Die deutsche Bergsteigerin Anja Blacha hat heute vor einer Woche am Mount Everest etwas erlebt, was inzwischen Seltenheitswert hat: Sie hatte den Gipfel ganz für sich allein – weil sie als letzte Gipfelanwärterin der Frühjahrssaison den höchsten Punkt der Erde auf 8849 Metern erreichte und ohne Sherpa-Begleiter unterwegs war. Einen Tag später erklärten die Icefall Doctors die Saison für beendet und begannen damit, die Seile und Leitern durch den gefährlichen Khumbu-Eisbruch oberhalb des Everest-Basislagers abzubauen. Das brachte Anja um die Chance, auch noch den benachbarten 8516 Meter hohen Lhotse ohne Flaschensauerstoff zu versuchen.
Sei es drum, Blacha kann sich darüber freuen, als erste deutsche Bergsteigerin und erst elfte Frau weltweit ohne Atemmaske auf dem Mount Everest gestanden zu haben. Eine bemerkenswerte Leistung, die aus den fast 800 Everest-Besteigungen dieses Frühjahrs heraussticht.
Damit hat sie zwölf der 14 Achttausender – in kommerziellen Teams, auf den Normalrouten – ohne zusätzlichen Sauerstoff bestiegen. Einzig der Lhotse und die Shishapangma in Tibet fehlen ihr noch in der Achttausender-Sammlung. Nach ihrer sicheren Rückkehr vom Berg hat Anja Blacha meine Fragen beantwortet .
Anja, zunächst einen ganz herzlichen Glückwunsch zu deiner Everest-Besteigung ohne Flaschensauerstoff. Es war bereits dein dritter Gipfelerfolg am Mount Everest, bei den ersten beiden hattest du zur Atemmaske gegriffen. Wie hast du den Unterschied – mit/ohne zusätzlichen Sauerstoff – erlebt?
Vielen Dank, Stefan. Ich war dieses Mal schlichtweg extrem gut akklimatisiert und hatte bedeutend bessere Wetter- und Routenbedingungen als 2021. Das hat viel von dem ausgeglichen, was sonst der Flaschensauerstoff ausgleicht.
Der Hauptunterschied lag nichtsdestotrotz noch darin, wie viel länger mir nun die Strecke vom Balcony (der „Balkon“ ist eine markante Stelle der Route auf rund 8400 Metern), von wo ich 2021 Flaschensauerstoff verwendet hatte, bis zum Gipfel vorkam.
Und diesmal hatte ich über (den Expeditionsveranstalter) Imagine Nepal selbst remote noch eine wertvolle Vertrauens- und Informationsbasis am Gipfeltag – allein beispielsweise zu wissen, wie viel Zeit mir noch für den Aufstieg bleibt, ehe stärkerer Wind aufzieht, kann einen großen Unterschied machen.
Du warst diesmal am Gipfel alleine. Was hast du dort oben gefühlt und gedacht?
Natürlich war es ein toller Moment zu realisieren: Ich habe es geschafft und darf als wohl Letzte für das Jahr hier oben stehen und die Weitsicht genießen.

Darüber hinaus war es jedoch nicht das große, erhellende Erlebnis. Der Gipfel kam mir noch vermüllter vor, es gab sogar Vögel, die auf dieser Höhe darin herumgepickt haben, dazu säumten zwei Leichen auf dem letzten Abschnitt den Wegesrand. An Gründen, schnell wieder abzusteigen, mangelte es nicht.
Schließlich dachte ich noch, wie viel schöner wäre es, wäre der Gipfel keine Grenze, sondern eine Brücke zwischen Nepal und Tibet?
Du hattest erwogen, hinterher auch noch den Lhotse zu besteigen. Warum kam es am Ende nicht dazu?
Da kein größeres Team mehr am Berg war, haben die Icefall Doctors entschieden, den Khumbu-Eisbruch schon am Mittag des 28. Mai, also einen Tag früher als ursprünglich angekündigt, zu schließen. Ich war noch vom 27. Mai auf den Morgen vom 28. Mai im Lhotse-Lager 4 geblieben, während wir versucht haben zu verhandeln, dass der ursprüngliche Termin eingehalten wird oder zumindest Zeit bis zum Abend bleibt – aber ohne Erfolg. Schade, denn Wetter- und Schneeverhältnisse am 28. Mai waren großartig.
Du hattest aus diesem Frühjahr bereits Aufstiege ohne Atemmaske an der Annapurna I und dem Dhaulagiri in den Knochen. Wo hast du da noch die Kraft für den Everest hergenommen?
Die vergangenen zweieinhalb Monate waren tatsächlich ein regelrechter Resilienz-Test. Annapurna und Dhaulagiri waren grundsätzlich ideal für die Akklimatisierung, die ich für den Everest brauchte. Dazwischen gab es allerdings so einige Rückschläge: Ein verstauchtes Sprunggelenk, eine kleine Lebensmittelvergiftung, ein starker viraler Infekt…
Dazu kam, dass ich am Everest zu einem suboptimalen Wetterfenster aufgestiegen war, weswegen ich bereits rund eine Woche in Lager 2 (auf 6400 Metern) und höher verbracht habe, davon zwei Tage auf dem South Col (auf knapp 8000 Metern) mit Aufstieg bis zum Balcony, ehe es überhaupt an den finalen Gipfelanstieg ging. Ich war also schon recht ausgelaugt und noch nicht ganz genesen, als ich nochmals alle Kräfte mobilisieren musste.

Aber wundersamerweise schafft es der Körper ja doch, wenn es darauf ankommt, alles beiseitezuschieben und in den Leistungsmodus zu wechseln. Das hat mir letztlich geholfen.
Du kamst zwar erst zu einem späten Zeitpunkt der Saison zum Everest. Dennoch: Wie hast du das Treiben am höchsten Berg der Erde wahrgenommen?
Ich habe fast gar nichts davon direkt wahrgenommen. Die kurze Zeit im Basislager habe ich das Imagine-Nepal-Camp nicht verlassen, sondern versucht, Energie zu sparen und zu regenerieren; gleiches in Lager 2.
Aus der Ferne habe ich die gigantischen Schlangen am 18./19. Mai gesehen und die eine oder andere Geschichte gehört. Insgesamt habe ich mich aber schlichtweg auf mich selbst fokussiert und war außerhalb der „Stoßzeiten“ unterwegs.
Alle deine bisherigen Expeditionen – ob an den Achttausendern oder zum Südpol – endeten erfolgreich. Verrätst du dein Erfolgsgeheimnis?
Es sind sicherlich viele Faktoren, die bislang günstig zusammengekommen sind. Um aber etwas Griffiges herauszuheben:
– Think Big: Ich traue mir überhaupt erst zu, erfolgreich zu sein. Und versuche dann, durch Planung und Vorausdenken die richtigen Voraussetzungen schaffen.
– Show Grit: Ich bleibe beharrlich, man könnte es auch ostwestfälische Sturheit nennen. Denn wenn ich mir etwas Anspruchsvolles vorgenommen habe, dann doch nicht, um beim ersten Anspruch an mich abzubrechen.
– Stay Fit: Ich bleibe leistungsfähig, indem ich möglichst auf meinen Körper und die eigene Intuition höre. Das heißt, ich gehe in meinem Tempo, egal, wie schnell oder langsam die anderen sind. Ich esse, trinke, schlafe nach Möglichkeit so viel, wie mein Körper braucht. Ich blende konsequent alles aus, was mir Energie nimmt, aber gerade keine Priorität hat. Ich gehe nicht an meine Grenzen, sonst bin ich nicht mehr leistungsfähig, falls mir doch noch etwas Unerwartetes mehr abverlangt.
Schließlich gehören immer auch großartige Menschen dazu, die mich unterstützen, und natürlich das gewisse Quäntchen Glück.
Respect ohne O2!
Auf dem höchsten Punkt der Erde seinen Müll fallen zu lassen erschließt sich mir nicht. Was sind das für Menschen? Was sind das für Expeditionen, die sowas zulassen? Ich habe mich früher immer an der Natur erfreut und das die Menschen in den Bergen meist die Spielregeln kannten und das einfache Leben geschätzt haben. Nennt man das Fortschritt, wenn man die Natur zumüllt? Das gleiche passiert leider auch in den Alpen und diese Entwicklung ist schrecklich und gehört massiv bestraft.
Und jetzt an die ganzen Höhen-Experten hier: Ja, es ist leichter, wenn man ohne Gewicht den Berg rauf und runter geht. Ist mir klar 🙂 Aber wer das nicht schafft ohne seinen Abfall wieder mit zu nehmen, der muss daheim bleiben. Respect Nature.