Tenzing Chogyal Sherpa: „Immer mehr trockene Winter in der Everest-Region“

Tenzing Chogyal Sherpa
Tenzing Chogyal Sherpa

Als ob es am Mount Everest keine anderen Probleme gäbe. In den sozialen Medien wird seit Wochen über ein neues Schild diskutiert, dass die Regionalverwaltung der Khumbu-Region vor dem Beginn der diesjährigen Klettersaison am Eingang zum Everest-Basislager aufgestellt hat – direkt vor dem mit Farbe beschrifteten Felsbrocken, der in den vergangenen Jahren als Fotomotiv herhalten musste. Über Geschmack lässt sich streiten – bei beidem. Das neue Schild zeigt den Everest, davor Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay, die 1953 als erste Menschen den höchsten Berg der Erde bestiegen. Nur ein Mitglied jenes Expeditionsteams lebt noch: Kanchha Sherpa, inzwischen 91 Jahre alt.

Ich habe mit seinem Enkel Tenzing Chogyal Sherpa gesprochen – nicht über das neue Schild am Everest-Basislager, sondern über die Folgen des Klimawandels für die Everest-Region. Der Winter 2023/2024 war – wie schon der vorhergehende – außergewöhnlich warm und trocken. Tenzing beschäftigt sich als Glaziologe beim Internationalen Zentrum für integrierte Entwicklung in Bergregionen (ICIMOD) mit der sogenannten Kryosphäre, vereinfacht gesagt mit allem, was mit Schnee, Eis und Permafrost auf der Erde zu tun hat. Der Schwerpunkt seiner Forschungen liegt auf den Gletschern und Gletscherseen der Gebirgsregionen Asiens.  

Kanchha Sherpa in Namche Bazaar
Kanchha Sherpa in Namche Bazaar

Kürzlich habe ich ihm dieselbe Frage gestellt. Er ist der Meinung, dass die Einheimischen natürlich von dem exponentiellen Wachstum des Bergtourismus nach 1953 profitiert haben. Unsere Einkommen sind stark gestiegen. Aber er denkt auch, dass wir das Heiligtum des Everest oder, wie wir sagen, des Chomolungma entweihen. Der Berg ist heilig, und die Menschen verschmutzen ihn. Deshalb findet er, dem Berg müsse Ruhe gegönnt werden – mit einem nachhaltigeren Ansatz, denn viele Menschen sind von diesem Berg abhängig. Wir sollten ihn respektieren. Es sollte eine gesunde Balance hergestellt werden. Denn wenn wir das nicht tun, wird die Göttin wütend auf die Menschen werden. Viele Menschen verlieren ihr Leben durch Lawinenabgänge. Der Berg gewinnt immer mehr an Dynamik.

Ja, wir sprechen auch darüber. Vor allem, weil er der älteste Bewohner unseres ganzen Dorfes ist. Er verkörpert also nicht nur die Geschichte des Bergsteigens, sondern auch die unseres Dorfes. Er nimmt die Veränderungen in der Umwelt sehr bewusst wahr. Er weist darauf hin, dass es heute deutlich weniger Schneetage gibt als früher. Und er weiß auch, dass das nicht unbedingt gut für die Umwelt ist. Denn wenn die Menschen früher im Winter nicht genug Schnee hatten, konnte in der folgenden Saison nicht genug Getreide angebaut werden.

Nangpa La
Nangpa La (mit Schnee)

Ich würde es nicht direkt als alarmierend bezeichnen, denn Schneefall ist dynamisch und kann variieren. Aber in gewisser Weise ist es besorgniserregend. Die Daten zeigen, dass die Zahl der Schneetage, die Schneemenge und die Schneebedeckung abnehmen. Es gibt einen negativen Trend. Diese ’nackten‘ Pässe und Berge veranschaulichen, was gerade passiert.

Wir haben immer mehr trockene Winter. Und wir haben Niederschläge zu ungewöhnlichen Zeiten. Wir haben Schneefall, wenn wir ihn nicht brauchen können. Die Wetterstationen auf dem Everest wurden erst vor fünf Jahren installiert. Es ist noch zu früh, um über Trends zu sprechen. Uns fehlen Langzeitdaten. Wenn wir uns mit dem Klimawandel befassen, brauchen wir Daten über mindestens 30 Jahre. Unabhängig davon sind diese Trockenphasen jedoch sehr besorgniserregend. Die Menschen in den Bergen sind sich mehr und mehr bewusst, dass dies auf den Klimawandel zurückzuführen sein könnte, und sie versuchen, sich entsprechend anzupassen.

Der Khumbu-Gletscher, der sich bis zum Dorf Lobuche erstreckt, ist mit Geröll bedeckt. Es liegen viele Felsbrocken auf dem Eis. Der Gletscher hat sich noch nicht massiv zurückgezogen, aber er wird langsam dünner – in sechzig Jahren gab es eine maximale Ausdünnung von etwa 80 Metern in der Nähe des Everest-Basislagers. Wenn man sich heute Bilder des Khumbu-Gletschers anschaut, sieht man auf ihm viele kleine Tümpel. Sie können sich zu einem größeren See wie dem Imja-Gletschersee im Nachbartal verbinden. Und die natürlichen Dämme dieser Gletscherseen können irgendwann brechen.

Khumbu Glacier in 2002 (on the left Kala Patthar and Pumori)
Der Khumbu-Gletscher im Jahr 2002 (links der Kala Patthar, dahinter der Pumori)

Was den Khumbu-Eisfall betrifft, so ist an steilen Stellen bereits ein starker Rückzug des Eises zu beobachten. Längerfristig kann es passieren, dass der obere Teil des Khumbu-Gletschers vom unteren Teil abgetrennt wird. Das kann man bereits bei vielen Gletschern in anderen Regionen sehen, etwa im Langtang. In einem solchen Fall verwandelt sich der untere Teil des Gletschers in Toteis.

Das ist eine schwierige Frage. Einer unserer religiösen Führer, das Oberhaupt des Klosters Tengboche, hat darüber gesprochen. Er sagte: „Versucht nicht, Gott zu spielen, versucht nicht, euch in Dinge einzumischen, die ihr nicht kontrollieren könnt!“ Wir können die Gletscherseen nur bis zu einem gewissen Punkt kontrollieren. Wir können versuchen, die Gefahren zu minimieren – zum Beispiel, indem wir hohe Mauern bauen, um zu verhindern, dass Dörfer überflutet werden. Wir können die Menschen auffordern, sich von den gefährlichsten Gebieten fernzuhalten. Es geht darum, sich anzupassen und Widerstandsfähigkeit aufzubauen, damit die Menschen im Falle einer solchen Gefahr vorbereitet sind und sich nur einem minimalen Risiko aussetzen. Das ist eine schwierige und finanzintensive Aufgabe. Aber letztlich wollen wir versuchen, die Menschen und ihre Lebensgrundlage zu retten und das Risiko zu minimieren.

Namche Bazaar
Namche Bazaar

Das Leben der Sherpas hängt von diesen Wetterveränderungen ab. Es gibt drei Berufsbereiche, in denen die meisten von ihnen arbeiten: bei den Expeditionen der Bergsteiger, in der Tourismusindustrie und in der Landwirtschaft. Alle diese Berufe sind vom Wetter abhängig. In der Region wird viel über den Klimawandel geforscht, viele Wissenschaftler kommen dorthin, um sich mit den Einheimischen auszutauschen. Die Menschen vor Ort sind sich also sehr wohl bewusst, was vor sich geht. Sie wollen auch selbst etwas tun. Und sie wollen, dass ihre Regierung etwas unternimmt.

Es klafft eine Lücke zwischen dem, was wir Wissenschaftler sagen können, was die Menschen vor Ort verstehen und was die Politiker letztendlich daraus machen. Das Wichtigste ist, diese Lücke zu schließen. Vielleicht haben wir dann eine inklusivere, von unten nach oben gerichtete Politik, die die richtigen Entscheidungen trifft.

Ich bin kein Bergsteiger, sondern ich studiere die Berge aus der Nähe und von fern. Der höchste Punkt, auf dem ich je war, lag auf rund 6000 Metern. Aber das war mehr Gletscherwandern als Klettern.

Mount Everest
Mount Everest

Nein. Mein Opa war früher drei, vier Monate im Jahr auf Expeditionen unterwegs. Meine Oma war dann die einzige Frau im Haus. Zwei ihrer Kinder sind gestorben, als ihr Mann nicht zu Hause war. 1972 gab es eine Lawine, die viele Menschen aus unserem Dorf, die mein Opa und meine Oma kannten, in den Tod riss. Danach hat meine Großmutter gesagt: „Geht nicht in die Berge, ihr könnt auch andere Dinge tun, zum Beispiel trekken!“

Niemand aus meiner Familie sollte mehr in die Berge gehen. Deshalb hat sich die nächste Generation, die meines Vaters und seiner Geschwister, mehr auf die Bildung konzentriert. Denn Bildung ist der Weg, der uns die Tür zu anderen Berufen öffnet. Ich respektiere das Bergsteigen und finde es gut, wenn Menschen solche Abenteuer erleben, aber aus Sicht der Familie ist es ziemlich gefährlich. Mir reicht es, die Berge zu erforschen und sie von weit weg zu betrachten. Sie sehen auch aus der Ferne sehr schön aus.

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