„Der eindeutig beste Allround-Bergsteiger der Welt“ zu seiner Zeit sei der Österreicher Hermann Buhl gewesen, sagte mir einmal Reinhold Messner. „Buhl war seiner Zeit um mindestens 50 Jahre voraus.“
Buhl gelangen 1953 am Nanga Parbat und 1957 am Broad Peak die Erstbesteigungen gleich zweier Achttausender in Pakistan – ohne Flaschensauerstoff. Dieses Kunststück schaffte außer ihm nur sein Gefährte vom Broad Peak, der Österreicher Kurt Diemberger, der auch den Dhaulagiri erstbestieg.
Tempo und Präzision am Berg
Am 21. September 1924, heute vor 100 Jahren, erblickte Hermann Buhl in Innsbruck das Licht der Welt. Die Mutter stirbt früh, der Vater muss vorübergehend seine beiden Söhne ins Waisenhaus geben. Später nehmen seine Tante und ein Onkel den kleinen Hermann in ihre Familie auf. Seine erste Bergtour führt Buhl im Alter von zehn Jahren an der Seite seines Vaters auf den 2677 Meter hohen Glungezer nahe Innsbruck. Als Jugendlicher beginnt Buhl zu klettern. Die Felsen im Karwendel, im Wettersteingebirge und im Wilden Kaiser werden seine Spielwiesen aus Stein. 1943 gelingt ihm seine erste große Neutour: die Westwand der Maukspitze im Wilden Kaiser.
In den folgenden Jahren perfektioniert Buhl seine Technik. Er setzt Meilensteine in den Dolomiten und im Mont-Blanc-Gebiet. „Beim Felsklettern war er so konzentriert, dass mit ihm überhaupt nicht zu reden war“, erzählte mir einmal Marcus Schmuck (1925 – 2005), ein weiterer Gefährte Buhls bei der Broad-Peak-Erstbesteigung. „Da hat es nur Tempo gegeben und Präzision beim Gehen.“
Legendärer Alleingang zum Gipfel des Nanga Parbat
Anfang der 1950er-Jahre ist Buhl in der Form seines Lebens: 1952 durchsteigt der Österreicher in den Alpen die Nordostwand des Piz Badile als Erster im Alleingang, außerdem die Watzmann-Ostwand, ebenfalls solo und im Winter. Kein Wunder, dass ihn der deutsche Expeditionsleiter Karl Maria Herrligkoffer zur Nanga-Parbat-Expedition 1953 einlädt.
Doch Buhl ist ein Dickkopf. Es schert ihn nicht, dass Herrlighoffer unten im Basislager der mehrfach zur Umkehr bläst. Der Deutsche mag ja als Geldbeschaffer und Organisator von Expeditionen taugen, aber nicht als Bergsteiger. 1225 Höhenmeter und über sechs Kilometer Distanz liegen noch zwischen dem höchsten Lager und dem Gipfel. Als sein Zeltpartner Otto Kempter am geplanten Gipfeltag nicht zur vereinbarten Zeit zum Aufbruch bereit ist, stapft Buhl alleine los – ohne Flaschensauerstoff.
Biwak im Stehen
Er erwartet, dass sein Gefährte zu ihm aufschließen wird, registriert dann aber, dass Kempter aufgibt. Buhl weiß nun, dass er es nur allein oder gar nicht schaffen wird. Immer weiter steigt er auf, ignoriert einfach, dass seine Kräfte schwinden. Der pure Wille treibt ihn hinauf.
In den frühen Abendstunden des 3. Juli 1953 erreicht Buhl schließlich den höchsten Punkt auf 8125 Metern. „Ich bin mir der Bedeutung des Augenblicks nicht bewusst, fühle auch nichts von Siegesfreude, komme mir gar nicht als Sieger vor“, erinnert sich Buhl später an den Moment auf dem Gipfel. „Ich bin nur froh, dass ich heroben bin und all diese Strapazen vorläufig ein Ende habe.“
Aufputschmittel, um nicht einzuschlafen
Doch da täuscht sich Buhl. Das eigentliche Martyrium steht ihm noch bevor. Auf einem kleinen Felsvorsprung stehend verbringt er die Nacht. Buhl schluckt Tabletten gegen Erfrierungen und das Aufputschmittel Pervitin, um nicht einzuschlafen. 41 Stunden nach seinem Aufbruch kehrt er mit letzter Kraft zum obersten Lager zurück. Eine unglaubliche Energieleistung. Buhl sieht aus, als sei er in zwei Tagen um Jahre gealtert.
„Für einen normalen Bergsteiger war das, was Buhl gemacht hat, nicht überlebbar,“ sagte mir Reinhold Messner. 1995 brauchten japanische Bergsteiger für denselben Weg 39 Stunden, trotz moderner Ausrüstung und genauer Wegkenntnis.
Revolutionärer Stil
Nach der Erstbesteigung des Nanga Parbat überwirft sich Buhl mit Expeditionsleiter Herrligkoffer. Der Streit um die die Verwertungsrechte der Expedition landet vor Gericht. In Österreich wird Buhl zum „Sportler des Jahres“ gekürt. Für eine ganze Bergsteiger-Generation wird er zum Idol.
Am 9. Juni 1957 gelingt Buhl mit seinen österreichischen Landsleuten Diemberger, Schmuck und Fritz Wintersteller auch die Erstbesteigung des 8051 Meter hohen Broad Peak. Im Gegensatz zur Nanga-Parbat-Expedition mit geringem Budget, im kleinen Team, ohne Hochträger, wieder ohne Flaschensauerstoff – seinerzeit eine Revolution im Höhenbergsteigen.
An der Chogolisa in den Tod gestürzt
Zweieinhalb Wochen nach dem Gipfelerfolg am Broad Peak stirbt Buhl. Beim Versuch, zusammen mit Diemberger die 7654 Meter hohe Chogolisa erstmals zu besteigen, bricht am Gipfelgrat unter ihm eine Wechte ab. Buhl stürzt in den Tod. Die beiden Österreicher hatten den Berg im Alpinstil besteigen wollen – als Duo mit nur einem Zelt im Gepäck und in einem Zug.
„Die Tatsache, dass er den nächsten Schritt gedacht und im Experiment an der Chogolisa ausprobieren wollte, zeigt, dass er an der Schwelle zu seiner neuen Zeit war“, sagte mir Reinhold Messner über Buhl. „Der hätte wirklich in den 1960er Jahren das Bergsteigen noch einmal revolutioniert.“ Hermann Buhl wurde nur 32 Jahre alt und hinterließ seine Frau Eugenie, genannt Generl, sowie drei Töchter. Die Erinnerung ans seine herausragenden Leistungen als Bergsteiger sind bis heute lebendig geblieben.