Luis Stitzinger: „Alles andere als eine normale Saison am Everest“

Mount Everest
Mount Everest

Die erste große Gipfelwelle am Mount Everest rollt. Mehrere Dutzend Bergsteiger erreichten heute wie erwartet, mit Flaschensauerstoff aufsteigend, den höchsten Punkt auf 8849 Metern. Darunter waren der Brite Kenton Cool, der bereits zum 15. Mal auf dem Dach der Welt stand, und der erst 19 Jahre alte Pakistaner Shehroze Kashif – er bestieg als 17-Jähriger in seiner Heimat den Achttausender Broad Peak und wird seitdem „Broad Boy“ gerufen.

Nach Angaben des nepalesischen Veranstalters Seven Summit Treks wurden auch zwölf Mitglieder aus dem Team der königlichen Garde Bahrains zum höchsten Punkt geführt, darunter Scheich Mohamed Hamad Mohamed Al Khalifa, ein Mitglied der Königsfamilie. In den nächsten Tagen werden weitere Gruppen der kommerziellen Veranstalter am Gipfel erwartet, ebenso am Lhotse, wo ein Sherpa-Team gestern die Fixseile bis zum höchsten Punkt gelegt hatte.

Einige haben nichts dazugelernt

Furtenbach-Zone im Everest-Basislager

Die Bergsteiger aus dem Team des österreichischen Veranstalters Furtenbach Adventures haben ihre Akklimatisierung abgeschlossen und warten im Basislager auf ihre Gipfelchance. „Natürlich ist es alles andere als eine normale Saison am Everest“, schreibt mir der deutsche Bergführer Luis Stitzinger, der in diesem Frühjahr für Furtenbach arbeitet.

Das Team sei bisher von Corona-Fällen und anderen Krankheiten verschont geblieben: „Ich denke, das haben wir unseren strikten Hygienemaßnahmen zu verdanken.“ Diese sähen unter anderem regelmäßige Corona-Tests vor, sagt Luis: „Nicht alle Veranstalter gehen wirklich verantwortlich mit dem Thema um. Da gibt es auch solche, die dazu ermuntern, andere Leute zu treffen und Party zu machen. Wie in unserer ’normalen‘ Gesellschaft gibt es eben auch hier Leute, die nichts dazugelernt haben.“ 

COVID-19 im Basislager

Luis Stitzinger

Stitzinger bestätigt, dass die Pandemie nicht – wie von der Regierung Nepals hartnäckig behauptet – einen Bogen um das Everest-Basislager gemacht hat: „Hier sind bereits einige Bergsteiger abgereist, teilweise um der Schließung des Flughafens  zuvorzukommen, aus Angst vor COVID (von dem es hier im Basislager natürlich auch Fälle gibt, die Heli-Piloten haben uns erzählt, dass sie bereits einige ausgeflogen haben) oder auch wegen der humanitären Katastrophe in Nepal und Indien.“ Seit Tagen werden in Nepal fast regelmäßig Höchstwerte an Neu-Infektionen gemeldet, das Gesundheitssystem des Himalaya-Staates ist nicht mehr in der Lage, alle COVID-Patienten zu versorgen.

„Als die verschiedenen Teams zu Beginn der Saison anreisten, war die Lage noch eine ganz andere – keine COVID-Krise in Nepal oder Indien – daher muss sicherlich keiner nachträglich ein schlechtes Gewissen haben, wenn er sich für die Reise entschieden hat“, findet Luis. Zunächst habe ja auch alles auf einen guten Ablauf hingedeutet, so der 52-Jährige, „und alle freuten sich darüber. Bis die Zahlen in Indien, dann in Nepal anstiegen und zuletzt auch im Basislager ankamen. Natürlich denken wir darüber nach, ob man es noch rechtfertigen kann, hier zu sein.“

Wirtschaftliche Zwänge

Lhotse-Flanke
Blick auf die Lhotseflanke

Der Bergführer verweist darauf, dass viele der Sherpas, die jetzt am Everest beschäftigt seien, im vergangenen Jahr wegen der Corona-Pandemie keinen einzigen Arbeitstag gehabt hätten. Auch viele Expeditionsanbieter stünden mit dem Rücken zur Wand, sagt Stitzinger. „Viele Veranstalter haben viel Geld in die Hand genommen und können keinen Rückzieher machen. Falls die Kunden bei Schadensersatzklagen erfolgreich sein würden, droht vielen in Corona-Zeiten das Aus. Das ginge nur im Falle höherer Gewalt, falls sich die nepalesische Regierung zum Beispiel dazu durchringen könnte, die Saison zu beenden. Das ist allerdings wenig wahrscheinlich, da sie die Interessen der heimischen Tourismusindustrie im Fokus hat.“

Die dramatische Entwicklung der Corona-Lage in Nepal hat Luis Stitzinger nachdenklich gemacht. „Soll man jetzt weitermachen, um wenigstens ein bisschen was zu retten, oder die Saison beenden, aus Mitgefühl der Situation in Nepal gegenüber?“, fragt sich der Bergsteiger. „Ich weiß es nicht. Wie so oft in dieser Corona-Krise scheint irgendwie nichts so ganz richtig zu sein, egal was man tut.“

P.S.: Die Regierung Nepals hat heute die Aussetzung internationaler Flüge bis zum 31. Mai verlängert – ausgenommen sind lediglich zwei Flüge pro Woche zwischen Kathmandu und Neu Delhi.

4 Antworten auf „Luis Stitzinger: „Alles andere als eine normale Saison am Everest““

  1. Ich verstehe den Egoismus der Pseudo-Bergsteiger schon lange nicht mehr. Rücksichtslos ist meiner Meinung das Handeln.
    Ich weiß, dass ein Teil der einheimischen Bevökerung von den Einnahmen abhängig ist, glaube aber, es wird Zeit umzusteuern. Nepal, das sind nicht nur die 8.000er, das Land hat mehr zu bieten und ein breiteres touristisches Angebot würde auch Anderen zugute kommen. Außerdem würde es sich auf einen größeren zeitlichen Rahmen erstrecken und nicht nur auf die paar Wochen, in denen die hohen Berge bestiegen werden können.
    Ich war in Nepal außerhalb der Saison und habe die zeit sehr genossen, als ich abgereist bin fing die Saison gerade an. Was ich da noch sehen konnte war nur etwas zum Abgewöhnen.

  2. Ich war selbst mehrmals auf Trekkingtouren in Nepal, innerhalb und außerhalb der zwei Saisons, auf sehr frequentierten Routen im Annapurna- und Everestgebiet, aber auch sehr einsam und allein im Kanchenjungagebiet. Ich nutzte also das „breitere touristische Angebot“, von dem Frau Teusch schreibt. Gerne würde ich das wieder tun, aber mein Respekt vor dem Virus ist viel zu groß. Ich denke, so geht es den meisten potentiellen Reisenden auch.
    Also gibt es für die Bewohner Nepals in diesem Bereich im Moment keine Verdienstmöglichkeiten.
    Der Everest bietet im Augenblick wohl fast die einzige Möglichkeit für eine kleine Bevölkerungsgruppe, Geld zu verdienen…..

  3. Luis, Du musst jetzt das Beste aus der Situation machen. Und wenn einer extrem verantwortungsbewusst ist, dann Du. Hygieneregeln sind das A&O. Safe trip!

  4. Danke für das sehr gute Interview mit Luis Stitzinger. Wenn man ganz ehrlich ist haben wir alle sehr neidisch auf die extrem niedrigen Corona Zahlen im März und Anfang April in Nepal geschaut – also vor Anreise all der Teams. Dass die Situation jetzt so explodiert ist, ist schlimm. Hätte ich nie gedacht. Meidet man jeglichen ungeschützten Kontakt und „isoliert“ man sich als Team Einheit (so wie das im Text schon beschrieben wurde) , kann eigentlich nichts passieren. In meinem Beruf hat sich das bewiesen. Nur aus moralischer Sicht abzubrechen wäre für Nepal sicher der größere Nachteil. So wünsche ich den lieben Luis und allen viel Glück und Erfolg und Mut zu den richtigen Entscheidungen. Bleibt gesund und kommt sicher heim.

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