Der „nackte Berg“ – das heißt Nanga Parbat übersetzt – ist noch nackt, was Winterbesteigungen über die nach Südosten ausgerichtete Rupalflanke betrifft, die höchste Bergwand der Welt. Die einzigen beiden Winter-Gipfelerfolge bisher an dem 8125 Meter hohen Berg in Pakistan gelangen über die Nordwestseite, die Diamirflanke: die Wintererstbesteigung 2016 durch den Spanier Alex Txikon, den Italiener Simone Moro und den Pakistaner Muhammad Ali „Sadpara“ (die Südtirolerin Tamara Lunger kehrte 70 Meter unter dem Gipfel um) und die zweite Besteigung in der kalten Jahreszeit durch die Französin Elisabeth Revol und den Polen Tomek Mackiewicz (der beim Abstieg starb).
In diesem Winter wollen der deutsche Topbergsteiger David Göttler (43 Jahre alt) und der Italiener Hervé Barmasse (44) den Nanga Parbat über die Rupalseite besteigen – in sauberem Stil, also ohne Fixseile und Flaschensauerstoff. Der US-Amerikaner Mike Arnold (34), der die beiden nach Pakistan begleitete, wird „wie geplant bald wieder Richtung Heimat zurückreisen“, wie mir David aus dem Basislager auf 3500 Meter Höhe schreibt. „Nur Hervé und ich werden den Berg probieren.“
David war schon einmal im Winter auf dieser Seite des Nanga Parbat unterwegs: 2014 gelangte er auf der sogenannten „Schell-Route“ (benannt nach dem Österreicher Hanns Schell, der 1976 dort aufstieg) bis zum Mazeno-Grat auf 7200 Metern, ehe er wegen schlechten Wetters umkehrte. Im Frühjahr 2017 kletterten Göttler und Barmasse in Tibet gemeinsam durch die Südwand des Achttausenders Shishapangma – bis fünf Meter unterhalb des Gipfels.
David, wie fühlt es sich für dich an, wieder am Nanga Parbat zu sein – acht Jahre nach deinem ersten Winterversuch?
Es ist, als würde man einen Freund nach langer Zeit wiedertreffen. Vieles hat sich geändert, aber auf der anderen Seite fühlt es sich vertraut und gut an. Ich hatte, seit wir das letzte Mal hier waren, immer den Plan zurückzukommen und bin dementsprechend wirklich glücklich, jetzt wieder hier zu sein.
Du warst im vergangenen Frühjahr mit Kilian Jornet am Mount Everest, wo sich so viele Menschen versammelt hatten wie noch niemals zuvor in einer Saison. Jetzt seid ihr ein einziges kleines Team am Nanga Parbat. Genießt du die Einsamkeit jetzt doppelt?
Die Frage wird mir oft gestellt. Und auch wenn es vielleicht überrascht, ich genieße beide Arten von Expeditionen. Am Everest genieße ich, Freunde zu treffen, die ich nur dort sehe. Hier genieße ich die Einsamkeit. Es sind zwei ganz unterschiedliche Arten von Bergsteigen. Beide haben für mich aber ihren Reiz.
Welche ersten Eindrücke habt ihr von den Verhältnissen am Berg?
Es ist wie immer hier sehr trocken und nicht ganz einfach von den Verhältnissen her. Aber wir hoffen, dass sich das noch ändert. Mal sehen.
Wieviel Zeit nehmt ihr euch für eure Akklimatisation?
Man kann hier nur warten, bis sich die entsprechenden Wetterfenster öffnen, in denen man die Aufstiege zur Akklimatisation machen kann. Da gibt es erstmal kein fixes Zeitfenster.
Habt ihr euch schon final für eine Aufstiegsroute entschieden?
Am wahrscheinlichsten wird es wohl die Schell-Route. Aber auch hier werden wir uns alle Optionen offenlassen. Das Gute daran, in so einem leichten Stil unterwegs zu sein wie wir, ist, dass man schneller das Ziel wechseln kann.
Ihr seid ohne Flaschensauerstoff unterwegs, es kommt also auch auf Schnelligkeit an. Habt ihr im Vorfeld gezielt darauf trainiert?
Ich denke, mein Training der ganzen letzten Jahre war auf so eine Unternehmung ausgerichtet – dasselbe Training mit Uphill Athlete (von den US-Kletterern Steve House und Scott Johnson entwickeltes Trainingsprogramm) wie für den Everest oder die Shishapangma.
Die Rupalwand ist – auch bei höheren Temperaturen im Sommer – schon extrem anspruchsvoll. Wie groß schätzt du eure Chance im Winter ein?
Sehr gering, um ehrlich zu sein, aber höher als Null, solange wir uns hier befinden und es probieren.
Woraus ziehst du den nötigen Optimismus, ohne den ein solches Projekt nicht möglich ist?
Ich denke, wir haben alle Voraussetzungen, um Erfolg zu haben, wenn alles passt: Wir verfügen als Team über die nötige jahrelange Erfahrung, waren schon mal hier, waren auf anderen Achttausendern. Und das Gute hier ist, dass das Basislager so niedrig liegt, dass man nicht so viel Substanz verliert. Wir können uns fit halten und auch mit nur einem halben Schönwettertag einiges an den Bergen rund um das Basislager unternehmen. So konnte ich schon ein paar wirklich schöne Flüge mit meinem leichten Gleitschirm machen.
Wie viel Zeit und wie viele Versuche maximal habt ihr eingeplant?
Da haben wir uns nicht festgelegt.
David. Ich drücke Dir die Daumen, dass Ihr in erster Linie wieder gesund nach Hause kommt und am besten mit allen Fingern und Zehen.