„Ich kann dir nicht sagen, wie viele Einsätze ich pro Tag geflogen bin. Für mich sind nicht die Zahlen wichtig, sondern die Qualität der Einsätze.“ Diese Aussage sagt viel aus über den Charakter von Maurizio Folini.
Der 59 Jahre alte Italiener ist nicht nur Hubschrauberpilot mit Leib und Seele, sondern auch Bergretter aus Leidenschaft. Seit 2011 fliegt Folini regelmäßig Einsätze an den höchsten Bergen der Welt. 2013 gelang ihm am Mount Everest die bis dato höchste Hubschrauberrettung aller Zeiten, als er einen nepalesischen Bergsteiger aus 7800 Metern am langen Seil talwärts beförderte.
Auch in dieser Everest-Frühjahrssaison hat er wieder mit seinem Fluggerät des nepalesischen Unternehmens Kailash Helicopter Services viele höhenkranke Bergsteigerinnen und Bergsteiger vom Berg geholt. „Ich bin insgesamt sehr viele Einsätze geflogen. Es gab Tage, an denen ich sechs- bis achtmal in Lager 2 (auf 6400 Metern) gelandet bin. An anderen Tagen bin ich weniger geflogen“, sagt Maurizio.
120 Hubschrauberflüge oberhalb des Basislagers
Den Überblick über den Flugverkehr auf der Südseite des Everest hat Lakpa Sherpa, der seit über 20 Jahren immer wieder am höchsten Berg der Erde im Einsatz ist – auch als erfahrener Bergretter: Lakpa absolvierte Kurse in Italien, Österreich und der Schweiz. Er bezeichnet sich selbst als „Bürgermeister des Everest-Basislagers“. Für die dortige Krankenstation, das Everest ER, koordiniert er auch die Hubschrauber-Rettungsflüge auf den Berg. „In dieser Saison gab es mehr als 50 Rettungsflüge“, schreibt mir Lakpa. „Alles zusammengenommen waren es rund 120 Flüge oberhalb des Basislagers.“

Offiziell erlaubt ist der Helikopter-Einsatz nur für Rettungszwecke – und seit einigen Jahren per Regierungserlass auch zum Materialtransport bis Lager 2 auf 6400 Metern. In den vergangenen Jahren gab es jedoch auch vereinzelt Berichte über Bergsteiger, die unter dem Vorwand eines medizinischen Notfalls mit dem Hubschrauber aus Lager 2 ausgeflogen worden seien. In der Frühjahrssaison 2023 berichtete der ungarische Bergsteiger Szilard Suhajda – der später beim Versuch, den Everest ohne Flaschensauerstoff und ohne Sherpa-Begleiter zu besteigen, ums Leben kam – dass in jenem Jahr auch einzelne Bergsteiger vom Basislager aus mit dem Hubschrauber nach Lager 2 geflogen worden seien – für 4000 Dollar.
Hubschrauber und Pilot am Limit
Hubschrauberflüge in so großen Höhen sind extrem anspruchsvoll für Mensch und Material. Die „dünne“ Luft oder besser der mit der Höhe fallende Luftdruck sorgt dafür, dass auch der Sauerstoffpartialdruck sinkt. Darunter versteht man den Druck, mit dem der Sauerstoff in die Lungen gepresst wird.
Der niedrige Sauerstoffpartialdruck kann nicht nur zu lebensbedrohlichen Formen der Höhenkrankheit führen, sondern auch zu Schwindel, Konzentrationsschwierigkeiten und langsameren Reaktionen. All das kann sich ein Hubschrauberpilot am Everest nicht leisten, denn auch sein Fluggerät ist in der dünnen Luft am Limit.
Die Leistung der Triebwerke fällt ab, ebenso der Gesamtauftrieb des Hubschraubers. Deshalb wird auf so viel Gewicht wie möglich verzichtet. „Wir fliegen immer mit ganz wenig Kerosin, damit der Heli leicht ist, dementsprechend ist das Treibstoff-Management schwierig“, erklärt mir Maurizio. Ab einer Flughöhe von rund 4000 Metern nutze er zusätzlichen Sauerstoff, „entweder über eine Nasenkanüle (auch Nasenbrille oder Sauerstoffbrille genannt) oder eine richtige Atemmaske“, so Folini. Ein weiterer, schwer kalkulierbarer Risikofaktor am Everest ist das Wetter, das innerhalb von Minuten umschlagen kann.
„Zum Glück relativ wenige Tote“
„Die Saison 2025 war von eher schlechtem Wetter geprägt“, bilanziert der italienische Hubschrauberpilot. „Die Verhältnisse am Berg waren gut, aber das viele Schlechtwetter hat die Bergsteiger sowie auch die Bergretter und Heli-Piloten gefordert. Zum Glück gab im Vergleich zu früheren Jahren relativ wenige Tote.“
In dieser Everest-Saison kamen fünf Menschen ums Leben, drei davon am Berg. Dass es nicht mehr wurden, liegt auch am selbstlosen Einsatz der Rettungskräfte am Berg, in der Luft und im Basislager: an den Climbing Sherpas, die ihre kranken Klienten teilweise heruntertragen, den Hubschrauberpiloten, die die Patientinnen und Patienten ins Basislager fliegen und Ärzten wie Ashish Lohani, die sich im Everest ER um die Kranken kümmern.

„Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut“, sagt Maurizio. „Mit Dr. Ashish habe ich viele Rettungen koordiniert. Sogar eine Wiederbelebung eines Patienten, den ich aus einer Höhe von 7200 Metern mit der Longline geholt habe. Wenige Minuten später war der Patient in den Händen von Dr. Ashish. Nach einer Stunde im medizinischen Zelt des Everest ER wurde er mit dem Hubschrauber weiter nach Lukla und dann ins CIWEC-Krankenhaus in Kathmandu geflogen.“
Ashish Lohani zählte in diesem Frühjahr rund 800 Behandlungen im Everest ER, wie er mir mitteilte. In den meisten Fällen habe es sich um Höhenhusten oder Atemwegsinfektionen gehandelt.
Schlecht vorbereitet oder nicht für die Höhe geeignet
Wenn Maurizio Folini sich im Hubschrauber auf den Weg vom Basislager hinauf ins Western Cwm, das „Tal des Schweigens“, macht, sind die Erkrankungen in der Regel weitaus gefährlicher. „Es gab etwas weniger Erfrierungen und Schneeblindheit als in anderen Jahren“, sagt der Pilot. Fast alle Patientinnen und Patienten, die er flog, hätten an Höhenlungenödemen (HAPE) gelitten, so Maurizio: „Wahrscheinlich auch, weil viele Leute nicht entsprechend vorbereitet sind oder eben ihre Körper für die extreme Höhe nicht geeignet sind. Der Gebrauch von eher viel Flaschensauerstoff (fünf Flaschen pro Kunde) lässt alles einfacher erscheinen. Aber dann kann der Körper anders reagieren als erwartet.“
Bei HAPE sammelt sich Wasser in den Lungen der Bergsteigerin oder des Bergsteigers. Die Krankheit kann tödlich enden, die Erkrankten müssen so schnell wie möglich in tiefere Lagen gebracht werden. Mit dem Hubschrauber gelingt das in wenigen Minuten. Aber jede dieser Rettungen ist wegen der gefährlichen Bedingungen am Berg ein Wagnis für den Piloten. Besonders oberhalb von Lager 2, wo der Hubschrauber nicht mehr landen kann und von wo die Erkrankten oder Verletzten deshalb mit einer langen Rettungsleine talwärts geflogen werden müssen.
Nur rund ein Dutzend Piloten seien oberhalb des Everest-Basislagers im Einsatz, berichtet Maurizio, der außerhalb der Klettersaison in Nepal auch einheimische Piloten und Bodenpersonal für die kniffligen Rettungseinsätze in großer Höhe ausbildet. „Longline-Rettungen oberhalb von Lager 2 machen aber nur zwei“, so Folini: Er selbst und der nepalesische Pilot Bibek Khadka, der für das Hubschrauber-Unternehmen Altitude Air fliegt. Auch sie gehören zu den „stillen Helden“ am Mount Everest, über die kaum jemand spricht. Dabei begeben sie sich für andere Menschen in Gefahr – was alles andere als selbstverständlich ist.
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