Mount Everest: Ein bisschen weniger Drama bitte!

Die Kangshung-Wand auf der Ostseite des Mount Everest
Die Ostwand (Kangshung-Wand) des Mount Everest

Eigentlich sollte es mich nicht mehr überraschen, weil es nicht neu ist. Und doch bin ich immer wieder erstaunt, wie schnell und umfassend die Medienlawine losrollt, sobald der Mount Everest ins Spiel kommt.

Das wäre nicht weiter tragisch, wenn die Beteiligten der Informationsbranche die Mühe machen würden, die Fakten erst einmal zu prüfen, bevor sie ihre Nachrichten-Filme, -Videos und Beiträge auf allen Kanälen heraushauen – versehen mit sensationsheischenden Schlagzeilen, flankiert von reißerischen Posts auf den sozialen Netzwerken. Am gestrigen Montag war es wieder einmal so weit.

Falsche oder irreführende Angaben

„Tödliches Schnee-Drama am Everest“, titelte beispielsweise die größte deutsche Boulevardzeitung – und ignorierte die Tatsache, dass der Tote aus den Bergen der chinesischen Provinz Qinghai, mehr als 1600 Kilometer Luftlinie nordöstlich des Mount Everest, vermeldet wurde.

Jahrealte Bilder vom verschneiten vorgeschobenen Basislager auf der Everest-Nordseite mussten als Titelbilder für die Geschichte der eingeschneiten Trekkingtouristen herhalten. Videosequenzen von Bergsteigerschlangen im Gipfelbereich auf der nepalesischen Everest-Seite wurden eingespielt, um zu dokumentieren, wie überfüllt der Berg sei.

Bergwanderer, nicht Bergsteiger

Ich wurde von mehreren Medien für Interviews angefragt, in denen ich eigentlich kaum anderes tun konnte, als die Dinge wieder etwa zurechtzurücken: Nein, es waren keine Bergsteiger, sondern Trekkingtouristen. Nein, sie versuchten nicht, den Everest zu besteigen, sondern wanderten durch ein Tal auf der Ostseite des Bergs, um einen Blick auf ihn zu werfen. Ja, ein Meter Neuschnee an einem Tag im Oktober ist ungewöhnlich, aber nein, es ist kein erstmals auftretendes Wetterphänomen.

Ja, unter den Betroffenen waren offenkundig einige, die schlecht ausgerüstet loswanderten, aber nein, das bedeutet nicht, dass Trekkingtouren im Everest-Gebiet nicht verantwortbar sind. Ja, es ist durchaus logistisch kompliziert, wenn man mehrere hundert Bergtouristen aus einem verschneiten Tal holen muss. Aber nein, es ist nicht vergleichbar mit einer Rettung eines in Not geratenen Bergsteigers aus einer steilen Wand. Und nein, ich glaube nicht, dass es in einer Katastrophe endet, sondern bin überzeugt davon, dass die Sache glimpflich ausgeht.

Dass gleichzeitig in Nepal rund 40 Menschen bei Überschwemmungen und Erdrutschen ums Leben kamen, war den meisten allenfalls einen Satz wert, wenn überhaupt. Diese Information lenkte ja nur von den vermeintlich dramatischen Ereignissen auf der tibetischen Seite des Everest ab.

Trekking-Boom in China

Und was bleibt nun von dieser Wetterepisode in der Everest-Region übrig, wenn wir all das dramatisierende Beiwerk beiseite lassen? Für mich eigentlich nur die Tatsache, dass selbst das Kama-Tal (manchmal auch Gama-Tal oder Kharma-Tal genannt) auf der Ostseite des Everest kein Geheimtipp mehr für eine Trekkingtour ist: Bei einer Konstellation wie jetzt – in der Ferienwoche anlässlich des Nationalfeiertags zur kommunistischen Staatsgründung am 1. Oktober 1949 – bilden sich in dem Tal lange Schlangen chinesischer Trekkingtouristen.

Seit Jahren lässt sich im Himalaya beobachten, dass Chinesinnen und Chinesen, die es sich leisten können, den Bergsport für sich entdeckt haben. Der Anteil chinesischer Teammitglieder an Expeditionen zu den Achttausendern ist deutlich angestiegen. Auch im Trekkingtourismus wird mittlerweile häufig chinesisch gesprochen. Und im Gegensatz zu ausländischen Bergtouristen, die vom guten Willen der chinesisch-tibetischen Behörden bei der Permit-Vergabe abhängig sind, haben chinesische Kunden keine Schwierigkeiten, nach Tibet zu reisen.

Bergsteigerisch verwaist

Mit der einsamen Idylle des Kama-Tals dürfte es zu Stoßzeiten endgültig vorbei sein. Bereits 1921 hatten britische Bergsteiger, die nach Tibet kamen, um eine Aufstiegsroute auf den höchsten Berg der Erde zu erkunden, von der Schönheit des Tals geschwärmt. Unter ihnen war auch George Leigh Mallory, der 1924 unter mysteriösen Umständen am Nordostgrat des Everest verschwand und dessen Leiche erst 1999 gefunden wurde.

In der Everest-Ostwand
In der Everest-Ostwand (1988)

Einen Aufstieg durch die steile, lawinenträchtige Ostwand hielt Mallory nach dem ersten Blick vom Kama-Tal aus für fahrlässig. „Andere Männer, weniger weise, mögen diesen Weg versuchen, wenn sie möchten. Aber, mit Nachdruck, für uns ist das nichts“, schrieb er in sein Expeditionstagebuch.

Nur viermal wurde die Wand gemeistert. 1983 stiegen US-Bergsteiger unter Leitung von Carlos Buhler mit Flaschensauerstoff auf, 1988 eröffnete ein kleines internationales Team um den Briten Stephen Venables – ohne Atemmaske – eine weitere Route. 1992 wiederholte ein chilenisches, 1999 ein indisches Team die Route von Venables und Co. – mit Flaschensauerstoff.

Seit Jahren ist die Wand bergsteigerisch verwaist. Im Gegensatz zu den vielen chinesischen Trekkingtouristen, die einen Blick auf sie werfen.

8 Antworten auf „Mount Everest: Ein bisschen weniger Drama bitte!“

  1. Sehr guter Kommentar, Stefan!
    Nur eine kleine Korrektur: Die Ostwand wurde bislang viermal durchstiegen, da die Route von Venables & Co. zweimal wiederholt wurde (1992 durch Chilenen und 1999 durch Inder).

  2. Danke Stefan, für deine fachmännische, ausführliche Information!
    Als ich im Rongbuk Guesthouse übernachtete, hat es bereits im September angefangen zu schneien. und auch auf dem Kala Pattar kam eine Schneewolke daher. Also, nicht mehr zum EBC wie geplant, sondern sofort abgestiegen! Man muss mit Wetterumschwüngen im Himalaya immer rechnen und reagieren! Aber unsere Presse ist ja nur noch auf Sensationen aus, auch, weil der Leser es so fordert! Dir weiterhin alles Gute!

  3. Mit der Wettervorhersage ist es in der Region so eine Sache. Wir haben im Oktober 2013 oben auf dem Kongma La gezeltet und haben die Zeichen erkennt und sind im Schneesturm nach Chukung abgestiegen. Dort hat es dann 2 Tage durchgeschneit und man war dort einige Tage völlig eingeschneit. Ich erinnere mich noch wie ich nachts mit der Lawinenschaufel das Dach vom schweren Schnee befreit habe.
    Ursache war damals ein Tropensturm aus dem indischen Golf, der gegen den Himalaya geprallt ist mit erheblichen Auswirkungen auf die Herbstsaison.

  4. Hallo Stefan, da sind scheinbar ein paar sensationslüsterne Schreiberlinge über sich hinaus gewachsen und haben mal wieder alles miteinander vermischt. Wenn man den 1. Artikel liest denkt man schon das mehrere hundert Bergsteiger am Berg waren, dabei waren es nur ein paar Touris.
    Schon gut das es solchen wie dich gibt und den normalen Verstand wieder zum Vorschein bringen.
    Danke, Peter aus Kathmandu

  5. Ich arbeite ja nun wirklich lange, lange in unserem Job. Und doch reibe ich mir immer mal wieder verwundert die Augen, wenn ich diesen hanebüchenen Unsinn lese, den unsere Kollegen in ihrer gefräßigen Jagd nach Klicks und Likes absondern.

  6. Auch mir sprichst du aus der Seele, lieber Stefan. Das einzige Problem ist, dass die Leute, die Medien wie der Bildzeitung glauben, leider deinen Blog nicht lesen. Ich habe kurz vor meinem Flug von Doha nach Kathmandu noch schnell ein Interview mit dem bayerischen Rundfunk gemacht. Und genau, kaum ist das Buzzwort Everest im Spiel, spielen die Medien verrückt!

    Danke, dass du das geschrieben hast lieber Stefan!

  7. Das wird mit KI noch schlimmer werden. Social Media und das Modell dahinter ist einfach nur krank. Wenn ich mir dann noch anschaue, wie sich diese Menschen auf LinkedIn präsentieren wundert mich nichts mehr.

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