ersten sechs nepalesischen Frauen auf dem sonst so gefährlichen Achttausender, eine davon – Dawa Yangzum Sherpa – sogar ohne Flaschensauerstoff, die ersten beiden Frauen aus Mexiko, die erste Albanerin, die ersten Bergsteiger aus Pakistan, der erste Grieche…

Und es gab keine Todesfälle zu beklagen. Ein Taiwanese, der ohne Atemmaske aufgestiegen war, wurde am Sonntag per Hubschrauber vom Berg geholt – dahingestellt, ob wirklich wegen leichter Erfrierungen, oder aber, weil er möglichst schnell nach Kathmandu zurück wollte, um zum Dhaulagiri weiterzureisen. Drei russische Bergsteiger, die beim Abstieg in Bergnot geraten waren, wurden schließlich am Montag gefunden und ebenfalls an der langen Hubschrauber-Leine ins Basislager zurückgeflogen. Also alles in Butter, oder?

Glück gehabt

Menschenschlange an der Annapurna
Bergsteigerschlange an der Annapurna

Für mich nicht. Die lange Reihe der Gipfelanwärter wirkte auf mich fast wie ein Déjà-vu der Zustände am Mount Everest. Ich stufe die Annapurna I nicht als geeigneten Berg für kommerzielle Expeditionen ein. Nicht umsonst gilt sie als gefährlichster Achttausender, die Lawinengefahr ist sowohl auf der Nord- als auch auf der Südseite hoch. In diesem Frühjahr war das Glück auf Seiten der Expeditionsveranstalter: Der trockene Winter in Nepal bescherte den Bergsteigern zwar ungewöhnlich viel Blankeis im oberen Bereich der Normalroute, das Lawinenrisiko war jedoch geringer als sonst.

Bedenkliche Neuerung

Annapurna I

Apropos Blankeis. Das sorgte dafür, dass den verschiedenen Gruppen, die sich auf mehr als 70 (!) Bergsteiger summierten, beim Gipfelversuch auf rund 7400 Metern die Fixseile ausgingen. Schlechtes Management oder schlicht nicht vorhersehbare Verhältnisse? Wie auch immer, normalerweise hätte dies zu einem Abbruch des Versuchs geführt. Die Bergsteiger wären ins Basislager abgestiegen, hätten auf das nächste Wetterfenster gewartet und wären dann wieder aufgestiegen, mit weiterem Seil im Gepäck.

Diesmal jedoch wurden die fehlenden Seile mit dem Hubschrauber nach Lager 4 auf 7300 Metern geflogen, dazu noch weiterer Flaschensauerstoff, Lebensmittel und Gaskartuschen – was kommerzielle Expeditionen eben brauchen für eine zusätzliche Nacht in sehr großer Höhe. Das hatte es so an den Achttausendern bisher noch nicht gegeben. Eine weitere, bis dahin nur in niedrigerer Höhe bekannte Form von Heli-Doping.

Wer denkt an die Piloten?

Lu Chung-han aus Taiwan an der langen Hubschrauber-Leine
Lu Chung-han aus Taiwan an der langen Hubschrauber-Leine

Viele werden sagen: Das ist doch eine pragmatische Lösung, viel sicherer als ab- und wieder aufzusteigen. Mag sein, allerdings frage ich mich zum einen, ob bei dieser Sichtweise auch das Risiko einbezogen wird, dem sich Hubschrauberpiloten in dieser großen Höhe aussetzen. Zum anderen verabschiedet man sich damit endgültig von der Idee, allein mit körperlichen Mitteln einen Berg zu besteigen.

Versteht mich nicht falsch! Ich halte es für eine große Errungenschaft, dass mutige Hubschrauberpiloten selbst an den höchsten Bergen der Welt Bergsteiger aus Notlagen zu retten. Doch in diesem Fall ging es um einen Nachschub an Material hoch oben am Berg, darum, den Gipfelerfolg sicherzustellen und die nahe liegende Lösung, den Abstieg, zu vermeiden.

Last-Step-Expeditionen?

Hubschrauberlandung in Lager 1 am Manaslu

Der nächste logische Schritt des Heli-Dopings ist jener, der in Einzelfällen bereits an den Achttausendern Manaslu und Mount Everest vollzogen wurde: Bergsteiger ersparen sich lästige oder gefährliche Etappen, indem sie sich vom Hubschrauber weiter oben absetzen oder nach dem Gipfelerfolg vom Berg holen lassen. Das geht in meinen Augen gar nicht. Absolut verwerflich finde ich, wenn dafür sogar medizinische Notfälle vorgetäuscht werden.

Denken wir das Heli-Doping konsequent weiter, wird es eines nicht mehr allzu fernen Tages womöglich – analog zu den Last-Degree-Expeditionen zum Nord- und Südpol – auch „Last-Step-Expeditionen“ an den höchsten Bergen der Welt geben: vom Südsattel zum Gipfel des Mount Everest, vom Gipfelplateau des Manaslu oder des Cho Oyu zum jeweils höchsten Punkt.

Der Himalaya und das Karakorum würden dann den Weg gehen, den wir aus anderen Bergregionen der Welt bereits kennen, etwa aus den durch und durch kommerzialisierten europäischen Alpen (auch wenn dort eher Lifte und Seilbahnen statt Hubschraubern eingesetzt werden): Immer mehr Infrastruktur verdrängt das Abenteuer.

Fehlende Demut, gebeugte Wahrheit

Im Hochlager am 7000er Kokodak Dome im Westen Chinas (2014)

Ich verdamme keineswegs das kommerzielle Bergsteigen. Ich sehe durchaus die positiven Aspekte, etwa dass Bergbewohner in den ärmsten Ländern der Welt in Lohn und Brot gebracht werden. Und ich gönne allen Expeditionsmitgliedern ihre Erfolge und Erlebnisse.

Ich selbst habe an mehreren kommerziellen Expeditionen teilgenommen und dabei Abenteuer erlebt, die mir, auf mich alleine gestellt, wohl verschlossen geblieben wären. Dennoch hatte ich immer noch das Gefühl, als Bergsteiger einen guten Teil Eigenverantwortung zu tragen. Mein Scheitern war eine durchaus realistische Option – und kam auch vor. Inzwischen erscheint es mir, als zähle nur noch der Gipfelerfolg, koste es, was es wolle. Alles ist erlaubt. Was technisch machbar ist, wird auch eingesetzt. Die Demut vor dem Berg geht immer mehr verloren.

Und die Wahrheit wird gebeugt: Wenn Flaschensauerstoff im Einsatz war, wird dies in den Erfolgsgeschichten hinterher gerne verschwiegen. Bergsteiger reden von Solos, selbst wenn sie auf der mit Fixseilen gesicherten Normalroute unterwegs waren. Auch vom Materialnachschub per Hubschrauber während des Gipfelversuchs an der Annapurna wird man wahrscheinlich hinterher nichts mehr lesen. Und am Ende bleibt dann nur die Schlagzeile im allgemeinen Bewusstsein: der erste, die erste …

Ihr könnt mich gerne als einen aus der Zeit gefallenen Bergromantiker beschimpfen. Aber ich kann es einfach nicht abstellen: Mein Bergbauch grummelt.  Und ich fürchte, es wird auch nicht besser, wenn sich in diesem Frühjahr wieder fast 400 ausländische Bergsteiger (Stand 20. April: 371 Permits) am Mount Everest versuchen.

5 Antworten auf „Heli-Doping und mehr – warum mein Bergbauch grummelt“

  1. Hallo Stefan,
    wahre Ansichten die ich absolut unterstütze. Diese Art des Dopings ist wirklich neu und wird wohl leider „Dank“ des großen Erfolges an der Annapurna mehr und mehr zum Einsatz kommen. Ich finde diese Entwicklung sehr bedenklich, nein eigentlich bedauerlich.
    Danke an dieser Stelle für deine tollen und authentischen Berichte. Beste Grüße Alex

  2. Ich fürchte, dass Dich Dein Gefühl nicht ganz täuscht, Stefan: Ich hab gerade in die Internet-Seite von Montagnes-Magazine geschaut, und was da Marc Batard über die Situation an der Annapurna berichtet, ist ernüchternd. Da wird klar, warum das American Alpin Journal nur noch von „signifikanten“ Touren berichtet und von 8000er-Besteigungen kaum noch die Rede ist.
    Wenn man bedenkt, dass 2 Liter Sauerstoff pro Minute die Gipfelhöhe um gut 1000 Meter senken und dass viele dort sichter 4 oder mehr Liter benutzt haben (Batard berichtet von unendlich vielen Flaschen…) und auf die Fixseile angewiesen waren, frage ich mich, ob ein klassischer Alpengipfel nicht mittlerweile die grössere alpinistische Herausforderung darstellt als das, was da vor ein paar Tagen an der Annapurna abgelaufen ist. Dies ist eine ernsthafte Frage, da ich nie im Himalaya war, und ich will auch nichts vorzeitig oder unbedarft bewerten, denn die Einnahmequelle für die Einheimischen ist natürlich auch ein wichtiger Faktor.
    Bleibt nur zu hoffen, dass all die Leute den Berg halbwegs sauber verlassen haben und Seile und leere Flaschen wieder unten sind (mit oder ohne Heli…).
    Auf jeden Fall vielen Dank für die tolle Berichterstattung, Stefan!

  3. Ganz wertungsfrei – es ist eine Entwicklung. Eine Entwicklung, die beispielsweise in den Alpen schon lange stattgefunden hat und an der sich in den Alpen auch keiner stört. Dabei wäre es bei den niedrigeren Alpengipfeln für viele Bergsteiger ungleich realistischer, einen Aufstieg „by fair means“ zu verwirklichen. Aber auf Weissbier und Schweinsbraten möchte man auf der Hütte eben doch nicht verzichten (um Energie zu sammeln, wenn man am nächsten Morgen stundenlang in der Schlange zum Gipfel de glockners, Mont Blanc oder Matterhorns steht…). Und auf viele dieser Hütten werden diese wichtigen „Lebensmittel“ mit dem Helikopter geflogen. Auch bei diesen Versorgungsflügen sind schon Piloten gestorben. Und auch in den Alpen lassen sich erschöpfte Bergsteiger gerne einmal mit einem fingierten Notfall ausfliegen. Es ist wie gesagt eine Entwicklung. Dafür kann das Himalaya nichts, dafür kann das kommerzielle Bergsteigen nichts. Vielleicht ist es der Zeitgeist? Das alles passiert doch – in den Alpen wie im Himalaya – weil es jemand will und bereit ist dafür zu bezahlen.

    1. Fuer mich waren die Huetten der Alpen immer die „Basislager“. Was da an der Annapurna passiert ist, hat meiner Meinung noch einmal eine ganz andere „Qualitaet“ : es waere so, als wenn sich jemand am Mont Blanc Fixseilen zur Vallot-Huette fliegen liesse, damit damit der eisige Bosses-Grat leichter gangbar gemacht wird…. Das ist gluecklicherweise verboten! Aber vielleicht liege ich mit meiner Analogie schief ?

  4. Hallo Stefan,
    Danke für deine und besonders für diesen Bericht. Ich weiß echt nicht was ich dazusagen soll… Bin ich sauer oder nehme ich es als weiteren Beleg dafür, dass man mit Geld auch an den höchsten Bergen alles machen kann. Warum sollte hier der Geldregen ein Ende haben. Es geht mir wie dir, ich hab auch Bauchweh.
    Zum einen, weil ich sehe, dass die Qualität der bezahlenden Kunden immer mehr abnimmt und zum anderen, weil immer mehr Wege gefunden werden, dass das Abenteuer und das Erlebnis mit dem Berg und sich selbst bei so einer Expedition so klein wie möglich werden zu lassen. Galt es früher noch zum Beispiel beim Aufstieg zum Basislager die Verbindung zum Berg herzustellen bzw. um das Kennenlernen von Land und Menschen, wird dieser Schritt heute meist übersprungen. Die zahlenden Kunden denken weniger an das Gesamterlebnis als an die mediale Berichterstattung während oder im Nachgang der „Expedition“.

    Ich finde es toll, dass durch diese kommerziellen Anbieter auch ein gewisser Teil an die einheimische Bevölkerung fließt. Die wenigsten bis gar keine 8000er Besteigungen wären ohne das Zutun oder die Mithilfe der Sherpas realisierbar, dass sollten wir viel öfter kommunizieren und das sollten die Menschen dort auch finanziell spüren. Deshalb kann man die ganze Entwicklung nicht ganz verteufeln. Die kommerziellen Bergfahrten nach Nepal und ins Karakorum bringen notwendiges Geld ins jeweilige Land.

    Ob man jetzt die Furtenbach Angebote, der Flug ins Basislager, die Hochlager-3 Sterne Verpflegung, die Sauerstoff-Transporte in die Hochlager oder die 2:1 oder 3:1 Sherpa-Kunde Situation verteufelt und als Doping bezeichnen muss, das weiß ich nicht. Fakt ist, dass es sie gibt und angenommen werden. Solange man es bei der medialen Berichterstattung anschließend anführt und kommuniziert, sollte jeder das machen können, was er für richtig oder wichtig hält, dass er sein Ziel erreicht.
    Ich finde es nur erschreckend, dass das in den meisten Fällen, wie du oben schon angeführt hast, weggelassen oder unerwähnt bleibt. Das verzerrt die Leistung komplett.
    Dann wird ganz schnell die Leistung eines ohne Sauerstoff oder ohne Sherpa Hilfe aufsteigenden Bergsteigers reduziert.

    Mach weiter so Stefan, ich lese deine Berichte von den hohen Bergen gern.

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