Bis heute wurde sie noch nie wiederholt. Das sagt eigentlich alles über die Route „White Limbo“ durch die Nordwand des Mount Everest, über die die Australier Tim Macartney-Snape und Greg Mortimer am 3. Oktober 1984 – heute vor 40 Jahren – den Gipfel auf 8849 Metern erreichten. Beide waren ohne Flaschensauerstoff unterwegs. Der US-amerikanische Everest-Chronist Walt Unsworth (1928-2017) bezeichnete die australische Expedition einmal als „einen der großartigsten Aufstiege, die jemals auf diesen Berg gemacht wurden“.
Außer Macartney-Snape und Mortimer gehörten Geoffrey Bartram, Andrew Henderson, Geoffrey Bartram und Lincoln Hall zu dem australischen Team, das sich vorgenommen hatte, ohne Atemmasken eine neue Route durch die Nordwand zu eröffnen. Sie tauften sie White Limbo (Weiße Vorhölle) – nach einem Song der früheren Rockband Australian Crawl von 1983.
Durch das Norton-Couloir
Die fünf Australier starteten auf dem Zentralen Rongbuk Gletscher und stiegen durch das sogenannte „Große Couloir“ gipfelwärts. Die Rinne wird auch Norton-Couloir genannt – nach dem Briten Edward Norton (1884-1954), einem Mitglied der legendären Everest-Expedition 1924, bei der George Mallory und Andrew Irvine bei ihrem Gipfelversuch verschollen gingen. Norton hatte zuvor über den oberen Teil des Couloirs eine Höhe von 8573 Metern erreicht, ohne Flaschensauerstoff. Erst 1978 wurde diese Höhe ohne Atemmaske überschritten – von Reinhold Messner und Peter Habeler bei ihrer ersten Everest-Besteigung ohne Flaschensauerstoff.
Der Herbst 1984, in dem sich die Australier an der Nordwand versuchten, war ein schneereicher. Immer wieder donnerten Lawinen herunter. Ein Teil ihrer Ausrüstung wurde verschüttet. Erst nach rund zwei Monaten widriger Wetterverhältnisse sah das australische Quintett eine realistische Gipfelchance. Ihre erste und letzte, das war allen klar. Denn acht Wochen in dünner Luft hatten ihren körperlichen Tribut gefordert – was am Ende drei Bergsteiger um den Gipfelerfolg brachte.
Kurz vor Sonnenuntergang am Gipfel
Bartram kehrte auf 7400 Metern um, weil er Symptome eines lebensbedrohlichen Höhenhirnödems zeigte. Die anderen vier stiegen – unangeseilt – durch das Couloir und verbrachten vom 2. auf den 3. Oktober auf einem schmalen Vorsprung auf 8150 Metern eine ungemütliche Nacht, alle gemeinsam in einem Zelt. Am Gipfeltag gab Hall auf einer Höhe von 8300 Metern auf – wegen der eisigen Kälte.
Macartney-Snape erreichte kurz vor Sonnenuntergang als Erster den Gipfel, kurz danach Mortimer. Sie waren die ersten Australier, die auf dem höchsten Punkt der Erde standen. 50 Höhenmeter unterhalb musste Henderson das Handtuch werfen. Weil seine Steigeisen gebrochen waren und er sie reparieren musste, hatte er seine Handschuhe ausziehen müssen. Die Folge: schwere Erfrierungen an den Fingern. Nach der Expedition mussten ihm an neun Fingern die oberen Glieder amputiert werden.
„Risiken jenseits der Skala“
Der Abstieg dauerte mehr als zwei Tage. Auch Mortimer zeigte Symptome einen Höhenhirnödems. Am 6. Oktober waren alle fünf australischen Bergsteiger zurück im Basislager. „Im Nachhinein betrachtet waren die Risiken jenseits der Skala“, sagte Mortimer dem Magazin „Australian Geographic“ , „sie lagen zwischen acht und zehn auf der Richterskala.“
Macartney-Snape kehrte 1990 zum Everest zurück. Unter dem Motto „From the sea to the summit“ – er gründete später auch das gleichnamige Unternehmen für Outdoor-Ausrüstung – wanderte Tim in drei Monaten von der Bucht von Bengalen zum Fuße des höchsten Bergs der Erde und bestieg ihn über die nepalesische Normalroute – erneut ohne Flaschensauerstoff und ohne Sherpa-Unterstützung. „Der Everest ist, und wird es auch immer sein, ein unvergängliches Symbol für Hoffnung, Streben und Leistung“, schreibt der heute 68-Jährige auf seiner Homepage.
Wieder einer Deiner vielen, tollen Artikel, lieber Stafen!
Wie immer klasse recherchiert und für uns Leser super aufbereitet und niedergeschrieben. Dankeschön für Deine Mühe!!
Sehr gerne, lieber Ralf. Danke für Deine netten Worte.
Moin Stefan
Gruß aus dem Norden.
Danke für deine tollen Artikel mit denen du uns in die Berge der Welt mitnimmst.
Michael
Sehr gerne, lieber Michael.