Der Klimawandel fällt auch den Bergsteigern vor die Füße. Immer häufiger hört und liest man von Topkletterern, deren Projekte scheitern, weil hohe Temperaturen selbst in größter Höhe für gefährliche Bedingungen sorgen. „Ich kann nicht behaupten, dass ich damit gerechnet habe, mir am zweithöchsten Gipfel der Erde einen Sonnenbrand zu holen“, schrieb der US-Amerikaner Graham Zimmerman mit einem Augenzwinkern, nachdem er und der Kanadier Ian Welstedt im Juli vergeblich versucht hatten, den K2 über den selten begangenen Westgrat zu besteigen. Die Lawinen- und Steinschlaggefahr war schlicht zu hoch.
Und auch der Südtiroler Simon Messner und der Österreicher Martin Sieberer kehrten Ende August mit leeren Händen aus dem Karakorum zurück, weil ihnen die Bedingungen am noch unbestiegenen 7134 Meter hohen Praqpa Ri, nahe dem K2 gelegen, einen Strich durch die Rechnung machten. „Zweimal blieben wir in tiefem Pulverschnee auf etwa 6.000 Metern Höhe stecken und mussten umkehren“, schrieb Simon Messner auf Facebook. Die Wetter-App habe auf 7000 Metern Temperaturen bis plus 10 Grad Celsius vorhergesagt, wunderte sich der 30 Jahre alte Sohn der Bergsteiger-Legende Reinhold Messner. Simon hat meine Fragen beantwortet.
Simon, ihr wart während der Corona-Pandemie auf Expedition in Pakistan. Wie besonders waren die Umstände?
Martin Sieberer und ich waren in der Nachsaison – also im August 2021 – auf Expedition im Karakorum. Abgesehen davon, dass es während unserer Reise überdurchschnittlich warm und niederschlagsreich war (was wir durch den späten Aufbruch eigentlich vermeiden wollten), kam dann Ende August die Afghanistan-Krise dazu. Zu sehen, was in Afghanistan passiert, das hat uns beide sehr betroffen gemacht. Vor allem auch, weil Pakistan ein Befürworter der Taliban ist und das ganz offen sagt.
Ihr habt euch spät in der Sommersaison vergeblich am Siebentausender Praqpa Ri versucht. Der Berg nahe dem K2 ist eigentlich ganz gut zugänglich, aber noch unbestiegen. Worin liegen aus deiner Sicht die besonderen Herausforderungen?
Das ist eine gute Frage. Der Berg wurde im Jahr 2016 (von Nancy Hansen und Ralf Dujmovits) versucht, aber nicht bestiegen. Dann wurde der Südostgipfel 2017 erstmals von zwei Chilenen (Andres Bosch und Alejandro Mora) über den Südostgrat erreicht – eine schöne Linie aber, nicht wirklich schwierig. Allerdings sind die steilen Hänge lawinengefährlich und mit so warmen Temperaturen wie in den letzten Jahren ist eine solche Route einfach sehr gefährlich.
Jedenfalls ist der Berg von Norden, Süden und Westen nicht einfach zu besteigen – und wenn, dann nur bei sehr guten Bedingungen. Und gerade das ist das Problem: Gute Bedingungen vorzufinden, wird im Karakorum von Jahr zu Jahr schwieriger.
Dazu kommt der Savoia-Gletscher, den man beim Zustieg überqueren muss, und dieser Gletscher ist wild und sehr von Spalten durchsetzt. Auch das ist keine ungefährliche Sache, die wohl den einen oder anderen Aspiranten abgeschreckt.
Nach deiner Rückkehr hast du wiederholt auf die nicht mehr zu ignorierenden Folgen des Klimawandels im Karakorum hingewiesen. Wie sahen diese konkret aus?
Ja, der Klimawandel ist definitiv auch an den hohen Bergen dieser Welt angekommen! Gerade im Karakorum – so sagen die Einheimischen – nehmen die Temperaturen von Sommer zu Sommer zu und das Wetter wird generell instabiler, um nicht zu sagen kaum mehr vorherzusagen. Was mir im Speziellen aufgefallen ist, war eine starke Strahlung untertags mit zu warmen Nächten, sodass der Schnee selbst in der Höhe nicht fror.
Ich will bestimmt nicht den Anschein erwecken, als wüsste ich alles besser und als sei ich nicht Teil des Problems – ich nehme mich hier keinesfalls aus! Der Klimawandel betrifft uns alle, und wir sind alle Teil dieses Problems, ob wir das nun wollen oder nicht. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass wir Menschen solche Probleme vor uns herschieben, weil sie zu weit weg und zu wenig greifbar scheinen. Aber nun sind die Anzeichen einer Veränderung schon so stark spürbar, dass wir nicht mehr wegsehen dürfen!
Muss man sich allmählich von dem Gedanken verabschieden, dass die Sommermonate wirklich die günstigsten für eine Besteigung im Karakorum sind und möglicherweise in eine andere Jahreszeit ausweichen?
Ja, so sieht es aus. Die Monate Juni/Juli galten einst als die ideale Zeit für den Karakorum. Für Trekkingreisen wird das auch so bleiben, aber für das Bergsteigen wird man sich umorientieren müssen – es geht mittlerweile eher Richtung September.
Nach eurer Erstbesteigung des 6718 Meter hohen Black Tooth im Massiv des Mustagh Tower im Sommer 2019 warst du erneut mit dem Österreicher Martin Sieberer unterwegs. Ihr scheint als Zweierteam auf Expedition gut zu funktionieren.
Stimmt. Martin und ich hatten den Praqpa Ri 2019 von unserem zweiten Biwak am Black Tooth gesehen – also war für uns klar, dass wir diesen Berg auch zusammen probieren wollen.
Ich denke, damit eine Seilschaft gut funktioniert, bedarf es mehrerer Dinge. Zuerst müssen sich beide mit dem Ziel identifizieren und wirklich „wollen“. Dann ist es nützlich, wenn sich keiner aus einer Seilschaft zu schade ist, zum Beispiel zu spuren oder mal einen schwereren Rucksack zu tragen. Hinzu kommt, dass wir uns sehr gut ergänzen: Das, was dem einen nicht so gut liegt, kann der andere und umgekehrt. Und schließlich sind wir beide eher ruhige Charaktere. Wir müssen nicht ununterbrochen reden, sondern es ist jeder auch mal gerne für sich.
Kleines Team, Aufstieg im Alpinstil – das war einst auch der bevorzugte Stil deines Vaters im Himalaya und Karakorum. Hat er dich auch in diesem Punkt geprägt?
Im Grunde sollte das heute generell der bevorzugte Stil sein. Einer präparierten und eingerichteten Linie zu folgen, hat doch keinen Reiz!
Aber bestimmt wurde ich von meinem Vater geprägt, genauso wie von Persönlichkeiten wie (dem US-Amerikaner) Steve House oder (dem Polen) Wojciech Kurtyka. Wer sich ein bisschen mit dem Bergsteigen beschäftigt und nachdenkt, der kommt um einen reduzierten Stil nicht umhin – gerade in der heutigen Zeit.
Vor der Expedition hast du lediglich mitgeteilt, dass du nach Pakistan reist, das genaue Ziel aber offengelassen und auch nicht während der Expedition ständig kommuniziert. Entspricht das deinem Naturell?
Das entspricht meiner generellen Einstellung zum Bergsteigen und der Tatsache, dass ich im Gebirge keinen Internetzugang will – es gibt nichts Schlimmeres, als dauernd online zu sein. Gerade bei einer Expedition ist ja das Schöne, dass man der schnelllebigen Welt entfliehen kann.
Aber das ist ein wunder Punkt, den du da ansprichst, denn wir leben in einer Zeit der großen Ankündigungen. Auf das Bergsteigen bezogen, leben wir tatsächlich in Zeiten des „Ankündigungsalpinismus“ – keine schöne Entwicklung, wie ich finde.
Du hast im vergangenen Jahr auch einige Eiskletter-, Fels- und Mixed-Routen in den Alpen eröffnet. Ist es die Mischung zwischen dem Klettern „vor der Haustür“ und in fernen Ländern, die dich reizt oder favorisierst du eines von beiden?
Für mich haben alle „Spielarten“ des Alpinismus ihren Reiz: das Fels- und Eisklettern sowie das Skitourengehen „vor der Haustür“ sind genauso schön wie eine Expedition. Wobei eine Expedition schon eine Nummer größer ist und viel Zeit, Geld und noch mehr Geduld bedarf.
Ich bin überzeugt, dass dem Klettern „vor der Haustür“ in naher Zukunft mehr Bedeutung zuwachsen wird, ganz einfach aus dem Grund, weil Reisen schwierig werden wird bzw. weil wir das einschränken müssen! Daher wären wir Kletterer gut beraten, wenn wir die wenigen noch nicht zur Gänze erschlossenen Wände und Gebirge in Europa so ursprünglich wie nur möglich erhalten. Das ist der größte Gefallen, den wir uns selber und vor allem der Natur machen können.
Für wann planst du deine nächste Expedition?
Ich bin mit meiner Freundin Anna so verblieben, dass ich maximal alle zwei Jahre eine Expedition mache – das wäre dann das Jahr 2023. Wohin die Reise geht, das weiß ich noch nicht. Aber ich denke im Laufe von zwei Jahren fällt mir da schon etwas ein.