Eberhard Jurgalski: „Leistungen der Bergsteiger-Legenden nicht geschmälert“

Der deutsche Chronist des Bergsteigens, Eberhard Jurgalski

„Eigentlich hatte ich gedacht, dass mit unserer Liste nach zehn Jahren Recherche die Hauptarbeit abgeschlossen ist“, sagt mir Eberhard Jurgalski. „Doch das war ein Trugschluss.“ Die von einem Team um den deutschen Chronisten veröffentlichte Liste, nach der – wie berichtet – zweifelsfrei nur drei Bergsteiger auf den höchsten Punkten aller 14 Achttausender gestanden haben, sorgt nach wie vor für heftige Debatten in der Szene.

„Ich lasse mir von keinem sagen, dass so eine Besteigung nicht gilt“, schimpfte etwa Reinhold Messner in einem Interview der Schweizer Zeitung „Tages-Anzeiger“. Nach den Recherchen von Jurgalski und Co. hatten Messner und sein Südtiroler Teamgefährte Hans Kammerlander 1985 an der Annapurna an einer Stelle des Gipfelgrats umgedreht, die fünf Meter niedriger und 65 Meter vom höchsten Punkt entfernt lag. In der neuen Liste wird Messner, weltweit als erster Mensch auf allen Achttausendern gefeiert, daher mit „nur“ 13 Achttausendern geführt. Auch wenn er und Kammerlander an der Annapurna eine neue Route durch die Nordwestwand eröffnet hatten.

Keine Toleranzzonen

Manaslu-Gipfelgrat
Gipfelgrat des Manaslu

„Wenn einer nicht auf dem Gipfel war, dann war er eben nicht ganz oben“, sagt Jurgalski. „Das ist wie 1 plus 1 gleich 2. Würde man etwa einem Popstar, der 13 Nummer-Eins-Hits gelandet hat und einen auf Platz zwei, attestieren, dass er 14-mal an der Spitze der Charts gestanden hat?“

Auch den Vorschlag des erfolgreichsten deutschen Höhenbergsteigers Ralf Dujmovits – in der Liste ebenfalls mit 13 Achttausendern, weil er am Manaslu den Gipfel verfehlte – lehnt Jurgalski ab. Ralf hatte mir gegenüber vorgeschlagen, den Vorschlag des Chronisten-Teams von vor drei Jahren aufzugreifen, enge Toleranzzonen um die besonders unübersichtlichen Achttausender-Gipfel herum zu bestimmen. Wer diese Zonen bis 2019 erreicht hatte, sollte als Besteiger akzeptiert werden.

Diesen Vorschlag haben Jurgalski und Co. allerdings inzwischen verworfen. „Toleranzzonen sind nicht realisierbar. Es war unser Fehler, sie überhaupt vorzuschlagen“, sagt der 69-Jährige. „Wo setze ich diese Zonen an – bei fünf, 50 oder 150 Metern? Egal wie, es wären willkürliche Grenzen. Und das würde man uns vorwerfen. Sich auf den Gipfel zu konzentrieren, ist die einzige und auch konsequente Möglichkeit.“ Insofern versteht er die Aufregung einiger Topstars des Bergsteigens nicht. „Wenn sie ehrlich zu sich selbst sind, müssen sie sich eingestehen, dass wir recht haben.“

„Bei Loretan habe ich geweint“

Dhaulagiri
Der 8167 Meter hohe Dhaulagiri im Westen Nepals

Die neue Liste schmälere die großartigen Leistungen von Messner und anderen in den 1970er, 80er und 90er-Jahren keineswegs, stellt Jurgalski klar. Seine Erkenntnisse hätten ihn teilweise selbst emotional mitgenommen. „Es hat mir auch weh getan. Als ich bei Erhard Loretan, einem der besten Bergsteiger aller Zeiten, festgestellt habe, dass er nicht den höchsten Punkt des Dhaulagiri erreicht hat, sondern eigentlich noch rund 140 Meter Weg vor sich hatte, habe ich geweint. Ich war total fertig. Es tut mir in seinem Fall so leid. Aber hier geht es um Tatsachen, und die müssen wir wissen.“

An der Pionierrolle der Bergsteiger-Legenden und deren großer Bedeutung für den Alpinismus ändere die Liste ohnehin nichts. „Messner hat an den Achttausendern sieben neue Routen eröffnet, Jerzy Kukuczka neun. Loretan war ebenfalls auf schwierigsten Routen unterwegs – am Dhaulagiri, wo er nicht den höchsten Punkt erreichte, im Winter. Deren 13 Achttausender sind eigentlich mehr wert als die 14 von Ed Viesturs und Veikka Gustafsson, die immer auf den Normalwegen aufstiegen.“ Auch wenn Viesturs und Gustafsson, im Gegensatz zum Dritten im 14er-Bunde nach neuer Lesart, dem Nepalesen Nirmal Purja, stets ohne Flaschensauerstoff unterwegs waren.

Punkteliste mit mehr Kriterien?

Jurgalski wurmt es selbst, dass Bergsteigerinnen und Bergsteiger, die bergsteigerisch Messner und Co. nicht im Entferntesten das Wasser hätten reichen können, in der Liste an jenen früheren Legenden vorbeiziehen werden, . Damit will sich der Chronist nicht abfinden. „Ich denke über eine Punkteliste nach, in der auch solche Dinge wie neue Route, ohne Flaschensauerstoff, Winterbesteigung, Sherpa-Unterstützung, Hubschraubertransport und ähnliches berücksichtigt werden“, sagt Jurgalski. „Die würde ganz anders aussehen. Dann stünde Kukuczka wahrscheinlich ganz oben, Messner auf Platz zwei und Loretan auf drei. Und Purja unter ‚ferner liefen‘.“

2 Antworten auf „Eberhard Jurgalski: „Leistungen der Bergsteiger-Legenden nicht geschmälert““

  1. Wenn es keine Toleranzzone gibt, wer war denn dann der Erstbesteiger des Kangchendzoenga ? Joe Brown ja wohl kaum, und Scott oder Messer ja auch nicht… Die Frage ist zur Haelfte ernst, und zur Haelfte ironisch, denn fuer mich waren sie alle oben… Bergsteigen ist eben nicht so praezise wie 100 Meter laufen…

  2. Servus. Es gibt überall Neider. Das ist sehr schade.
    Warum nur?
    Weil man vielleicht selbst nicht dieses Erlebnis gemacht hatte?
    Ich bleib auf meinem Weg ob hoch oder niedrig jeder für seine eigene Kraft und Ausdauer

    Neid ist das schlimmste Gefühl was es gibt.
    Marion

Kommentare sind geschlossen.

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