Der Nepalese Tenjen Sherpa und die Norwegerin Kristin Harila setzen ihre Zeitenjagd an den Achttausendern fort. Heute erreichten die beiden – mit fünf weiteren Begleitern – den Gipfel des Gasherbrum I auf 8080 Meter Höhe. Vor drei Tagen hatten sie den Gasherbrum II bestiegen. Der G I war für Tenjin und Kristin der zwölfte Achttausender-Erfolg innerhalb von knapp drei Monaten. Ihnen fehlen nun noch der Broad Peak und der K2, um ihr Ziel zu erreichen, alle 14 Achttausender in wenigen Monaten abzuhaken.
Nach ihrem Gipfelerfolg am Nanga Parbat hatten sich Harila und Tenjen von der Stadt Skardu aus mit einem Militärhubschrauber zum Gasherbrum-Basislager fliegen. Dem Vernehmen nach kostet ein solcher Flug aktuell bis zu 20.000 Dollar. Harila hatte in Skardu ihre Fans über die sozialen Netzwerke um Spenden gebeten, damit sie angesichts explodierender Kosten ihr Projekt zu Ende bringen könne.
Keine Pioniertat
Die Zeitschrift „Alpin“ hatte mich um eine Stellungnahme gebeten, was ich von Harilas Achttausender-Jagd halte. Das war meine Antwort:
Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir: „Kristin Harila pulverisiert Achttausender-Weltrekord“ oder „Norwegische Powerfrau ist die neue Achttausender-Queen“. Und die meisten werden schwer beeindruckt sein: „Alle 14 Achttausender in nur drei Monaten? Wow, was für eine unvorstellbare Leistung!“
Die Schlagzeile bleibt eben im Gedächtnis, die Details im zweiten und dritten Absatz interessieren die breite Masse nicht mehr, wenn sie denn überhaupt erwähnt werden: Dass die Norwegerin teilweise mit sechs Sherpas unterwegs war, dass alle Flaschensauerstoff nutzten, dass sie auf den Normalrouten aufstiegen, dass Hubschrauber im Einsatz waren, um Material in die Hochlager zu bringen.
Nach unbestätigten Informationen wohl auch, um Sherpas dort abzusetzen, die die Spur nach oben und unten (!) traten – all das wird von den reißerischen Schlagzeilen überlagert, verdrängt, verschluckt werden. Und trotz Klimakrise wird kaum jemand die Frage stellen, welchen ökologischen Fußabdruck eine solche Aktion erzeugt. Oder auch, ob das Achttausender-Bergsteigen dadurch nicht bagatellisiert wird: dass der Eindruck erweckt wird, dass es für jede oder jeden möglich ist, die höchsten Berge der Welt zu besteigen, wenn man nur für die richtigen Rahmenbedingungen sorgt.
Ich respektiere Kristin Harilas Leistung. Wenn sie nicht körperlich stark wäre und neben Ausdauer auch sehr viel Entschlossenheit besäße, könnte sie die Strapazen nicht bewältigen. Auch in ihrem Stil ist das Achttausender-Bergsteigen alles andere als ein Sonntagsspaziergang.
Ich werde mich nur nicht von dem grassierenden Rekordfieber anstecken lassen. Rekorde in den Bergen sind für mich schlichtweg Unsinn, weil es dort so gut wie nie identische Bedingungen gibt. Diese können sich von Minute zu Minute zu ändern. Außerdem sind Leute in völlig unterschiedlichen Stilen unterwegs. So lässt sich eine Achttausender-Besteigung auf der Normalroute, mit Flaschensauerstoff und sechs Sherpas als Unterstützung nicht vergleichen mit einer Solobegehung ohne Atemmaske auf selten oder nie begangener Route.
Von mir aus kann Kristin Harilas schnellste Zeit im Abhaken der 14 höchsten Berge der Welt – sollte es dazu kommen – im Guinness-Buch der Rekorde landen, aber bitte nicht in Auflistungen alpinistischer Pioniertaten. Dorthin gehört auch nicht die Achttausender-Jagd 2019 des Nepalesen Nirmal Purja, der mit sechs Monaten und sechs Tagen wohl nicht mehr lange die „Bestzeit“ halten wird.
Purja und jetzt Harila demonstrieren lediglich, was möglich ist, wenn man die Mittel des kommerziellen Expeditionsbergsteigens auf die Spitze treibt: Man schart ein Team extrem leistungsfähiger Sherpas um sich, optimiert Zeitmanagement, Material und – nicht zu vergessen – die Infrastruktur, und schon kann die Jagd beginnen. Mich erinnert das ein wenig an die Formel 1, wo das beste Auto, der beste Ingenieur und das beste Technikerteam bei der Titelvergabe eine beinahe wichtigere Rolle als der beste Fahrer spielen.
Das Bergsteigen als Sport macht damit eher einen Rückschritt. An die Stelle des Abenteuers, zu dem ganz wesentlich der ungewisse Ausgang gehört, tritt das durchkalkulierte Projekt. Das wiederum macht es für Sponsoren interessant, denn vermarkten lassen sich Erfolge nun einmal besser als Fehlschläge.
Im echten Alpinismus dagegen ist das Scheitern mehr Regel als Ausnahme, weil es darum geht, phantasievoll Grenzen zu verschieben, bisher Ungewagtes zu wagen, neue Routen zu eröffnen, sportlich und stilistisch neue Maßstäbe zu setzen. Und Visionen Wirklichkeit werden zu lassen. Bei Kristin Harilas Achttausenderjagd geht es nur darum, eine Zeit zu unterbieten.
Update 23. Juli: Heute haben Kristin Harila und Tenjen Sherpa – mit fünf weiteren Begleitern – auch den Broad Peak bestiegen. Damit fehlt ihnen nur noch der K2, um ihr Projekt erfolgreich abzuschließen.
Stimmt.
100% – ig.
Vielleicht kann man das ja bald von zuhause aus machen…!?
Erhard Loretan wusste schon, warum er einen Millionenbetrag als Praemie abgelehnt hat, als man ihm diese fuer die Besteigung aller 8000er innerhalb eines Jahres anbot …
… war das so? Ich habe noch nicht davon gehört und bin neugierig …
Ueli Steck erwaehnt das in seinem Portrait von Loretan, das er fuer den Band „100 Alpinistes“ (éditions Gerin, 2015), S. 395, geschrieben hat. Ueli wurde, wie er schrieb, auch viel Geld fuer einen neuen Eigerrekord geboten, was er auch ablehnte!
… interessant. Danke, Klaus.
Lieber Stefan,
ich kann deinen Worten und Kommentar nur aus tiefsten Herzen beipflichten – echtes Bergsteigen misst sich nicht in Rekorden oder Zahlen, nicht im Erfolg und im Echo einer fragwürdigen Szene, sondern in der Resonanz und Respekt des Erlebten
Lieber Stefan
vielen Dank für diese ausgewogene und informative Stellungnahme.
Hallo Stefan,
folge deiner Ansicht hundertprozentig. Ist nur geistloses Marketinggedresche und hat mit ursprünglichem, ehrlichem Alpinismus und Bergsteigen,
nichts mehr zu tun. Da können Die sich auch gleich mit dem Heli am Gipfel absetzen lassen !
Stimme absolut zu. Ich kann zu dem Thema den ausführlichen Artikel des Bergsteigers Laszlo Pinter von Juni ’23 auf explorersweb.com empfehlen, den ich ebenfalls sehr gut finde. https://explorersweb.com/just-collecting-8000m-peaks-no-longer-has-any-real-climbing-value/
Lieber Stefan,
danke für deine klaren Worte. Ich sehe das genau so wie du.