Mount Everest und Co.: Bergrekorde sind Unsinn

Luftbild: Fünf Achttausender (und der Siebentausender Baruntse) auf einen Blick
Fünf Achttausender (und der Siebentausender Baruntse) auf einen Blick

Kürzlich stellte ein deutscher Rapper in einer Unterhaltungsshow im deutschen Fernsehen einen neuen Guinness-Weltrekord auf: Er stapelte sieben Donuts innerhalb von 30 Sekunden übereinander, ohne dass sie umfielen. Der Musiker schaffte es im zweiten Anlauf, also so gut wie ohne Training. Ist er nun der König der Donut-Stapler und ein internationaler Ausnahmekönner in dieser Disziplin? Im Guinness-Buch der Rekorde wird auch eine US-Amerikanerin als „Doughnut Queen“ geführt, die 2018 zwölf der runden gebackenen Krapfen stapelte.

Beide profitierten wahrscheinlich davon, dass kaum jemand auf die Idee kommt, unter Zeitdruck Donats aufzutürmen und sich das auch noch von Schiedsrichtern attestieren zu lassen. Aber abgesehen davon zeigt sich an diesem Beispiel, dass die Bedingungen, unter denen Rekorde zustande kommen, eine oft entscheidende Rolle spielen. Mutmaßlich hatte es vorher noch niemand in 30 Sekunden versucht. Und hätte der Rapper eine Minute Zeit gehabt, wäre er wohl nicht im Rekordbuch gelandet. So ähnlich verhält es sich auch mit Bergrekorden.

Hubschrauber, Sherpas, Flaschensauerstoff, Normalroute

Gerlinde Kaltenbrunner
Gerlinde Kaltenbrunner

Die Bedingungen, unter denen sie zustande kommen, geben den Ausschlag – und lassen sich in der Regel nicht vergleichen. Sollte etwa Kristin Harila, aktuell am Manaslu unterwegs, in diesem Jahr auf den Gipfeln aller 14 Achttausender stehen, wird das mit Sicherheit jede Menge Schlagzeilen produzieren. Aber stellt sie damit zum Beispiel die Leistung einer Gerlinde Kaltenbrunner in den Schatten, die dafür 13 Jahre benötigte?

Keineswegs. Die österreichische Top-Bergsteigern ließ sich im Gegensatz zur Norwegerin nicht mit dem Hubschrauber von einem zum nächsten Basislager fliegen, war stets im kleinen Team und ohne Hochträger unterwegs und versuchte sich teilweise auch abseits der Normalrouten – etwa als sie 2011 den K2 über den selten begangenen Nordwestgrat bestieg und damit ihre Achttausendersammlung komplettierte.

Auch Berge ändern sich

Auch Geschwindigkeitsrekorde an einem Berg machen nur wenig Sinn, selbst wenn sie im selben Stil auf derselben Route aufgestellt wurden – weil sich die Bedingungen am Berg ändern können, manchmal wegen eines Wetterumschwungs sogar innerhalb weniger Minuten aber auch mittelfristig. So schrieb der erfahrene nepalesische Bergführer Mingma Tenzi Sherpa gestern auf Facebook über den Achttausender Annapurna I: „Die diesjährige Besteigung hat eine andere Qualität. Die Route hat sich seit meiner letzten Begehung dramatisch verändert, mit mehr Gletscherspalten als je zuvor. (…) Es ist ein Schock, den Berg in diesem Zustand zu sehen – vielleicht ein Effekt der globalen Erwärmung?“

Steile Eispassage zwischen Lager 1 und 2 am Manaslu
Steile Eispassage zwischen Lager 1 und 2 am Manaslu

Ähnliches erzählte mir im vergangenen Herbst auch der erfolgreichste deutsche Höhenbergsteiger Ralf Dujmovits über den Manaslu. Besteigungszeiten lassen sich vor diesem Hintergrund nicht vergleichen, es sei denn, man würde zwei Bergsteigerinnen oder Bergsteiger exakt zur gleichen Zeit losschicken.

Nicht nur oben angekommen entscheidet

Sonnenaufgang am Mount Everest
Sonnenaufgang am Mount Everest (im Herbst 2019)

Selbst beim bloßen Zählen von Gipfelerfolgen stellt sich das Problem der mangelnden Vergleichbarkeit. Zwei Besteigungen des Mount Everest in einer Saison durch erfahrene Sherpa-Guides sind – dank perfektionierter Infrastruktur auf den Normalrouten und besserer Ausrüstung – schon lange keine Seltenheit mehr. Am Makalu erreichte Lhakpa Sherpa im vergangenen Jahr sogar dreimal (!) innerhalb von 16 Tagen den Gipfel. Kami Rita Sherpa steht aktuell bei 26 Everest-Gipfelerfolgen, Pasang Dawa Sherpa bei 25, Ngima Nuru Sherpa bei 24 Besteigungen.

Aber lässt sich das zum Beispiel mit den Leistungen des legendären Ang Rita Sherpa (1948-2020) vergleichen? Der „Schneeleopard“ bestieg in den 1980er und 90er Jahren den Everest zehnmal, davon neunmal ohne Flaschensauerstoff,  eröffnete 1984 mit den Slowaken Zoltan Demjan und Jozef Psotka eine neue Routenvariante über den Südpfeiler und schaffte 1987 die erste und bisher einzige Winterbesteigung des höchsten Bergs der Erde ohne Atemmaske. Womit wir wieder beim Stil wären.

Rekord schlägt Risiko?

Warum wird beim Bergsteigen so viel von Rekorden geredet, wenn die Leistungen doch eigentlich nicht vergleichbar sind? Der Grund liegt auf der Hand: Rekorde lassen sich gut vermarkten – auch im Bergsport, wo Sponsoring und auch Eigenwerbung via Social Media eine immer größere Rolle spielen. Im Unterschied zum Sport in Stadien oder Hallen findet Bergsteigen jedoch in der freien Natur statt und birgt damit auch erhebliche Risiken. Wie aktuell am Manaslu, wo nach starken Schneefällen hohe Lawinengefahr herrscht.

Gestern berichtete der nepalesische Bergführer Gelje Sherpa auf Instagram, das Team, das die Fixseile einrichte, sei von einer Lawine getroffen worden und nur mit Glück mit dem Schrecken davongekommen. Normalerweise sollte in diesem Fall die einzige Option sei, abzusteigen und abzuwarten. Doch nach Geljes Worten stand gestern mit Blick auf Harilas Achttausender-Jagd auch ein Gipfelversuch zur Debatte – „weil Kristins Projekt unter Zeitdruck steht. (…) Es ist eine schwierige Situation, in der wir uns entscheiden müssen, ob wir auf unseren Teamleiter hören oder das tun sollen, was am sichersten ist, auch wenn es länger dauert, als wir Zeit haben.“ Mit anderen Worten: Rekord schlägt Risiko? Da ist für mich eine rote Linie überschritten.

Eine Antwort auf „Mount Everest und Co.: Bergrekorde sind Unsinn“

  1. Oh, da dast Du Recht, Stefan! Benjamin Vedrines, der letztes Jahr in etwas ueber 7 Std auf den Broad Peak gerannt ist und ein Ausnahmealpinist ist, spricht so gut wie nie von einem Rekord. Er wollte nur sehen, wie schnell es fuer ihn geht….

Kommentare sind geschlossen.

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