Paul Ramsden und Tim Miller haben es wieder getan: Den beiden Briten gelang in diesem Herbst in Nepal eine weitere Erstbesteigung eines Sechstausenders – im Alpinstil (ohne Flaschensauerstoff, ohne Sherpa-Unterstützung, ohne Fixseile und ohne feste Hochlager) und auf einer schwierigen Route. Paul und Tim kletterten ganz im Westen des Landes durch die Nordwand des Surma-Sarovar. Der 6574 Meter hohe Berg liegt im Salimor-Khola-Tal im Gurans Himal, nahe der Grenze Nepals zu Tibet und Indien. „Wahrscheinlich der abgelegenste Ort, an dem ich je war, und es gelang uns, eine tolle Route zu klettern“, schreibt mir Paul nach seiner Rückkehr aus Nepal. Damit ist ihm und Miller ein weiteres Glanzstück des Alpinismus gelungen.
Eigentlich hatte ich Paul vor drei Wochen einige Fragen anlässlich der Verleihung der Piolets d’Or am 15. November in Briancon geschickt. Pauls Frau informierte mich daraufhin, dass er und Tim noch in Nepal unterwegs seien. Ramsden und Miller erhalten den „Oscar der Bergsteiger“ – wie berichtet – für ihre Erstbesteigung des 6563 Meter hohen Jugal Spire in Nepal im vergangenen Jahr. Paul ist der erste Bergsteiger, der bereits zum fünften Mal mit dem renommierten Preis ausgezeichnet wird. Hier sind die Antworten des 54 Jahre alten Top-Bergsteigers aus Yorkshire in Nordengland.
Paul, herzlichen Glückwunsch zum fünften Piolet d’Or in deiner Bergsteigerkarriere. Was bedeutet dir die Auszeichnung?
Das Besondere am Piolet d’Or ist, dass er eine Anerkennung von Gleichgesinnten dafür ist, dass man eine großartige Route durchstiegen und einen bedeutenden Beitrag zum Bergsport geleistet hat. Ich bin stolz darauf, von meinen Kollegen anerkannt zu werden, vor allem angesichts der hohen ethischen Standards, die jetzt für die Auszeichnung gelten. Der Piolet d’Or ist ein Leuchtfeuer dafür, wie Berge bestiegen werden sollten. Und dieses Leuchtfeuer wird heute mehr denn je gebraucht, wenn man sich das derzeit gängige Verhalten an den Achttausendern betrachtet. Was die fünf Auszeichnungen angeht, weiß ich nicht, was ich sagen soll. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich in den Ruhestand gehe!
Du erhältst die Auszeichnung für deine und Tim Millers Erstbesteigung des Sechstausenders Jugal Spire (Dorje Lhakpa II) im Osten des Langtang-Nationalparks im Herbst 2022. Die „Phantom Line“ durch die Nordwand sieht ziemlich wild und extrem aus. Andere hätten wahrscheinlich eine einfachere Route gewählt. Wie extrem muss eine Route für Sie sein?
Für mich müssen Routen nicht extrem sein. Mich motiviert viel mehr die Qualität und die Ästhetik einer Linie. Wenn eine Route in Gelände vordringt, das auf den ersten Blick unkletterbar erscheint, und es damit unwahrscheinlich ist, dass sie gelingt, finde ich das sehr reizvoll. Es stimmt, dass ich dazu neige, steilere, technischere Routen zu klettern. Aber oft liegt das daran, dass diese Routen sicherer sind, da sie Lawinenhänge vermeiden und weniger Steinschlaggefahr bergen.
Früher warst du oft mit Mick Fowler, der älter ist als du, auf Expeditionen. Jetzt in der Seilschaft mit Tim bist du der ältere und erfahrenere Kletterer. Hat sich deine Rolle verändert?
Ja, meine Rolle hat sich verändert. In den letzten Jahren habe ich mich bewusst darum bemüht, ein Mentor für junge Kletterer zu sein, die den Sprung von den Alpen zum Expeditionsklettern machen wollen. Mick war deutlich älter als ich, was anfangs kaum einen Unterschied machte. Aber mit zunehmendem Alter Micks wurde es immer offensichtlicher.
Mit Tim kann ich gerade noch mithalten, aber ich kann mir vorstellen, dass es mit den Jahren immer schwieriger wird. Wir sind gerade von einer Expedition in den fernen Westen Nepals zurückgekehrt, wo wir einen bisher unbestiegenen Gipfel gemeistert haben. Es läuft also noch ganz gut.
„Stil ist alles“, hast du mir vor ein paar Jahren gesagt. Jetzt bist du Mitte 50, und ich bin mir sicher, dass auch du manchmal spürst, dass du mehr als ein halbes Jahrhundert in den Knochen hast. Bist du nicht das eine oder andere Mal versucht, Abstriche beim reinen Alpinstil zu machen?
Nein, ich bin ein Alpinist und würde niemals eine andere Art des Kletterns in Betracht ziehen. Wenn ich nicht im Alpinstil klettern könnte, würde ich aufhören. Es ist die einzige ethische Art, hohe Berge zu besteigen – und um ehrlich zu sein, jede andere Art ist einfach Betrug.
In diesem Jahr wurde viel über die Sinnkrise im Achttausender-Bergsteigen diskutiert – blindes Anrennen, um Rekorde zu brechen, schlechter Stil, mangelnde Moral. Ist das der Grund, warum Spitzenalpinisten wie du einen großen Bogen um die Achttausender machen?
Ich selbst habe nie Achttausender bestiegen, weil ich nicht gerne lange von meiner Familie getrennt bin und ich die Akklimatisierung zu zeitaufwendig finde. Die derzeitige Welt des kommerziellen Achttausender-Expeditionen ist sowohl aus ethischer als auch aus ökologischer Sicht eine Katastrophe. Fixseile, Flaschensauerstoff, Sherpa-Unterstützung – all das ist im Grunde genommen Betrug. Diese Kunden besteigen nicht den Berg, sie trainieren einfach in der Höhe. Wir sollten aufhören, so zu tun, als seien diese Leute Bergsteiger und ihre Anstrengungen wertvoll.