Wenn Priti und Jeff Wright später einmal auf 2020 zurückblicken, werden sie sich sicher einig sein: „ein außergewöhnliches Jahr“ – und das nicht nur wegen der Corona-Pandemie. Die Software-Entwicklerin und der Luftfahrtingenieur aus Seattle in den USA nahmen Ende 2019 eine berufliche Auszeit, um ein Jahr lang in vollen Zügen ihre Leidenschaft auszuleben: Klettern und Bergsteigen.
Die Eheleute, beide Anfang 30, reisten erst nach Patagonien, dann nach Europa und schließlich nach Pakistan. Ihre bergsteigerische Bilanz ist beeindruckend: der legendäre Cerro Torre, die sechs großen Nordwände der Alpen und schließlich – wie berichtet – als Krönung der K6. An dem anspruchsvollen Siebentausender im Karakorum gelang ihnen im Alpinstil die Traverse vom Westgipfel (7040 Meter) zum bis dahin noch unbestiegenen Mittelgipfel (7100 Meter). Die „alpinen Vagabunden“, wie sie sich auf ihrer Website nennen, haben meine Fragen zu ihrem Coup am K6 beantwortet.
Was bedeutet euch das Abenteuer am K6 mit der erst dritten Besteigung des Westgipfels und der Erstbesteigung des Mittelgipfels?
(Priti) Jeff und ich begannen im Januar 2020 mit unserem Kletter-Sabbatical, bestiegen den Cerro Torre in Patagonien, kletterten die sechs klassischen Nordwände der Alpen und kamen schließlich nach Pakistan, um den K6 zu besteigen. Alle Besteigungen vor unserer Expedition waren Übung und Vorbereitung auf alles, was uns im Karakorum widerfahren könnte. Obwohl der K6 nicht die technisch anspruchsvollste Besteigung ist, die wir jemals gemacht haben, mussten wir in puncto mentalem Durchhaltevermögen und körperlicher Ausdauer an unsere Grenzen gehen, um bei scharfem Wind und tiefem Schnee durchzuhalten. Es ist sicherlich der größte Erfolg unserer Bergsteigerkarriere.
War die Traverse vom West- zum Mittelgipfel von Anfang an geplant?
(Priti) Ja, absolut ja. Das hatten wir von Anfang an geplant, und es war in Stein gemeißelt, dass unser vorrangiges Ziel darin bestand, den jungfräulichen Gipfel zu erreichen. Als wir dann vom West- zum Mittelgipfel blickten, wusste ich, dass wir es auch durchziehen würden.
Ihr seid nach der Besteigung des Mittelgipfels abgestiegen. Wart ihr nicht versucht, die komplette Traverse des Gipfelgrats zu vollenden und auch noch den 7282 Meter hohen Hauptgipfel zu besteigen?
(Priti und Jeff) Wir hatten uns wirklich vorgenommen, den gesamten Grat bis zum Hauptgipfel zu überschreiten. Es war definitiv ein weiteres Ziel, für uns jedoch viel weniger wichtig als der Mittelgipfel. Die Chance, 50 Jahre nach der Erstbesteigung des K6-Hauptgipfels die zweite Besteigung zu schaffen, hatte sicherlich ihren Reiz. 1969 hatte sich auch ein italienisches Team die vollständige Traverse vorgenommen, ehe den Österreichern (unter Leitung von Eduard „Edi“ Koblmüller) ein Jahr darauf die Erstbesteigung über den Südostgrat gelang. Wir hatten sogar einen Satz Klemmkeile zum Felsklettern dabei (fünf Cams, Nuts, zusätzliche Expressschlingen), das nicht zum Einsatz kam, aber für den Fall gedacht war, dass sich uns eine gute Chance böte, vom Mittel- zum Hauptgipfel zu queren.
Leider verhinderten jedoch der starke Wind im Jetstream (45km/h), die bittere Kälte durch unseren Start spät in der Saison (bis zu minus 21 Grad Celsius) und der tiefe Schnee die vollständige Traverse. Die Querung vom Mittel- zum Hauptgipfel wäre sehr anspruchsvoll gewesen, beginnend mit einem wahrscheinlich unumkehrbaren Abseilen von der Ostseite des Mittelgipfels. Außerdem war der Abstieg vom Hauptgipfel auf den Lachit-Gletscher über die Österreicher-Route von 1970 eine große Unbekannte.
Haben euch Exposition, Schwierigkeitsgrad und Wetterbedingungen bei der Tour alles abverlangt?
(Priti und Jeff) Ein weiser Mensch hat einmal gesagt, es sei sinnlos, für das Leiden zu trainieren. Dennoch waren wir unserer Ansicht nach durch unsere Touren in den vergangenen Jahren gut vorbereitet. Viermal sind wir nach Patagonien gereist. Dadurch wussten wir, wie es ist, im extremen Wind unterwegs zu sein. Dass wir am Denali (in Alaska, mit 6190 Metern der höchste Berg Nordamerikas) den Cassin-Grat kletterten, bereitete uns auf das Wühlen durch tiefen Schnee und auf technisches Gelände in der Höhe vor. Das Eisklettern im Winter in den kanadischen Rocky Mountains schulte uns für den Umgang mit bitterer Kälte.
Bei jedem neuen Projekt versuchen wir, nur eine neue Fertigkeit hinzuzunehmen. Beim K6 war es die Erfahrung, noch nie zuvor so hoch geklettert zu sein. Wir haben den Denali zweimal bestiegen, und der K6 ist deutlich höher, sodass wir bei der Akklimatisierung geduldig und vorsichtig vorgingen. Während der Expedition hatten wir keine Höhenprobleme.
Ihr wart während eures Sabbaticals in Patagonien, in den Alpen und jetzt im Karakorum. Was plant ihr für die letzten Monate des Jahres?
(Priti) Zum ersten Mal zwangen uns die COVID-Beschränkungen dazu, unsere Pläne wirklich zu ändern und nicht nur aufzuschieben. Wir hatten geplant, nach Thailand zu reisen, um uns am Strand aufzuwärmen und ein bisschen Muskelkraft und Fitness für das Felsklettern zurückzugewinnen, aber das Land stellt keine Touristenvisa aus. Also reisten wir nach Hawaii, um zumindest unsere Knochen am Strand zu wärmen und durch Wassersport wieder etwas Kraft zu tanken.
Wie empfindet ihr es, Extremsituationen am Berg als Paar anzugehen und zu meistern?
(Priti) Wir sagen immer: Das geteilte Trauma bringt uns einander näher. Jeder Aufstieg lehrt uns etwas. Dieser (am K6) hat uns gelehrt, positiv zu bleiben und uns nicht gegenseitig runterzuziehen. Ich kann mir keinen anderen Menschen vorstellen, mit dem ich Extremsituationen lieber teilen würde!