Hassans Tod am K2: Bericht verzichtet aus Schuldzuweisung

Gedenkstelle für die Toten vom K2, im Hintergrund der Broad Peak (2004)

Könnte Muhammad Hassan heute noch leben? Diese Frage beantwortet der Bericht der Untersuchungskommission nur indirekt: Ja, der Vater von drei kleinen Kindern könnte noch leben, wenn er an jenem 27. Juli gar nicht erst am K2, dem in Pakistan gelegenen, zweithöchsten Berg der Erde, unterwegs gewesen wäre. Denn dort gehörte er schlicht nicht hin.

Es sei Hassans erste Achttausender-Expedition gewesen, heißt es in dem Bericht der fünfköpfigen Kommission, die nach dem Tod des Hochträgers von der Regionalregierung der Provinz Gilgit-Baltistan eingesetzt worden war. Zuvor sei Muhammad nur als „Low Altitude Porter“ am K2 (8611 Meter) und Spantik (7027 Meter) eingesetzt worden, sprich er habe Material zu den Basislagern getragen, aber nicht auf die Berge.

Keine Daunenkleidung bei minus 20 Grad

K2
Der 8611 Meter hohe K2 im Karakorum (2004)

Hassan sei nicht nur untrainiert gewesen, sondern auch schlecht ausgerüstet. „Er verfügte weder über eine ausreichende und angemessene Ausstattung noch über ein Verständnis für die Bedeutung von Kleidung und Ausrüstung in großer Höhe“, heißt es in dem Bericht. „Ein Mitkletterer berichtete dem Ausschuss, dass er Muhammad Hassan beim Akklimatisierungsklettern in Lager 2 und 3 in normaler Hose und Jacke gesehen habe.“

Das bestätigte der Brasilianer Gabriel Tarso in seiner Schilderung an die Kommission auch für den Tag, an dem Hassan starb. „Er trug weder zusätzlichen Sauerstoff noch einen Helm oder angemessene Kleidung wie einen Daunenanzug“, schrieb der Kameramann der Norwegerin Kristin Harila. „Ich habe auch nicht verstanden, warum er seine Handschuhe nicht trug.“ Schließlich zeigte das Thermometer minus 20 Grad Celsius.

Nicht versichert

Laut der Kommission stand Hassan nicht auf dem Expeditionspermit und war auch nicht für den Fall von Verletzung oder Tod versichert. Sein Arbeitgeber, der pakistanische Veranstalter Lela Peak Expedition, hatte Hassan nicht – wie es die Bergsteiger-Regeln in Pakistan eigentlich vorschreiben – mit der angemessenen Ausrüstung eingedeckt, sondern ihm „im gegenseitigen Einverständnis“ 250.000 pakistanische Rupien (umgerechnet 765 Euro) gegeben, damit er dies selbst erledigen sollte. Möglicherweise wollte Muhammad das Geld sparen – oder aber er fand keine angemessene Ausrüstung.

Mehr als eine Stunde kopfüber im Seil gehangen

Hassan habe Seile für das Sherpa-Team des nepalesischen Expeditionsveranstalters 8K Expeditions getragen, das die Route bis zum Gipfel mit Fixseilen sicherte, heißt es in dem Bericht. In der Nacht zum 27. Juli sei er auf 8200 Metern in der Traverse über dem so genannten „Flaschenhals“, völlig erschöpft von den Strapazen des Aufstiegs, plötzlich fünf bis sieben Meter abgerutscht und habe kopfüber im Seil gehangen. Zwei der sechs Sherpas, die vor ihm waren, hätten versucht, ihn heraufzuziehen. Als es ihnen nicht gelungen sei, hätten sie ihre Fixseil-Arbeit fortgesetzt. Laut der Kommission hing Hassan mehr als eine Stunde kopfüber im Seil – mit blankem Bauch. Offenbar war ihm die Jacke beim Sturz in Richtung Kopf gerutscht.

Ein anderer pakistanischer Hochträger sprach sogar von anderthalb Stunden, die Hassan in der Kopf-über-Position verbracht habe. Erst nachdem Kristin Harila, ihr nepalesischer Guide Tenjen Sherpa und Kameramann Tarso („Wir alle hörten das Stöhnen vor Schmerzen. Es war unmöglich zu überhören.“) nach vorn gekommen seien, um Hassan zu helfen, sei es schließlich Tarso und zwei Helfern gelungen, den Pakistaner wieder in eine aufrechte Position zu bringen. Harila und Tenjen Sherpa seien zu dem Zeitpunkt bereits weiter vorn gewesen, weil sie die Information erhalten hätten, dass auch das Fixseil-Team in Schwierigkeiten sei.

Dutzende stiegen vorbei

Hassan sei offenkundig unterkühlt gewesen und habe sich bei dem Sturz wohl die Beine gebrochen, vermutet Tarso. Als der Hochträger keine Reaktionen mehr zeigte, habe er die Hoffnung aufgegeben, ihm noch helfen zu können und sei schließlich weitergestiegen, so der Brasilianer.

Dutzende von Bergsteigerinnen und Bergsteigern seien während seiner Rettungsbemühungen einfach vorbeigestiegen, schildert Tarso: „Manchmal spürte ich, wie jemand meine Schulter leicht berührte und sagte: ‚Könntest du bitte zur Seite gehen, damit ich vorbeikommen kann?'“

Die Untersuchungskommission bewertet nicht dezidiert, ob Hassan mit mehr Helfern und mehr Entschlossenheit hätte gerettet werden können. Lediglich in einigen Formulierungen wie der folgenden schimmert Kritik durch: „Alle Bergsteiger waren nur auf ihren lang ersehnten Gipfelsturm konzentriert, alle Expeditionsmitglieder hatten einen Tunnelblick, so dass sich nur wenige darauf konzentrierten, ihn zu retten, aber es war dafür schon ziemlich spät.“ Zur Entschuldigung weist die Kommission jedoch darauf hin, dass sich das Wetter in jener Nacht plötzlich verschlechtert habe und jeder so schnell wie möglich habe vorankommen wollen.

Zwei-Jahres-Sperre für pakistanischen Veranstalter

Konkrete Folgen hat der Bericht zunächst nur für Hassans Arbeitgeber Lela Peak Expedition. Der Anbieter darf wegen Verstößen gegen die in Pakistan geltenden Bergsteiger-Regeln zwei Jahre lang keine Expeditionen veranstalten. Statt weiterer Schuldzuweisungen gibt es viele Empfehlungen der Kommission. So regt sie an, dass High Altitude Porters künftig nur noch an Achttausendern arbeiten dürfen sollen, wenn sie schon mindestens einen Sechs- und einen Siebentausender bestiegen haben und ein Bergsteiger-Techniktraining nachweisen können. Sie müssten auch ausreichend versichert sein, so die Kommission.

Veraltete Bergsteiger-Regeln

Außerdem seien an den Achttausendern gut ausgerüstete, hoch qualifizierte Rettungsteams nötig, die in der Saison stets akklimatisiert und einsatzbereit seien, um im Notfall helfen zu können.

Die Kommission empfiehlt zudem dringend, die noch aus dem Jahr 1999 stammenden Bergsteiger-Regeln zu überarbeiten. Unter anderem sollten die Aufgaben der Verbindungsoffiziere präzisiert werden, die den Expeditionen zugeteilt sind.

Wie dringend nötig dies ist, zeigt der aktuelle Fall. So schrieb der zuständige Verbindungsoffizier Fazeel Chaudhary in seinem Bericht über den Tod Muhammad Hassans: „Die Behauptungen über die schlechte Ausrüstung, die schlechten Kletterfähigkeiten und die mangelnde Erfahrung sind völlig falsch und unbegründet. Er hatte zuvor mehrfach als Hochträger gearbeitet und wurde von anderen Hochträgern sehr empfohlen.“ Der Bericht der Untersuchungskommission sagt etwas ganz anderes.

Viele offene Fragen

Auf viele Fragen bleibt der Bericht jedoch Antworten schuldig. Hat wirklich nur das pakistanische Unternehmen, für das er arbeitete, fahrlässig gehandelt? Was ist mit dem für die Fixseil-Arbeit zuständigen nepalesischen Anbieter 8K Expeditions, der sich mit Lela Peak Expedition das Permit teilte und für dessen Sherpas Hassan Seile auf den Berg trug? Warum hat niemand Alarm geschlagen, als Muhammad Hassan in völlig unzureichender Ausrüstung auch schon während der Akklimatisationsphase aufstieg? Hat niemand gemerkt, dass bei Muhammad während des Gipfelvorstoßes die Kräfte schwanden? Wäre nach seinem Unfall eine erfolgreiche Rettungsaktion möglich gewesen, wenn schneller und entschlossener reagiert worden wäre und mehr angepackt hätten?

Und ist es überhaupt verantwortbar, wenn an einem Tag rund 200 Bergsteigerinnen und Bergsteiger in die extrem gefährliche Gipfelregion des K2 starten? Sind Todesfälle da nicht schon fast vorprogrammiert?

R.I.P.

Selbst wenn es auf diese und andere offene Fragen Antworten gegeben hätte, kämen sie für Muhammad Hassan zu spät. Der Hochträger hat am K2 den höchstmöglichen Preis gezahlt – als schwächstes Glied in der Kette des kommerziellen Expeditionszirkus.

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